Wahlfahrt09 » Wendland http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Drei Generationen Grün http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/drei-generationen-grun/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=drei-generationen-grun http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/drei-generationen-grun/#comments Wed, 23 Sep 2009 18:24:11 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3372

gruene_wendland08

Foto: Christian Salewski

WENDLAND. Im Wendland begab sich die Wahlfahrt09 auf Spurensuche nach der Geschichte der Grünen. Denn in der Gegend rund um Gorleben hat die Anti-Atombewegung seit drei Jahrzehnten eine feste Basis – und damit auch die Partei.

Marianne Fritzen kneift die Augen zusammen. Auf ihre Stirn legen sich Falten, als sie fragt: „Haben wir das Recht, diesen Müll zukünftigen Generationen zu überlassen?“ Es geht um den Atommüll im nur wenige Kilometer entfernten Zwischenlager in Gorleben. Die Frage ist reine Rhetorik, denn wirklich überzeugen muss sie hier niemanden: Eine Gruppe 18- bis 20-jähriger Freiwilliger im ökologischen Jahr sitzt an einem langen Tisch in der Scheune von Harrys Heuhotel in der Nähe von Lüchow. Dass sie alle gegen Atomkraft sind, ist selbstverständlich.
Die 20-jährige FÖJ-lerin Gesa Krone wurde schon als Kind auf die Demonstrationen im Wendland mitgenommen, das Fotoalbum der Familie zeigt die Eltern mit „Atomkraft, nein danke!“-Schild. Gut möglich, dass die Familie damals schon mit Marianne Fritzen zusammentraf. Wohl kaum jemand könnte die Geschichte des Wendlandes und der Grünen besser erzählen als die kleine 85jährige, die seit 36 Jahren gegen die Atomkraft kämpft.

gruene_wendland09

Foto: Jörn Neumann

Am Abend zuvor im Wohnzimmer von Fritzen. Auf den Sesseln am Fenster saßen schon Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. Nun sitzen hier drei Generationen Grüne beieinander: Neben Fritzen Martina Lammers, die derzeitige Vorstandsvorsitzende der Grünen im Landkreis Lüchow-Dannenberg und ihre Tochter Ronja Thiede. Die Tochter ist 18 und schon seit zwei Jahren Mitglied in der Partei, daneben sitzt sie auch im Vorstand der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg e.V. (BI). Marianne Fritzen ist so etwas wie ihre politische Großmutter: Sie ist nicht nur die “Mutter der Bewegung”, sondern auch ein Gründungsmitglied der Grünen. Schon 1978 baute Fritzen die Vorläuferpartei “Grüne Liste Umweltschutz” mit auf, die ein Jahr später mit anderen sozialen Bewegungen in den Grünen aufging. Die neue Partei sollte einen Gegenpol zur atomfreundlichen SPD in den Parlamenten schaffen und den illegalisierten Widerstand auf der Straße politikfähig machen.

gruene_wendland05_300

Foto: Jörn Neumann

Als Fritzen die Grünen mitgründete, war Ronja noch nicht geboren. Aber sie kennt das Bild, das Fritzen ihrer Mutter geschenkt hat. Rot auf Gelb zeigt es den Moment im März 1979, bevor die damals 50-jährige Fritzen bei einer Blockade zum ersten Mal festgenommen wurde. Fritzen steht darauf mit ihrer Strickmütze etwas verloren einer Gruppe großer Polizisten in voller Montur gegenüber. Klare Machtverhältnisse könnte man meinen, wäre da nicht dieser Blick, mit dem Marianne Fritzen zu den Polizisten aufschaut. Ein Blick, der sagt: Was wollt ihr von mir? Das Foto wurde zu einem Symbol der deutschen Anti-Atombewegung, genauso bekannt wie das gelbe X, die lachende Atomsonne und der Gorleben-soll-Leben-Auto-Aufkleber. 1984 benutzten es die Grünen als Wahlwerbung. Ihr Slogan: „Demokratie braucht Luft zum Atmen“.

Im Wendland setzte die damalige Regierung gegen den Widerstand der damals hunderttausend Menschen starken Anti-AKW-Bewegung das “Erkundungsbergwerk Gorleben” durch. Seither sind elf Castortransporte durchs Wendland gefahren, jeder einzelne hat eine “sechste Jahrezeit” ausgelöst, wie die Gegner den Ausnahmezustand während der Demonstrationen und ihrer Vorbereitungen dort nennen.

