Wahlfahrt09 » Steinmeier http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Wahlfahrt09 – das war’s http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlfahrt09-das-wars http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/#comments Mon, 28 Sep 2009 13:29:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3404

20090928_wahlfahrt09_reichstag

Foto: Jörn Neumann

DEUTSCHLAND. Deutschland vor der Wahl jenseits der politischen Ballungszentren erleben – die Wahlfahrt09 reiste in 50 Tagen durch 20 Orte im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands: Dabei führte die Tour über Eisenhüttenstadt hinunter nach Konstanz, über Leidingen nach Duisburg-Marxloh, in den hohen Norden nach Breitenfelde und Wismar, übers Wendland und schließlich nach Haldensleben in der Börde.

Am Wahlfahrt09-Stand zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt Haldensleben. Wochenlang haben wir gewartet, um 18 Uhr sind die Prognose und die ersten Hochrechnungen da: Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ein Passant mit Sonnenbrille und Eishörnchen kommentiert: “Also ich hab die nicht gewählt.” Auch das Team der Wahlfahrt09 ist überrascht – denn Menschen, die CDU und FDP nahe stehen, haben wir auf unserer 50-tägigen Reise durch 20 Orte kaum getroffen.

Ein Rückblick auf einen Wahlkampfbesuch auf dem Heumarkt in Köln vor zwei Wochen: An diesem Abend wird Steinmeier auftreten, schon am frühen Nachmittag prangt der überdimensionale SPD-Würfel auf dem leeren Platz. Die Volkspartei gibt sich modern und interaktiv: Die Jusos haben junge Frauen angestellt, die andere Frauen mit einem „Ich kann Aufsichtsrat“-Schild fotografieren. An einem Touchscreen lassen sich personalisierte Wahlkampfprogramme ausdrucken. Eine Hartz-IV-Empfängerin humpelt über den Platz. Nach zwei Bandscheibenvorfällen kann die ehemalige Fleischerin nicht mehr arbeiten. Sie will sich Steinmeier nicht ansehen, denn die Politiker, sagt sie, lügen doch alle.

Viele sehen keine Perspektive mehr

„Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben“, tönt Steinmeier am Abend auf dem Höhepunkt seiner Wahlrede. Es wirkt antrainiert, ein reiner Slogan. Selbst Stammwähler der Partei, die in einer Kneipe am Rand sitzen, überzeugt das nicht. In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 3,47 Millionen Arbeitslose, Tendenz steigend. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht in jedem Parteiprogramm – bei einigen auch gemeinsam mit dem kleinen Bruder der Vollbeschäftigung, dem Mindestlohn. Menschen wie die Fleischerin treffen wir oft auf der Wahlfahrt: Die sich von niemandem repräsentiert fühlen, die vieles verloren haben, die keine Perspektive mehr für sich sehen.

In Wismar sind durch die Schließung der Werft 1200 Menschen in Kurzarbeit. In Halle hat der Strukturwandel ganze Stadtteile entvölkert. Die Krise findet sich sogar in wohlhabenden Kommunen wie Konstanz – dort waren in diesem Jahr die Campingplätze ausgebucht, weil viele Deutsche kein Geld mehr für den Auslandsurlaub haben. Selbst in Wiesbaden mit seiner hohen Millionärsdichte stehen die Arbeitslosen trotz öffentlichem Trinkverbot in den Seitenstraßen.

Deutsche Problemecken

In Duisburg-Marxloh, wo türkische Brautmodenläden viele deutsche Geschäfte verdrängt haben, bevölkern vor allem Deutsche die „Problemecken“ des Stadtteils. So nennt der dortige CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland die deutschen Drogenabhängigen auf den Bänken am Marktplatz, die seit der Schließung der Fixerstube keinen Anlaufpunkt mehr haben. In der Marktklause gegenüber von unserem Stand sitzen schon früh morgens die Alkoholiker und trinken ihre Schnäpschen zu lauter 80er Jahre Schlagermusik. Zwischen denWahlkampfplakaten von Linkspartei und SPD hängen Schilder mit dem Slogan „Aufbau Duisburg statt Aufbau Ost“.

Diese Beobachtungen sind zum Teil natürlich auch dem Konzept der Wahlfahrt09 geschuldet: Wir parken an zentralen Plätzen der Stadt, arbeiten dort an Biertischen unter freiem Himmel. Natürlich treffen wir also vor allem Leute, die keinen Ort haben, an dem sie sein müssen: Arbeitslose, Rentner, Obdachlose. Ihre Probleme bekommen wir auf der Wahlfahrt09 besonders häufig mit. Viele sind unzufrieden: Sie bekommen zu wenig Rente, zu wenig Hartz IV, reden sich in Rage, werden laut, deuten mit Zeigefingern auf uns, wenn sie die Politiker beschimpfen, mal als Abzocker, mal als Lügner, mal als Verbrecher.

Aufbau Ost, Abbau West

Das ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten wie im Westen gleich. In Eisenhüttenstadt, wo seit der Wende tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind, wird gerade für 630 Millionen Euro ein neues Papierwerk gebaut, gefördert mit Mitteln der EU – ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade mal 600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Im niederfränkischen Hof leiden die Betriebe unter der Konkurrenz aus dem Osten, die noch gefördert wird – während im Westen, wo nichts zu fördern ist, das Problem der Arbeitslosigkeit viel stärker zu Tage tritt.

