Wahlfahrt09 » Wahlversprechen http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Ohne mich http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=landkreis-im-demokratischen-vorruhestand http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/#comments Sun, 27 Sep 2009 21:25:09 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3514 BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

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TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

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Wie sich Politik beschleunigen lässt http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/grenzstreit-um-konstanzer-schulen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=grenzstreit-um-konstanzer-schulen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/grenzstreit-um-konstanzer-schulen/#comments Thu, 27 Aug 2009 06:00:30 +0000 Paula Scheidt http://www.wahlfahrt09.de/?p=1696 Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

KONSTANZ. Weil die Konstanzer Gymnasien bei den in der Schweiz wohnhaften Exil-Deutschen so beliebt sind, werden Kinder aus Konstanz abgewiesen. Einspruch zwecklos – doch einem Familienvater hilft die baden-württembergische Landesregierung in Rekordtempo. Dem Wahlkampf sei dank.

So eine schnelle Antwort hätte Michael Breuninger sich nicht träumen lassen. Nur drei Tage zuvor hatte er den Brief zur Post gebracht. „Sehr geehrter Herr Oettinger“, hatte er geschrieben, „wir brauchen Ihre Hilfe!“ Das Wort „Hilfe“ hatte er fett gedruckt und unterstrichen, jeden einzelnen Satz mit einem Ausrufezeichen versehen. „Trotz bester Noten hat meine Tochter keinen Platz an ihrem Wunschgymnasium bekommen!“ Der Mann, der kurz darauf in Breuningers Café am Tresen auftauchte, kam aus Stuttgart. Er wollte wissen, was denn da los sei mit Breuningers Tochter Sandrina und deren Absage für das Humboldt-Gymnasium.

Nichts erzählt Breuninger lieber als das.

Trotz einer Empfehlung war seine Tochter im Mai von ihrem Wunschgymnasium abgelehnt worden. Es gebe nicht genug Plätze und eine andere Schule liege auch näher zum Wohnsitz der Breuningers. Man empfahl Sandrina, sich dort anzumelden. Breuninger legte Einspruch beim Schulleiter ein, der wurde abgelehnt. „Dabei ist unsere Tochter ein Ass in Mathe und hat die besten Noten“ sagt Breuninger voller Bewunderung, er und seine Frau hätten „nur“ mittlere Reife. Wegen des sehr guten Rufs musste es in Breuningers Augen unbedingt das naturwissenschaftliche Humboldt-Gymnasium sein. Dass seine Tochter keinen Platz bekommen sollte, obwohl sie die Anforderungen erfüllte, wollte ihm nicht in den Kopf.

Breuninger ging zur Presse – und heraus kam, dass er nicht der einzige war, dessen Kind abgelehnt wurde. Mindestens neun weitere Fälle wurden bekannt. Gleichzeitig jedoch wurden Kinder von Deutschen, die in der Schweiz wohnten, angenommen. Seit das Nachbarland vor zwei Jahren die Einwanderungsbestimmungen gelockert hat, sind viele Deutsche aus der Bodenseeregion über die Grenze gezogen. Und die schicken ihre Kinder gern weiter in Deutschland zur Schule.

Nehmen deutsche Auswanderer also Deutschen die Schulplätze weg? Eigentlich geht das nicht, denn gesetzlich müssen Inländer bevorzugt werden. Immerhin zahlen die Eltern in der Schweiz Steuern, also sollten ihre Kinder auch dort zur Schule gehen. Breuninger versteht die Präferenz für deutsche Schulen sowieso nicht: „Das Schweizer Schulsystem hat doch einen sehr guten Ruf!“

Er beschwerte sich wieder, eine Ebene höher, beim Regierungspräsidium in Freiburg. Dort kennt man die Eskalationsgefahr von schweizerisch-deutschen Grenzkonflikten nur zu gut. Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit nennt das Grenzverhältnis „nicht ganz emotionsfrei“. Fingerspitzengefühl sei gefragt, um Konflikte wie den um Fluglärm oder Verpachtung von Land zu lösen. Denn: „Wir sind an guten Grenzbeziehungen sehr interessiert.“ Den Einspruch von Breuninger lehnte er dann auch ab – weil angeblich seit Jahren alle Schüler unanhängig vom Wohnsitz gleich behandelt würden.