Auch die 42jährige Martina Lammers ist seit den 1980er Jahren im Widerstand aktiv – und durch eigene Erfahrung überzeugt, dass im Parlament allein kein Ende der Atomenergie erreicht werden kann. „Wir haben hier keinen Respekt vor der Staatsgewalt, weil die uns friedliche Demonstranten mit Füßen getreten hat“, sagt die Frau mit der sanften Stimme. Lammers Augen werden bei solchen Sätzen schnell feucht, der Widerstand ist eine Herzensangelegenheit für sie: „Unsere Kraft kommt aus dem Wissen, auf der richtigen Seite zu stehen. Und die richtige Seite ist der Widerstand gegen eine Sache, von der wir alle wissen, dass sie falsch ist.”

Weil die Grundschullehrerin stets bei den Demonstrationen dabei war, die der Staat so heftig bekämpfte, blieb auch ihre Tochter Ronja schon als Teenagerin bei Blockaden so lange sitzen, bis sie weggetragen wurde. Jetzt ergänzt die 18jährige mit Blick auf das Plakat: „Die Polizeigewalt begleitet unsere Demonstrationen leider immer.” Solche Sätze gehen den Kindern, die im Wendland aufgewachsen sind, flüssig von den Lippen. 300 ihrer Mitschüler wurden beim vorletzten Castortransport von der Polizei stundenlang eingekesselt. Auch wegen dieser Erfahrungen ist sie heute bei den Grünen aktiv.

Dabei ist genau die Institutionalisierung der grünen Graswurzel-bewegung das Problem: In der Bewegung kann man noch konkrete radikale Forderungen aufstellen, in der Politik muss man lavieren und andere Interessengruppen berücksichtigen – wie die Grünen beim Atomkonsens, den die Wendländer Grünen nicht mehr mittrugen. Für Fritzen war der Wendepunkt erreicht, als die von ihr mitgegründete Partei im Jahr 2000 den Atomkonsens unterschrieb. Sie, die Ikone der Bewegung, trat aus.


Marianne Fritzen hat Grünen mitbegründet. Im Interview erläutert sie, was sie dazu bewegt hat, aus der Partei auszutreten. Von Lu Yen Roloff und Daniel Poštrak.

„Ich hatte damals das Gefühl, dass meine wesentlichen Gründe, in die Partei einzutreten, verraten worden waren”, erinnert sich Fritzen im Gespräch mit Lammers und Ronja, und ebenso noch einmal am nächsten Tag den FÖJ-lern in Harrys Scheune: “Der Pazifismus, die Forderung der Abschaffung von Atomenergie und der basisdemokratische Charakter der Partei. Und damit alles, wofür ich 30 Jahre gekämpft hatte.“ Fritzens Austritt markierte einen Riss bei den Wendländer Grünen. Sechs von sieben Kreistagsmitgliedern folgten ihr. Lammers blieb schweren Herzens in der Partei: „Ich hatte vier kleine Kinder – ich musste daran glauben, dass es möglich ist, weiterzumachen.“ Heute sind die Grünen wieder eine politische Kraft im Landkreis – auch weil die jüngeren Generationen um Lammers und ihre Tochter erneut den Widerstand mit dem Parlament verbinden.

Nur in einem sind sich im Wohnzimmer von Fritzen einig: Die Atomlobby verhindere, dass die Regierung den Willen der Bevölkerung umsetze – weil Energiekonzerne und Regierung bereits Milliarden in die Atomenergie gesteckt hätten, sei die Abkehr von der Energieform, für deren Abfälle es bis heute keine Lösung gibt, nicht erwünscht. So oder so ähnlich klingt die Kritik, die Fritzen an der Atompolitik der Regierungsparteien formuliert.

Dabei sieht sie sich von den jüngsten Vorfällen bestätigt: Ob in Asse, Morsleben oder Gorleben, bei den Störfällen in Brunsbüttel und jüngst in Krümmel – immer wieder traten in den letzten Monaten Informationen zutage, die Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Energiewirtschaft systematisch vor der Bevölkerung zurückgehalten hatten. Obwohl je nach Umfrage zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Nutzung von Atomkraft sind, wird sie von CDU/CSU und FDP weiterhin befürwortet. In ihren Wahlprogrammen fordern die Parteien unter anderem das Ende des Moratoriums von 2001, das weitere Aktivitäten im Erkundungsbergwerk Gorleben einfror. Im Umfeld von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) tauchte kürzlich ein Gutachten auf, das den Bau neuer Atomwerke nicht ausschließt. „Wir leben also in einer Scheindemokratie“, sagt Marianne Fritzen den Jugendlichen heute: „Zwar soll die Mehrheit entscheiden – aber diejenigen, die diese Mehrheit vertreten, lügen uns systematisch an.“