Dort lässt sich die Arbeitslosigkeit noch nicht einmal mit dem Versagen des Sozialismus erklären. Unsere Reise macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen und die Verwerfungen in der internationalen Arbeitsteilung viel weiter reichen, als es die Deutschen wahrhaben wollen. Mag sein, dass Deutschland Exportweltmeister ist, dass eine zukünftige Bildungsoffensive oder der Ausbau regenerativer Energien und grüner Technologien zukünftige Generationen beschäftigen wird – aber Hunderttausende sind im Hightechland überflüssig geworden. Sie sitzen jetzt in den Problemecken, lungern vor dem Supermarkt herum, sammeln Flaschen und durchwühlen Mülleimer.

Engagement und Gesicht zeigen

Doch es gibt auch Lichtblicke: Es kommen viele engagierte Menschen zum Wahlfahrt09-Stand. Sie arbeiten ehrenamtlich für Bürgerinitiativen, den städtischen Sicherheitsdienst in Görlitz oder als Sporttrainer im Wismarer Kanuverein. Menschen, die sich für konkrete Anliegen engagieren: Der Rentner, der sich für das deutsch-polnische Verhältnis in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec einsetzt und gegen die NPD Gesicht zeigt; der Azubi, der in seiner Freizeit im Bürgerradio die Spitzenkandidaten des Landtags interviewt oder die Studenten vom Postkult e.V. in Halle-Glaucha, die mit einem Gemeinschaftsgarten gegen den Leerstand in ihrem Stadtteil ankämpfen und die Bürger dort wieder zusammen bringen wollen. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, Rentner, Akademiker und Studenten.

Auf eine Bewegung der sozial Schwachen treffen wir aber nicht. Ein LKW-Fahrer, den wir auf einem Rastplatz trafen, drückte es so aus: „Wir könnten ja mal demonstrieren gehen. Aber dafür geht es uns wohl noch nicht schlecht genug.“ Nur einige Hartz-IV-Empfänger in Wiesbaden machen den Gegenangriff auf die öffentliche Wahrnehmung: Die „Initiative neue soziale Gerechtigkeit“ plakatiert alle zwei Wochen die Stadt mit schwarzweißen Postern, auf denen sie von Schikanen, Demütigungen und rechtswidriger Behandlung von Hartz IV-Empfängern sprechen und die Mitarbeiter zuständiger Behörden namentlich anprangern. Mehrheitsfähig sind sie mit ihrem umstrittenen Vorgehen aber nicht.

Ganz besonders leise sind die Frauen. Wir sprechen Passantinnen gezielt an, weil von selbst immer nur die Männer kommen. Sie sagen zwischen den Zeilen, dass sie in der Krise Besseres zu tun haben als zu politisieren. Wer soll sich um Kinder und Haushalt kümmern, wenn die Männer auf den Straßen abhängen? Wie das Überleben sichern? Manch eine gesteht, dass es ohne die Lebensmittelspenden von der Tafel nicht ginge.

Afghanistan, Europa und Außenpolitik sind kein Thema

Wohl auch, weil die Bundeswehr ein sicherer Arbeitgeber ist, gibt es von den Menschen, die im Bundeswehrstandort Sigmaringen leben, kaum Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nur selten gab es so etwas wie grimmige Solidarität und Unterstützung für “unsere Jungs da unten”. Für viele junge Männer sind die Bonuszahlungen für Auslandseinsätze eine willkommene Einnahmequelle, auch wenn nur wenige wirklich vom Sinn des Einsatzes überzeugt sind. Afghanistan ist ein Thema, das weder im Wahlkampf noch in unseren Gesprächen an vorderster Stelle stand. So war es auch mit anderen außenpolitischen Fragen, etwa wie Deutschland sich innerhalb Europas positioniert.

Aus der Perspektive der ausländischen Wahlbeobachter, die wir am Rande eines Wahlauftritts von Gregor Gysi in Halle trafen, ist besonders die wichtigste Frage im Wahlkampf ausgeklammert worden: Wie die Wirtschaftskrise und das Arbeitslosenproblem eigentlich konkret gelöst werden sollen, sobald die Wahl vorbei ist. Der Franzose Jay Rowell wundert sich: „Es müssen schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen.“ Offenbar gebe es einen Konsens, „diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen.“

Auch sein holländischer Kollege Ton Nijhuis wundert sich über den Wahlkampf: Wenn viele Menschen nicht daran glaubten, dass die Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, werde das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert: „Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.“

Die Wahlfahrt09-Analyse

Gleichzeitig fischt Gregor Gysi auf dem Hallenser Marktplatz nach Proteststimmen: „Selbst wenn Sie Grüne oder SPD wählen wollen – wenn Sie wollen, dass diese Parteien wieder sozialere Politik machen, müssen Sie die die Linke wählen.“ Protest wählen scheint vielen Menschen die letzte Lösung zu sein: Linkspartei, NPD oder ungültig stimmen.

Die politische Stimmung im Land, das ist das Fazit der Wahlfahrt, ist stark abhängig von der ganz persönlichen Lebenssituation der Menschen. Die Grünen wählen diejenigen, die unter Flugschneisen und in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben wohnen.