Also schrieb Breuninger den Brief an den Ministerpräsidenten. Der handelte blitzschnell: Schon zwei Tage nach dem unerwarteten Besuch aus Stuttgart bekam Breuninger ein Schreiben vom Humboldt-Gymnasium. Nun wurde Sandrina doch zugelassen. „Wir helfen ihrem Widerspruch ab“, stand in dem Brief. Mehr nicht. Breuninger ist die Freude deutlich anzusehen, wenn er von der überraschenden Wende erzählt. Aber er sagt auch: „Ich will mir den Erfolg nicht auf die eigene Fahne schreiben. Würden wir uns nicht im Wahlkampf befinden, hätte das nie und nimmer geklappt.“

Für den Politologen Jochen Voss ist die Reaktion des Kultusministeriums nichts als ein „politisches Symbol“. Er ist Experte für Wahlkampfmethoden und hat beobachtet: Solche Hauruck-Aktionen setzen Politiker vor Wahlen gerne einsetzen, um die Bürger zu beeindrucken und zu zeigen: Wir sind da und tun etwas für euch. „Je mehr der Wahlkampf in den Medien stattfindet, desto stärker setzen Politiker auf symbolische Politik, indem sie komplexe Probleme vereinfachen und emotionalisieren.“

Auch Frank Brettschneider, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Hohenheim vermutet den Wahlkampf als Grund für die schnelle Reaktion. „Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg hat in letzter Zeit immer wieder hohe Wellen geschlagen“, sagt er. Die Landesregierung habe so kurz vor der Wahl sicher kein Interesse an negativen Schlagzeilen zum Thema Schule.

Beim Kultusministerium in Stuttgart gibt man sich einsilbig: „Der Fall Konstanz ist erledigt.“ Die nötigen Gesetze existierten bereits. Das Regierungspräsidium Freiburg ist hingegen noch dabei, diese auszulegen. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Lösung. Wie nächstes Jahr entschieden wird, steht offen“, sagt Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit. Dass der Wahlkampf die vorläufige Kehrtwende herbeigeführt habe, bestreitet er.

Auch die anderen neun Kinder, die zuvor abgewiesen worden waren, haben nun einen Platz am gewünschten Gymnasium bekommen. „Dafür fehlen uns aber die Räume, für die wir seit Jahren kämpfen“, sagte Jürgen Kaz, Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums, nach der Entscheidung dem Südkurier. Die Zahl der in der Schweiz wohnenden Schüler  an Konstanzer Gymnasien nimmt der Zeitung zufolge zu. Vor zwei Jahren seien es 122, im vergangenen Jahr 145 und derzeit sogar 188.

Wahlkampf hin oder her. Breuninger ist zufrieden, er hat sein Ziel erreicht: Sandrina wird wie gewünscht ab dem neuen Schuljahr das Humboldt-Gymnasium besuchen. Vor kurzem hat er noch einen zweiten Brief nach Stuttgart geschrieben: „Sehr geehrter Herr Oettinger, wenn Sie irgendwann wieder einmal in Konstanz sind und einen guten Cappuccino trinken möchten, wären Sie natürlich, als kleines Dankeschön, gerne mein Gast.“

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Stimmen aus Halle http://www.wahlfahrt09.de/menschen/stimmen-aus-halle/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=stimmen-aus-halle http://www.wahlfahrt09.de/menschen/stimmen-aus-halle/#comments Mon, 17 Aug 2009 16:11:56 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=592 Rainer K.