gruene_wendland04

Foto: Jörn Neumann

Martina Lammers und ihre Tochter Ronja stehen für den Nachwuchs der Grünen, die beides tun: Im Parlament sitzen und trotzdem auf die Straße gehen. Fritzen hat dagegen den Kampf gegen die Atomkraft wieder in die eigenen Hände genommen. In ihrem Privatarchiv recherchiert sie, was aus alten Verträgen geworden ist, welche ungenauen Begriffe es in der Atompolitik gibt. Dabei stieß sie kürzlich gar auf alte Verträge zwischen der Regierung und anliegenden Bauern über die Salzabbaurechte, die diese an das Erkundungsbergwerk abgaben.

Es war ein Fund von großer Tragweite. Die alten Verträge könnten das Ende von Gorleben bedeuten – selbst wenn das Moratorium, wie von CDU und FDP gefordert, direkt nach der Bundeswahl gekippt werden würde. Denn die Verträge von damals sind bis 2015 befristet, nur soviel Zeit bliebe zur „Erkundung“ eines möglichen Endlagers in Gorleben. Danach müsste jeder weitere Schritt über Enteignungen und Gerichtsprozesse gegen die Vertragsinhaber laufen – die Wendländer sind schließlich widerständig.

Auch im Heuhotel sind die FÖJ-ler bei einer Diskussion von Fritzens Austritt bei den Grünen angekommen. Für Fritzen ist die Partei „das kleinste Übel“, sagt sie: “Ich wähle sie heute immer noch, denn wenn man Mehrheiten in der Regierung will, muss man wählen.”

Auch die jungen Freiwilligen finden die Grünen ganz ok, sehen sie aber nicht als “politische Heimat”. Sie wollen Berufe ergreifen, die etwas mit Umwelt zu tun haben. Schließlich ist die Idee des Naturschutzes in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Und das Misstrauen gegenüber der Atomkraft inzwischen Konsens.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/drei-generationen-grun/feed/ 0
Atom-Mutationen in Gorleben http://www.wahlfahrt09.de/orte/atom-mutationen-in-gorleben/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=atom-mutationen-in-gorleben http://www.wahlfahrt09.de/orte/atom-mutationen-in-gorleben/#comments Wed, 23 Sep 2009 17:03:28 +0000 Daniel Poštrak, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3333 WENDLAND. In Gorleben lagert Atommüll – die Strahlung macht den Leuten Angst, aber offizielle Stellen wiegeln ab: Gut abgeschirmt, sagen sie. Wir trauen dem Nuklearbraten nicht so recht und machen uns auf Spurensuche – mit fatalen Ergebnissen: Atom-Mutationen überall. Unser Fazit: Dit is jefährlich! Schnell wech!

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/atom-mutationen-in-gorleben/feed/ 0
Gorleben und die Atomkraft http://www.wahlfahrt09.de/orte/gorleben-und-die-atomkraft/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=gorleben-und-die-atomkraft http://www.wahlfahrt09.de/orte/gorleben-und-die-atomkraft/#comments Wed, 23 Sep 2009 16:08:25 +0000 Daniel Poštrak, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3323 WENDLAND. Gorleben ist Kristallisationspunkt der Anti-Atom-Bewegung.  Das gesamte Wendland ist gegen die Lagerung von Atommüll, und man schimpft auf den Lagerungsort Gorleben: Die Leute dort seien pro Atomkraft, die Industrie habe Zustimmung mit einem Schwimmbad gekauft – also gucken wir uns mal um.

von Daniel Postrak und Malte Göbel

Gorleben ist abseits des Atommülls ein Dorf wie tausend andere. Doch das Zwischenlager ist immer präsent und sei es in Form von Polizeibussen an der Dorfstraße. Impressionen aus dem Ort, in dem der Castor wohnt.

[[Show as slideshow]]
Fotos: Christian Salewski
]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/gorleben-und-die-atomkraft/feed/ 0
Alter, ey! http://www.wahlfahrt09.de/menschen/alte-anspruche/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=alte-anspruche http://www.wahlfahrt09.de/menschen/alte-anspruche/#comments Wed, 23 Sep 2009 13:57:46 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3155 Horst Gilles von der Rentnerinnen und Rentner Partei

Foto: Jörn Neumann

WENDLAND. Neun Mitglieder hat die “Rentnerinnen und Rentner Partei” (RRP) in Lüchow. Kennt keiner? Macht nichts, Direktkandidat Horst Gilles kämpft trotzdem auf dem Marktplatz um jede Stimme.