Und so betrachten wir am Ende unserer Reise das Wahlergebnis aus der Perspektive unserer Gesprächspartner: Zwar hat die Koalition aus CDU und FDP genug Stimmen bekommen, um das Land zu regieren. Aber nimmt man die rund 30 Prozent Nichtwähler und die vielen Protestwähler zusammen: Dann stehen hinter diesem Wahlergebnis vor allem Millionen Deutsche, die ein Gefühl eint: Keine Wahl gehabt zu haben.

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„Niemand redet darüber, wie die Krise nach der Wahl bewältigt werden soll“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 14:33:53 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3455 Foto: Jörn NeumannFoto: Jörn Neumann

HALLE. Jay Rowell ist seit 2001 Forscher in Politische Soziologie an der Centre National de Recherche Scientifique (CNRS). Er leitet seit 2007 das Strassburger Forschungsinstitut Groupe de Sociologie Politique Européenne (www.gspe.eu) und ist seit 2006 stellvertretender Direktor vom Centre interdisciplinaire de recherches et d’études sur l’Allemagne. Seine Forschung und Lehrtätigkeit betrifft die Soziologie des Staates, Politisierung und Studien über die Sozialpolitik in Europa und in der EU.

Viele Deutsche finden den Wahlkampf langweilig. Sie auch?

Ja, jeder spielt ziemlich defensiv. Mich erstaunt es besonders, dass gerade die kleinen Parteien nicht in die Offensive gehen. Dabei könnten sie gegenüber der großen Koalition so gut punkten.

Sie haben Westerwelle, Künast und Gysi gesehen – sind die nicht laut?

Westerwelle ist natürlich am lautesten, den habe ich gestern in München gesehen. Er hat von Steuersenkungen gesprochen, war aber nicht überzeugend: Es gab keine konkreten Aussagen, was er in einer schwarz-gelben Koalition machen wird. Es wurden alle Themen angesprochen, Bildung, Wirtschaft, die klassischen Themen der FDP, aber gerade bei Wirtschaftsliberalismus hätte ich mehr erwartet. Der Diskurs bleibt im Allgemeinen und sehr abstrakt, man hätte auch mehr Beispiele nehmen müssen. Das fehlt bei eigentlich allen bis auf Gysi.

Wie erklären Sie sich die Friedlichkeit der Parteien?

Das hat zum Einen mit der Wirtschaftskrise zu tun, die in der Großen Koalition gemeinsam bekämpft wurde. So können weder SPD noch CDU heute sagen, sie würden alles anders machen.  Und zum Anderen hat es mit der politischen Kultur zu tun: Es geht sehr viel um Kompetenz und Sachlichkeit. Das hat man im Kanzlerduell gesehen, da blieb die Diskussion immer sehr sachlich, es fehlte an Emotionen, Bildern und Symbolen. Vielleicht wagt man wegen der deutschen Vergangenheit nicht, populistisch oder emotional zu punkten.

Es fehlen also die strittigen Themen.

Was mich sehr erstaunt ist, dass es in dieser Debatte gar nicht so sehr darum geht, was nach der Wahl kommt. Die Krise ist ja schon ein Jahr alt, und auch wenn es langsam wieder aufwärts geht, kommt erst Morgen die schmerzhafte Entscheidung, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen. Es gibt offenbar einen Konsens, diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen. 2005 hat die CDU das gemacht und fast verloren. Hier müssten die Journalisten die Kandidaten herausfordern und nachfragen, wie etwa Steuersenkungen finanziert werden sollen. Westerwelle sagt, das würde die Wirtschaft ankurbeln und sich dadurch refinanzieren, aber weiß seit Reagan 1981, dass das nicht funktioniert. Aber auch die SPD sagt nicht, wie es weitergehen soll, die Grünen mogeln sich um das Thema herum, und Merkel ist ebenfalls in der Defensive und hat Angst, den Wahlsieg noch zu verspielen.

Ist dieser Konsens-Wahlkampf typisch deutsch?

In Deutschland herrscht Konsens: Die Krise ist von außerhalb gekommen, es gibt zwar strukturelle Probleme, aber keine Schuldzuweisungen, nur bei den Linken findet man das. In Frankreich gibt es Versuche, die Schuld für die Krise auf nationaler Ebene anderen zuzuschieben: Weil angeblich Sarkozy und seine Vorgänger Deregulationspolitik betrieben haben.

Würden Franzosen Merkel oder Steinmeier wählen?

Ganz bestimmt nicht! Wobei in Frankreich im Grunde genommen Wahlen wie in Deutschland gewonnen werden: Man verspricht viel, das man hinterher nicht einhalten kann. Nur populistischer. Diese Bescheidenheit der beiden Kandidaten, das wäre in Frankreich unmöglich. Ein aufgeblähtes Ego ist sogar beliebt. Man sucht jemanden, der entscheiden kann, der durchsetzungsfähig ist und viel verspricht, das hat damit zu tun, dass der französische Präsident viel allein entscheiden kann, in Deutschland müssen die Politiker zusammenarbeiten und konsensfähig sein. Das erzeugt dann verschiedene politische Kulturen.

Mit welchen Themen könnte Steinmeier noch punkten?