Foto: Michael Bennett

HALLE. Jeden Tag sprechen wir mit vielen Menschen, die zu uns an den Wahlfahrt09-Wagen kommen. Hier sind ein paar Stimmen aus Halle. Heute sprachen wir mit einem ehemaligen Heizer und dem Ehepaar Fischer. Sie finden, dass in Deutschland zu viel gejammert wird.

Rainer K., 64

ist seit 1990 überzeugter CDU-Wähler. Zu DDR-Zeiten arbeitete er im Chemiewerk in Buna und als Heizer. Im Herbst 1989 flüchtete er über die Prager-Botschaft nach Düsseldorf, kehrte aber im Juli 1990 nach Halle zurück.

„Von Angela Merkel wünsche ich mir, dass sie die Steuern runter setzt, besonders für Lebensmittel. Und sie soll nicht vergessen, dass sie aus der DDR kommt: Sie soll auf die Leute achten, die wenig Geld haben. Außerdem sollte es in jeder Stadt eine Förderschule für Analphabeten geben. Wie sollen die sonst wählen?“

Gerda Fischer

Foto: Michael Bennett


Gerda Fischer, 68

wurde mit ihrer Familie aus Westpreußen umgesiedelt und zog mit ihren Eltern als Siebenjährige nach Halle. Die ehemalige Zahntechnikerin lebte eine Weile mit ihrem Mann in Graal-Müritz in Mecklenburg-Vorpommern. Heute ist Halle ihre Wahlheimat, weil sie die Stadt im Gegensatz zu DDR-Zeiten sehr schön findet - und weil sie hier groß geworden ist.

"Wir haben eine kleine Rente, aber uns geht’s gut. Die meisten jammern, die Deutschen sind ja Spezialisten darin. Die sollen mal nach Afrika gehen. Wir waren mal in Ägypten, da haben wir Armut gesehen. Wir haben Menschen gesehen, die auf dem Friedhof  leben und nichts zu essen haben. Die können jammern, aber die Deutschen nicht. Hier braucht keiner verhungern, aber dort schon.“

Klaus Fischer

Foto: Michael Bennett


Klaus Fischer, 72

ist der Mann von Gerda Fischer.

„Merkel ist gut, weil sie aus dem Osten ist. Die wähle ich auch. Die sind am ehrlichsten. Die SPD lügt doch nur. Ich habe das beim letzten Mal verfolgt. Die machen Wahlversprechen und sagen, es gibt keine Mehrwertsteuer-Erhöhung und dann machen sie es doch. Die CDU ist da doch ein bisschen ehrlicher. Und wir sind auch Christen, deshalb liegt uns das näher.“

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“Politiker reden, reden, reden” http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/politiker-reden-ohne-ende/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=politiker-reden-ohne-ende http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/politiker-reden-ohne-ende/#comments Sat, 15 Aug 2009 16:07:25 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=906 Stefan Steingräber 300x200

(Foto & Audio Lu Yen Roloff)

GÖRLITZ. Stefan Steingräber (21) hat in Görlitz eine eigene Radiosendung beim Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanal (SAEK). Im Rahmen einer Wahlsondersendung interviewte er die Spitzenkandidaten für die sächsische Landtagswahl. Und stellte fest: Politiker sind auch nicht allwissend.

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Auf ein Bier mit … Christoph Kuhn, Schriftsteller http://www.wahlfahrt09.de/menschen/auf-ein-bier-mit-christoph-kuhn-schriftsteller/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=auf-ein-bier-mit-christoph-kuhn-schriftsteller http://www.wahlfahrt09.de/menschen/auf-ein-bier-mit-christoph-kuhn-schriftsteller/#comments Sat, 15 Aug 2009 15:50:09 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=1354

HALLE. Der Schriftsteller Christoph Kuhn kennt sich aus mit der jüngeren deutschen Geschichte. Sein jüngster Roman “Die hinteren Gründe” beschäftigt sich mit dem Leben in der DDR. In “Auf ein Bier mit…” erzählt er, wie schnell vergessen wird, dass Ost- oder Westdeutsch zu sein egal ist und was ihn am Bundestagswahlkampf stört.

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