Seine Partei, sagt der ehemalige Bankkaufmann Horst Gilles, habe einen großen Vorteil gegenüber allen anderen, die zur Bundestagswahl antreten. „Wir von der RRP sind ja schon rein vom Biologischen her nicht mehr korrumpierbar“, sagt Gilles und meint damit, dass er und die rund 3000 Mitglieder der Rentnerinnen und Rentner Partei schlichtweg zu alt sind, um wegen der hohen Diäten in die Politik zu gehen. Gilles, der Direktkandidat im Landkreis Lüneburg, macht gerne mal einen Scherz über das eigene Alter. Mit seinen 66 Jahren, sagt er zum Beispiel, hat er ja schon eine Rente – an einer weiteren Pension, etwa im Bundestag, sei er da nicht mehr interessiert.

20090922_rentnerpartei_portrait

Foto: Christian Salewski

Gemeinsam mit Bernd Wald, dem stellvertretenden Kreisvorstand, macht Gilles Wahlkampf in der Innenstadt von Lüchow. Keine leichte Aufgabe, hat die RRP in Lüchow doch nur neun Mitglieder. „Hier müssen wir noch aufbauen“, sagt Gilles – aber seine Partei gibt es erst seit knapp zwei Jahren und in Lüneburg hat sie schon 110 Mitglieder. Hier hält er es für realistisch, dass die RRP ca. 5 Prozent der Stimmen erreicht. Rein vom Potential her, da ist sich Gilles sicher, ist fast alles möglich.

20 Millionen Rentner gibt es in Deutschland – und die wenigsten sind zufrieden. In den vergangenen Wochen kamen in vielen Städten Rentner an den Wagen der Wahlfahrt, und klagten über geringe Einkünfte. Laut Deutscher Rentenversicherung bekamen 2007 über 40% der deutschen Rentner weniger als 600 Euro im Monat.

Den Unmut der Senioren bedient die RRP: „Rentner – die Milchkühe der Nation“, heißt es auf der Internetseite. Neben einer garantierten Mindestrente von 1000 Euro im Monat geht es ihnen noch um Gesundheit und Bildung. Konkret heißt das: weniger Krankenkassen und kostenlose Kitas, Schulen und Universitäten. „Aber nur für die Leute, die in der Regelstudienzeit fertig werden“, sagt Bernd Wald. Andere Politikbereiche kommen im Programm nicht vor.

Eine reine Altenpartei will die RRP allerdings nicht sein: Schließlich ist das jüngste Mitglied erst 16 Jahre alt, „16 Jahre und zwei Monate“, präzisiert Gilles, der sichtlich stolz darauf ist, dass auch ein Teenager bei den Senioren mitmacht. „Weil er sich um seine Rente sorgt, ist der Junge dabei“, sagt Bernd Wald. „Außerdem hat er eine Eins im Fach Politik. Und bei uns hat er auch die besten Aufstiegschancen.“ Rein vom Biologischen her, natürlich.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/menschen/alte-anspruche/feed/ 2
Tagebuch: Den Schlaf im Heuhaufen finden http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/den-schlaf-im-heuhaufen-finden/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=den-schlaf-im-heuhaufen-finden http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/den-schlaf-im-heuhaufen-finden/#comments Wed, 23 Sep 2009 10:13:18 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3189 20090923_tagebuch_heuhotelFoto: Jörn Neumann

Die Sonne scheint, in der Ferne rauscht die Landstraße (wo die Laster die Autobahnmaut umgehen), ein lauer Westwind treibt gemächlich die letzten Schäfchenwolken über den Himmel. Im Wendland erlebt die Wahlfahrt mal wieder Natur pur. Die Landschaft ist nicht spektakulär, flaches Land mit Gras, Kühen oder Getreide – und überall gelbe Kreuze und Referenzen zu der Atomsache, wegen der wir ja hier sind.

Wir schlafen im Heuhotel Reddebeitz, Teil eines Rundlings – dieses Haufendorfes, das wie aus dem Erdkundebuch geschnitten scheint. Heuhotel-Chef Harry, mit Irland/Wales-Faible und natürlich aktiv in der lokalen Anti-Atom-Bewegung, erklärt uns das ganze: Allergiker kriegen Zimmer, sonst gibt es noch ein Matratzenlager, aber eigentlich schläft man im Heu. Schön, aber als ich die Nase ins Heu stecke, denke ich, nee, eigentlich bin ich ja allergisch und so, lieber die Matratzen.