Ich würde auf die Ängste abzielen, dass die FDP oder Schwarz-Gelb den Sozialstaat abbauen oder Steuern nur für die obere Schicht senken wollen. Das Problem ist, dass die SPD mit Hartz IV Reformen gegen den kleinen Mann gemacht hat, das muss sie jetzt anders machen. Und Steinmeier hat das alles mit entschieden. Daran wird die SPD noch lange zu knabbern haben.

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Steinmerkel im TV http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=steinmerkel-im-tv http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/#comments Sun, 13 Sep 2009 13:54:16 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=2660 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. In der Kneipe, auf dem Sofa bei Erstwählern, den Piraten und im Einfamilienhaus eines Finanzbeamten: Die Wahlfahrt09 zu Gast beim Wähler. Wir schauten den Osnabrückern über die Schultern, als sie das Kanzlerduell gesehen haben. Das Ergebnis wurde auch auf Spiegel Online veröffentlicht.
Einzeltexte: Die Erstwähler, Die Stammgäste

20.00 Uhr – Die Stammgäste

Die “Peitsche” ist eine Raucherkneipe. Davon machen die Gäste rege Gebrauch. Auf einer Leinwand läuft die Übertragung der ARD. Sebastian Heukamp, 35, ist seit fünf Jahren Wirt der “Peitsche”. Der kräftige Osnabrücker, Mitglied der Jungen Union, hat den Wahl-O-Mat vor ein paar Tagen ausprobiert. Ergebnis: an erster Stelle Piratenpartei, an zweiter FDP.

20.07 Uhr – Die Familie

Ein weißes Haus in einer ruhigen Wohnsiedlung. Frank Henning, graue Haare, Bürstenschnitt, empfängt im blauen Jeanshemd an der Haustür. Seine Frau Julia sitzt auf der schwarzen Ledercouch und strickt ein Kleid für die fünfjährige Tochter. Sie und deren 15 Monate alte Schwester sind schon im Bett; jetzt warten die Hennings auf den Beginn des Duells. “Wenn Steinmeier nicht aus sich rauskommt, sehe ich schwarz”, sagt Frank Henning. Der Finanzbeamte sitzt für die SPD im Osnabrücker Stadtrat.

20.18 Uhr – Die Erstwähler

Max, Jonas, Oskar und Pierre machen es sich vor dem Fernseher gemütlich, Füße hoch, ein Bier in der Hand. Die vier Abiturienten sind Erstwähler und wollen jetzt mal sehen, wer sich besser schlägt: die Kanzlerin oder der Herausforderer. “Das ist ja wie beim Fußballgucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Ich find den Unterschied in der Aufmachung voll krass. Bei den Privaten sieht das voll nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

20.29 Uhr – Die Piraten

Lachen im Wohnzimmer der Piraten. Sie sitzen auf der Sofagarnitur in ihren orangefarbenen T-Shirts, die sie tags zuvor noch bei der Demo in Berlin anhatten. Die Gruppe ist ein wenig erschöpft, aber vor allem empört über den Polizeiangriff auf einen Demonstranten. Kurz wird überlegt, ob man nicht doch lieber die Simpsons schauen soll als Merkel und Steinmeier. “Das droht langweilig zu werden. Die stehen sich doch näher als viele Ehepaare.”

20.30 Uhr – Die Erstwähler

Das Duell beginnt.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt ‘ne Stimme wie Schröder”, sagt Max. Jonas: “Aber er ist lange nicht so charismatisch.” Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich ein bisschen zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Ganz schön abgeklärt klingt das für einen, der noch nie gewählt hat. “Eigentlich ist die Merkel gar nicht so schlecht”, sagt Max. Es scheint für Steinmeier ein Auswärtsspiel zu werden, zumindest im Wohnzimmer von Max.

20.32 Uhr – Die Piraten

Steinmeier legt los.

“Man könnte meinen, da spricht Schröder.” Ein Pirat greift zur Salzstange.

20.36 Uhr – Die Erstwähler

Die Frage nach dem Du: Peter Kloeppel will wissen, ob sich Steinmeier und Merkel duzen.

“Der will die mega-provozieren, dieser eine Journalist”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.”

20.37 Uhr – Die Piraten

Steinmeier und Merkel ziehen Bilanz.

“Schön herumgeredet”, empört sich einer der Piraten. Bisher hören sie zu, werfen immer wieder Kommentare in die Runde, eine Diskussion kommt noch nicht auf. “Ich wette, unser Thema Bürgerrecht wird von keinem der Kandidaten erwähnt”, sagt einer.

20.39 – Die Familie

Steinmeier spricht von Alternativen zur Großen Koalition.

“Problem, dass niemand ihm abnimmt, dass Rot-Grün es schafft”, sagt Frank Henning.

20.49 Uhr – Die Erstwähler

Die vier Erstwähler lauschen gebannt den Argumenten der Duellanten. Max und Jonas lümmeln sich auf der Couch, Oskar und Pierre sitzen aufmerksam nach vorn gebeugt. Da spricht der Herausforderer über die “Lohnspirale nach unten”. “Wenn es ein Phrasenschwein da gäbe, dann wären die schon arm da”, sagt Jonas.

20.46 Uhr – Die Familie

Plasberg sagt, viele Menschen fänden die Situation in Deutschland ungerecht

“Das sehe ich auch so”, sagt Frank Henning. Der 42-Jährige erzählt von der Osnabrücker Autobaufirma Karmann, die gerade im Insolvenzverfahren steckt. “Wenn einer da nach 30 Jahren entlassen wird und ein Jahr später auf Hartz-IV-Niveau lebt, während die Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben – das ist ungerecht.” Julia Henning nickt.

20.54 Uhr – Die Piraten

Steinmeier: Menschen müssen von Arbeit leben können.

Nicken in der Runde.

Die Familie

Julia Henning blickt von ihrer Strickarbeit hoch – und stimmt voll zu. “Wenn jemand acht Stunden arbeiten geht und noch Sozialhilfe beantragen muss, ist das ein Affront.”

20.55 Uhr – Die Stammgäste

Stille Gäste mit Blick auf die Leinwand. Zweite Biere werden bestellt. Getragene Stimmung bei den Kandidaten und bei den Zuhörern. Die Gäste stecken die Köpfe zusammen. “Privat fährt er wahrscheinlich Mercedes”, sagt Wirt Heukamp, als Steinmeier über Opel spricht.

20.57 Uhr – Piraten

Diskussion über Opel.

Herumrutschen auf dem Sofa, die Saftmischung Ananas-Grapefruit wird angeboten. “Klar, sie können sich jetzt nicht gegenseitig kritisieren. Es wäre viel spannender, wenn FDP und Grüne diskutieren würden.”

21.00 Uhr – Die Familie

Moderator Plasberg erinnert die Bewerber daran, dass Wahlkampf herrscht.

Frank Henning lacht. “Das ist ja niedlich – sind das jetzt Merkel und Steinmeier gegen die Journalisten?”

Die Stammgäste

Erster Stimmungshöhepunkt. “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren”, sagt ein Gast mit Lesebrille. Als die Redezeit eingeblendet wird und gleich ist, bemerkt eine junge Frau: “Also doch ein Duett!”

21.02 Uhr – Die Familie

Merkel und Steinmeier streiten über Atomkraft.

Jetzt hat Frank Henning auch was zu sagen, das ist sein Anliegen, damit hat er sich beschäftigt: Wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet würden, “geht hier keine Glühbirne aus”.

Die Piraten

Die Gruppe wird wieder aufmerksamer. Zwischenfrage einer Piratin: “CDU hat keinen Ausstiegszeitpunkt genannt, oder? Nein, nur über 2020 hinaus.”

Die Erstwähler

Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen.” Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor Schwarz-Gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

21.14 Uhr – Die Stammgäste

Die Bankenkrise ist Duell-Thema.

Eine ältere Dame thematisiert den Gehaltsunterschied der beiden Frauen Merkel und Illner. “Die verdient ja viel mehr als Merkel.” Ihr Nebenmann fügt hinzu: “Und ist produktiver.” Als Steinmeier auf das Thema auf Fehlverhalten der Banken kommt, sagt ein Mann: “Und der ist seit acht Jahren im Amt.”

Die Piraten

Auf dem Sofa kommt die Frage auf: “Gibt es eigentlich eine Pause?” Wieder die Idee, in der Werbepause mal zu den Simpsons zu schalten.

21.21 Uhr – Die Familie

Steinmerkel spricht über Kredite für den Mittelstand.

“Er hält quasi ein Referat”, sagt Henning. Steinmeier sei sachlich, so reiße er niemanden mit – aber Merkel sei ja auch nicht so heißblütig. Der 42-Jährige schüttelt den Kopf. So würden die Zuschauer wohl nicht zum Wählen motiviert. “Das ist kein Duell. Eigentlich machen die da eine nette Unterhaltung. Da ist kein Pfeffer drin”, sagt Julia Henning.

21.27 Uhr – Die Erstwähler

Merkel spricht über Steuersenkungen.

Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, sagt Jonas. Pierre: “Und selbst wenn sie die Steuern senken, dann ist das immer noch höher als früher.”

Die Familie

Julia Henning legt das Strickzeug weg. “Endlich mal!” ruft sie und sieht auf die Uhr. Eine Stunde haben die Politiker gebraucht, bis sie miteinander diskutieren. Da freut sich nicht nur Plasberg.

21.34 Uhr – Die Piraten

Merkel spricht über die Gesundheitspolitik.

Wieder stärkere Aufmerksamkeit gen Fernseher, dann Enttäuschung. “Wie wäre es eigentlich mit Abschaffung der Gesundheitskarte?”, fragt einer. Doch diese Frage kommt nicht.

21.37 Uhr – Die Stammgäste

“Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen, alles soll gleichgemacht werden”, sagt die Dame in Kostümjacke mit Perlenohrringen. “Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

“Eigentor!” frohlockt ein bärtiger Gast, als Steinmeier ohne Not die Dienstwagenaffäre erwähnt.

21.39 Uhr – Die Erstwähler

Der Zeitkontenvergleich

Merkel hat bisher länger geredet als Steinmeier, aber den Jungs kommt es anders vor. “Was? Steinmeier hat doch viel länger geredet”, sagt Max. Der Herausforderer punktet im Osnabrücker Wohnzimmer. Jonas: “Der ist halt schon charismatischer als die Merkel.”