Doch dann der letzte Abend: Abendsonne, Lagerfeuer, Bauernhofromantik at its best, Salle und Daniel S. tauschen Geschichten über ihre ersten Treckerfahrten aus. Ich könnte nur mit frühkindlichen U-Bahn-Erfahrungen dagegenhalten. Nicht genug. Die rurale Idylle flüstert mir mit Jeans Team ein: Oh Bauer, nimm mich mit auf die Felder, oder besser doch ins Heu.

Lu Yen gibt eine Allergietablette, und ich wage mich ins Heu. Es ist weich und warm, das erwartete Kleintiergekrabbel bleibt zunächst aus. Aber auch der Schlaf. Die Wahlfahrtler um mich rum geben recht bald regelmäßige Atemzüge von sich (größtenteils übrigens auch per Chemie gegen Allergie gewappnet), ich gucke in alle Richtungen, dämmere etwas vor mich hin, fahre hoch, weil es doch raschelt und trippelt, schließe die Augen ganz fest, aber statt dunkel wird es gelb, der Duft vom Heu ist überall, alles Kapuzen-hochziehen oder Schlafsack-Mummeln hilft nichts. Kein Schlaf.

Die Zeit vergeht. Ich auch. Irgendwann habe ich keine Lust mehr zu warten, klemme den Schlafsack unter den Arm und gehe nach draußen. Hier ist es dunkel und still, sogar die Landstraße hört man kaum. Tausche Heuromantik gegen Sternenhimmel. Ist doch auch was.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/den-schlaf-im-heuhaufen-finden/feed/ 0
Tagebuch: Hochburg des Widerstands http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/hochburg-des-widerstands/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=hochburg-des-widerstands http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/hochburg-des-widerstands/#comments Tue, 22 Sep 2009 13:11:30 +0000 Joern Neumann http://www.wahlfahrt09.de/?p=3112 Fotos: Jörn Neumann

Nach einem kurzen Spaziergang steht fest: Fachwerkhäuser gibt es viele in Lüchow. Der Ausblick vom Amtsturm, der zum Schloss der Graftschaft Lüchow gehörte, lenkt den Blick auf Fachwerkhäuser in einer grünen Weite. In der Ferne stehen Windkrafträder. Gorleben und das Zwischenlager für abgebrannte Brennstäbe sind nicht in Sicht. Dafür aber im Stadtbild von Lüchow: Das gelbe X, Aufkleber gegen Atomkraft und nicht zuletzt das Büro der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. im Stadtzentrum sind Anzeichen für den seit über 30 Jahren andauernden Kampf gegen die Atomindustrie. Wir haben die Eindrücke im Bild festgehalten.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/hochburg-des-widerstands/feed/ 0
Schwarze Bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schwarze-bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/#comments Thu, 17 Sep 2009 12:37:58 +0000 Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=2973 Breitenfelde_Biogas-1

Foto: Milos Djuric

WENDLAND/BREITENFELDE. Weite Felder ziehen sich über sanfte Hügel. Am Straßenrand aufgereiht stehen Bauernhäuser aus rotem Klinker mit hell gestrichenen Holztüren. Doch die Idylle trügt: Der Strukturwandel hat diese Region Schleswig-Holsteins voll erwischt, die Landwirtschaft spielt in den meisten Dörfern kaum noch eine Rolle. Im Herzogtum Lauenburg setzt jetzt eine Kooperative aus fünf Bauern auf Bioenergie. Die Grünen wählen diese Bauern trotzdem nicht.

Hinter dem Dorf strecken sich zwei Kräne in den Wolkenhimmel, ein Betonmischer rotiert. Hier – mitten im Nirgendwo – entsteht ein kleines Kraftwerk. Der Stoff, aus der die Energie gewonnen wird: gehäckselter Mais und die Gülle der Kühe, die gleich neben der Biogasanlage grasen. Ab März 2010 soll sie die 170 Häuser des Nachbardorfes mit Strom und Wärme versorgen, und das alles CO2-neutral.