21.40 Uhr – Die Piraten

Steinmeier zu Afghanistan

Ein Piratin seufzt, schlendert mit der Teetasse in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Steinmeier spricht von der Gefahr, dass bei Abzug der Truppen alle Mädchen wieder in den Keller müssten, die Bauern wieder Drogen anbauen würden. Außenpolitik ist jetzt nicht unbedingt ein Thema der Piratenpartei. Trotzdem der empörte Einwurf aus der Küche: Ist ja ein schönes Bild, das er da von Afghanistan hat!

21.45 Uhr – Die Familie

Limbourg nennt Merkel und Steinmeier “älteres Ehepaar”.

“Das hab ich auch gerade gedacht”, sagt Frank Henning und lacht: “Nettes Pärchen.”

21.47 Uhr – Die Familie

Steinmeier: Opposition kommt auf keinen Fall in Betracht.

Frank Henning schüttelt den Kopf – genau das will er nicht. Eine Neuauflage der Großen Koalition “würde die SPD völlig kaputt machen”, hatte er schon vor Beginn der Sendung gesagt. Dann sollte sie lieber in die Opposition gehen, denn sonst würde “Angie” alle Erfolge für sich beanspruchen. Julia Henning hat das Strickzeug weggelegt.

21.49 Uhr – Die Erstwähler

Politische Farbenspiele im TV-Duell.

Wer mit wem? Steinmeier in der Defensive. Wie hält er es mit der FDP, wie mit der Linken? “Eigentlich wissen die bei der SPD ja, dass sie einen dritten Partner brauchen.” Aber die FDP soll das nicht sein, zumindest nicht für Max und Jonas. Sie befürworten eine rot-rot-grüne Lösung. Dass Steinmeier das ausschließt, finden sie nicht gut. Pierre und Oskar würden eine Ampelkoalition mit der FDP bevorzugen. “Ich glaube, dass das demokratischer wäre, wenn man bei Rot-Grün noch Gelb dabei hat”, sagt Pierre.

21.54 Uhr – Die Stammgäste

Merkel kommt in Fahrt. Das trifft den Nerv der Zuschauer in der “Peitsche”. Zustimmung, als sie Steinmeier angreift und über eine mögliche Koalition von SPD und Linke spricht. “Jetzt kommt sie ja mal langsam. Hat ja lange gedauert.” – “Super, gut.”

21.57 Uhr – Die Piraten

Steinmeiers Schlussstatement.

Stille.

Die Stammgäste

“Aus der Krise…”, setzt Steinmeier an.

“Nicht mit der SPD!” ruft ein Mann in die Runde. “Das hat mit der vorherigen Diskussion nichts zu tun”, kritisiert ein Gast. “Auswendiggelernt!” Überzeugen kann der Herausforderer die Kneipengäste der “Peitsche” nicht.

Eine Dame fordert die anderen Gäste auf, Steinmeier aussprechen zu lassen. Absolute Ruhe beim Endstatement der Kanzlerin. Applaus brandet auf, als Merkel fertig gesprochen hat. “3 zu 1 für Merkel”, glaubt ein Gast. Für die Gäste der Peitsche steht der, pardon, die Siegerin fest.

Die Erstwähler

Auch bei den vier Jungs ist die Sache klar: Der Auftritt des Herausforderers hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie es Jonas ausdrückt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Max nervt, “dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben”.

Jonas sagt: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.”

Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

Die Piraten

Einstimmigkeit unter den Piraten: Die Moderatoren haben gewonnen! Steinmeier hat zumindest zu kämpfen versucht. Doch Merkel ist nie auf ihn losgegangen. Hauptstrategie: keine Angriffsfläche bieten. Deshalb kam keine Diskussion auf.

Die Familie

Wer ist Sieger? “Beide”, ruft Julia Henning spontan – schließlich habe es kaum Konfrontation gegeben. “Das plätscherte so vor sich hin.”

Das Duell Stoiber-Schröder war viel aufregender, findet sie.

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Friede, Freude, Wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=friede-freude-wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/#comments Sun, 13 Sep 2009 12:21:48 +0000 Lena Gürtler, Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=3041 Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Krieg oder Frieden – ein hoch emotionales Thema, das nicht zum ersten Mal über Wahlsieg oder –niederlage entscheiden könnte. Nach der Linken versucht nun auch die SPD, mit ihrem Afghanistan-Papier ihr Friedensprofil zu schärfen. Nagelprobe für die Friedensrhetorik der Wahlkämpfer: Ein Besuch in der Hochburg der Friedensbewegung im niedersächsischen Osnabrück.

Eine Collage aus Zeitungsausschnitten: Schlagzeilen über Deutschland im WM-Fieber neben Bildern von ausgebombten Häusern im Libanon. Darüber legt sich ein halbtransparentes Muster aus Rottönen – erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es Gefangene in Guantanamo sind. Sylvia Lüdtke thematisiert in ihren Bildern die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden. “Ein tiefes Friedenssehnen” treibt die Künstlerin an. Eine Sehnsucht, die sie mit einer ganzen Stadt teilt: In Osnabrück wurde 1648 der Dreißigjährige Krieg mit dem westfälischen Frieden beendet. Bis heute steht auf dem gelben Schild am Ortseingang “Friedensstadt.”

Allein 43 Organisationen beschäftigen sich in Osnabrück mit dem Thema Frieden. Zusammen mit ihren Kindern geht Sylvia Lüdtke auf die regelmäßigen Friedensdemos in der Stadt, protestiert dabei auch gegen einen Krieg, der in Deutschland offiziell nicht so genannt werden darf. Die deutschen Truppen in Afghanistan sind auf “Friedensmission”. Ein Thema, das die Osnabrücker umtreibt, gerade auch im Wahlkampf. An einer Autobahnabfahrt hat jemand quer über den FDP-Slogan “Raus aus Afghanistan” geklebt. Nicht unbedingt eine Forderung der Liberalen. Der Spruch klingt sehr nach der Linken. Die versuchen schon lange, mit dem Krieg am Hindukusch Wahlkampf zu machen.

Die anderen Parteien geraten in Zugzwang, müssen Position zu Afghanistan beziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Frage um Krieg und Frieden die Wahl mitentscheidet: 2002 hat sich Gerhard Schröder durch sein “Nein” zu deutschen Truppen im Irak noch einmal auf den Kanzlersessel gerettet. In diesem Wahlkampf also Afghanistan, mit einem Unterschied: Deutsche Soldaten sind schon da, die Positionierung der Parteien wird dadurch ungleich schwieriger, ein Samthandschuh-Thema für die Parteien.

Anders die Osnabrücker. Sie suchen die Auseinandersetzung mit dem Thema. “Das Friedensthema ist ansteckend, Osnabrück ist ein friedensbewegter Ort”, sagt der Politikwissenschaftler Roland Czada. Er ist Professor an der Osnabrücker Universität und Leiter der Osnabrücker Friedensgespräche. Diese Veranstaltungen seien immer voll, in anderen Städten habe er das bei ähnlichen Themen ganz anders erlebt. Kürzlich hatte Friedensforscher Czada zu einer Diskussion über den Truppeneinsatz in Afghanistan geladen: “Das Thema wurde von den Osnabrückern viel kontroverser diskutiert als von den Parteien: Die fetzten sich wirklich: war es richtig, da reinzugehen oder zwingen wir uns den Afghanen auf?” Nach Meinung des Politikwissenschaftlers hat Steinmeier mit seiner Festlegung auf ein Abzugsdatum ab 2013 das einzig Richtige getan: “Er profiliert sich im Wahlkampf zunehmend auf dem Feld, für das er als Minister zuständig ist: die Außenpolitik.”

Die CDU hingegen bringe das Thema Afghanistan in die Bredouille, sagt Czada. Ihr Verteidigungsminister ist – wenn er überhaupt mal auftaucht – in Erklärungsnot. Wenn Soldaten tot aus Afghanistan nach Deutschland gebracht und gleichzeitig die Rufe nach Abzug noch lauter werden, darf Franz Josef Jung die Soldaten nicht einmal “Gefallene” nennen. Auf ein Ende des Einsatzes der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan will sich die CDU nicht festlegen. Der Einsatz am Hindukusch taugt für die CDU nicht dazu, Wahlkampf-Punkte in einem Land zu sammeln, in dem mehr als jeder zweite Bürger für einen schnellen Abzug ist.

Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

Die überklebten FDP-Plakate sind eigentlich eine hervorragende Vorlage für die Wahlkampfrede von Guido Westerwelle an diesem Nachmittag in Osnabrück. Die Wahlkampfbühne ist vor dem Rathaus aufgebaut. Hier befindet sich der “Friedensaal”, in dem Katholiken und Protestanten den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Überall in der Innenstadt verteilt: Rostrote Installationen, aus denen Apfel-Bäume wachsen. Sie erinnern an die Varus-Schlacht vor 2000 Jahren. Das Thema Krieg wird auch beim FDP-Chef vorkommen: Er spricht über die Abrüstung von Atomwaffen. Die Frage nach dem Truppenabzug aus Afghanistan lässt er geflissentlich beiseite.

“Für die FDP und die Grünen ist das Thema nur begrenzt wahlkampftauglich”, sagt Friedensforscher Czada. Die FDP wolle es sich nicht mit der CDU als mögliche Koalitionspartnerin verderben. Die Grünen wiederum haben als ehemals friedensbewegte Partei, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an mitgetragen. Nicht selten werden sie von ihren Anhängern dafür angegriffen. Afghanistan ist für die Grünen ein Thema, das sie lieber nicht in die Schlaglichter des Wahlkampfes rücken wollen, so Czada. “Wenn eine Partei mit dem Thema Wählerstimmen holen kann, dann ist es die Linke.” Sie ist grundsätzlich gegen deutsche Soldaten im Ausland und scheint damit den Friedens-Nerv vieler Wähler zu treffen. “Grundsätzlich sehnen sich die meisten Menschen nach Frieden. Damit wird jede Diskussion um Afghanistan auch zu einer emotionalen Gradwanderung”, so der Friedensforscher.