Tilmann Hack läuft in blauer Latzhose über die Baustelle, grüßt die Bauarbeiter: „Moin, moin! Alles klar?“ Kurz zuvor war er noch auf dem Feld, um Weizen zu säen, jetzt schaut er beim Aufbau der kreisrunden Fermenter vorbei. „Hier findet die Gärung statt: kleine Lebewesen zersetzen die Maishäcksel in Methan und in einen Gärrest.“ Der 46-Jährige hat sich eingearbeitet in eine für ihn neue Materie. Hack ist Bauer in der fünften Generation. Einst hat er von Milchkühen auf Schweine umgestellt, später auf den Ackerbau, je nachdem, wovon sich am besten überleben ließ. Mehr als die Hälfte seiner Bauernkollegen im Dorf haben die Landwirtschaft schon aufgegeben, doch Bauer Hack befindet sich seit diesem Frühjahr auf dem Weg vom Land- zum Energiewirt.

Sieben Biogasanlagen gibt es derzeit in seinem Landkreis, etwas weiter nördlich sind es schon mehr als dreimal soviel. 70 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus nachwachsenden Rohstoffen wird allein durch Bioenergie gedeckt. Durch die Gärung der Biomasse aus Mais oder Gülle entsteht Gas. Das Gas wird verbrannt, um Strom zu erzeugen, und die dabei freiwerdende Wärme direkt in die Häuser geleitet. Bioenergie gilt als CO2-neutral, denn bei der Umwandlung des pflanzlichen Materials in nutzbare Energie wird nur soviel Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben.

„Nachhaltigkeit“ ist ein Wort, das Bauer Hack häufig verwendet. So oft, dass man meinen könnte, er sympathisiere mit den Grünen. Aber er sagt: „Die wollen ganz Deutschland auf Bio umstellen, das kann nicht funktionieren!“ Tilmann Hack verschränkt die Arme über seinem Latzhosenbauch. Er wählt die CDU, wie die meisten seiner Kollegen. Das „kleinste Übel“ nennt er es. Denn im Grunde gebe es für ihn als Landwirt keine Partei. Befürwortet er als angehender Energiewirt nicht auch die Förderung alternativer Energie? „Die Regelungen, so wie sie jetzt sind, reichen für mich aus.“ Hack ist kein Umweltaktivist, sondern Geschäftsmann genug, um sich den veränderten Bedingungen anzupassen, ohne die Welt retten zu wollen.

SPD, Grüne und die Linken kündigen in ihren Wahlprogrammen an, die Energieversorgung so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen, CDU und FDP legen sich da nicht fest. Bioenergie – wie Bauer Hack sie mit seinen Kollegen produzieren wird – ist erneuerbar: die Rohstoffe wachsen schnell nach. Bleibt nur die Frage, ob auch die Produktion der Rohstoffe nachhaltig ist. Befeuert hatte diese Diskussion einst die Produktion von Pflanzenölen in Entwicklungsländern für deutsche Traktoren. Vor kurzem hat der Bundestag die Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet: Sie soll sicherstellen, dass künftig Biomasse nur unter Beachtung verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wird. Derzeit ist jedoch noch offen, wie diese Kriterien genau aussehen. Hack hat da keine Bedenken: „Ich wirtschafte nachhaltig, sonst hätte ich den Hof gar nicht so lange halten können.“

Derzeit hat Tilmann Hack mehr mit den Bedenken seiner Nachbarn als mit gesetzlichen Vorschriften zu kämpfen. ‚Tilly, was macht ihr denn da? Wir wollen keine Monokultur!’, werde er oft gefragt. „Dann erkläre ich, dass wir mindestens 50 Prozent der Fläche weiter für Weizen, Raps und Gerste verwenden werden, Nahrungsmittel also.“ Eine Dorfbewohnerin am Straßenrand hat keine Bedenken gegen das Mini-Kraftwerk in ihrem Dorf: man müsse ja mit der Zeit gehen. Ihr Vater war Bauer, sie selbst wollte den Hof nicht übernehmen. „Hauptsache, es stinkt nicht“, schiebt sie noch hinterher und wendet sich wieder ihrem Blumengarten zu.

Direkt neben der Biogasanlage steht einer der wenigen noch aktiven Bauernhöfe Lüchows. Der Bauer hat die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen und übt nordische Zurückhaltung. Schweigen zur Biogasanlage, dann doch noch eine Erklärung: „DIE Pachtpreise steigen, weil der Flächenbedarf für den Mais viel größer ist.“ Sein Hof überlebt derzeit mit einer Mischkalkulation: 960 Mastschweine, den Rest des Einkommens muss er mit Brotweizen und Raps erwirtschaften. Wenn die Pachtpreise weiter steigen wird das bei den aktuellen Preisen immer schwieriger.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/feed/ 0