“Ich habe Angst vor Krieg” oder “Wenn alle Herzen gleichzeitig im Takt für den Frieden schlagen würden, dann hätte man ein Erdbeben der Stärke sechs.” Das haben Ausstellungsbesucher in Sylvia Lüdtkes Friedensbücher geschrieben. Die Künstlerin fordert die Betrachter ihrer Bilder auf, ihre Wünsche und Gedanken niederzuschreiben. Das erste Mal hat Lüdtke die Friedensbücher in Osnabrücks türkische Partnerstadt Canakkale ausgestellt. Seitdem füllt sich Buch um Buch. Kunst gegen die eigene Furcht. Lüdtkes Vater ist Offizier: “Ich habe erst spät begriffen, dass mein Vater auch in den Krieg ziehen könnte. Das hat mir Angst gemacht.” Einen schnellen Abzug der Truppen aus Afghanistan hält sie trotzdem für zu riskant. “Abzug bedeutet noch kein Frieden.”

Ein Argument, um das auch die Linke im Wahlkampf eigentlich nicht herumkommen dürfte. Nur einen Tag nach Westerwelle hält Gregor Gysi vor dem Osnabrücker Rathaus eine Wahlkampfrede. Im Gegensatz zu seinem FDP-Widersacher fordert er vehement den Truppenabzug aus Afghanistan: Durch Kriegseinsätze könne man keinen Frieden schaffen. Applaus. Gysi und seine Partei sind die einzigen, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnen. Glück für ihre Wahlkampfstrategie: Denn nur wer von Krieg spricht, kann von Frieden reden und damit Wähler locken.

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TV-Duell: Merkels Heimspiel in der Kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:39:00 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2700 Osnabrueck_duellabend

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Die Straßen in Osnabrück sind an diesem Sonntagabend wie leergefegt. Das mag an Osnabrück liegen. Oder daran, dass TV-Duell-Zeit ist. In der “Peitsche” sammeln sich die Anhänger der Kanzlerin.

Die Kneipe, in der sich der bürgerliche Konservatismus versammelt, trägt den einprägsamen Namen “Peitsche”. Nicht “Zur Peitsche”, einfach “Peitsche”. Draußen ist angeschlagen, was heute geboten wird: “Angie vs. Steini live auf der Leinwand”. Das lockt immerhin knapp 30 potentielle Wähler in den zugequalmten Hinterraum. Die dunkle Holzvertäfelung hat wie viele der Zuschauer das Rentenalter erreicht. Der Wirt Sebastian Heukamp hingegen ist Vertreter der Jungen Union. Mit 35 Jahren.

Heukamp nimmt es sportlich, dass der Wahl-O-Mat ihm empfohlen hat, für die Piratenpartei zu stimmen. Erstaunt sei er schon gewesen, aber das politische Weltbild ist nicht in Gefahr. Als Steinmeier sich auf der Leinwand als einzig wahrer Opel-Retter in Szene setzt, zischt Heukamp nur: “Privat fährt der wahrscheinlich Mercedes.” Es soll wohl so etwas wie ein Argument sein.

Seine Gäste tauen nach dem zweiten Bier langsam auf. Ein Senior beschimpft Steinmeier als “Lügner” und “Mistkerl”. Er hat schon zwei Schnäpse Vorsprung. Dabei ist auf der Leinwand bisher nur Friede, Freude, Eierkuchen. Als Frank Plasberg die Duellanten daran erinnert, dass eigentlich Wahlkampf mit Betonung auf Kampf herrscht, raunt ein Mann hinter seiner Lesebrille: “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren.” Schon ist ein konsensfähiges Thema gefunden: “Die Illner verdient ja viel mehr als Merkel”, sagt eine resolute Dame. Obwohl beide aus Ostdeutschland kämen. Ihr Nebenmann sieht die Chance für einen Lacher: “Und sie ist produktiver”, setzt er nach. Kichern.

Im Fernsehen geht es jetzt um Ulla Schmidt und die Gesundheitsreform. In der “Peitsche” geht es um ihren Dienstwagen. Als auch Steinmeier das Wort Dienstwagen in den Mund nimmt, frohlockt ein bärtiger Gast: “Eigentor!” Jetzt hat die Dame ihren Auftritt, die findet, dass die Kanzlerin zu wenig verdient. “Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen”, sagt sie. “Alles soll gleich gemacht werden. Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

Endlich versucht die Kanzlerin so etwas wie eine Offensive, greift die linke Flanke ihres Herausforderers an. Die SPD würde ja auch mit der Linken undsoweiter. In der Peitsche ist man zufrieden bis begeistert. “Jetzt kommt sie ja mal langsam, hat ja lange gedauert”, sagt Einer. “Super, gut”, sagt ein Anderer.

Dann setzt Steinmeier zum Schlusswort an, spricht direkt in die Kamera und damit direkt in die “Peitsche”. Er hebt an: “Aus der Krise…” Doch weiter kommt er nicht. “Nicht mit der SPD! “, stößt es aus einem Gast heraus. “Auswendiggelernt!”, ruft sein Nachbar. Es wirkt so, als würde ein Kind “Ätschi-Bätsch!” rufen, auch wenn es etwas anders klingt. Bei Merkels Schluss-Statement herrscht dann andächtige Stille. Als sie fertig ist, applaudieren die Gäste. Die Kanzlerin ist in der “Peitsche” die klare Siegerin. Auch wenn es dafür kein TV-Duell gebraucht hätte.

Text: Jens Christian Kage, Christian Salewski

siehe auch: Steinmerkel im TV

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TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

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