Wahlfahrt09 » SPD http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Wahlfahrt09 – das war’s http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlfahrt09-das-wars http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/#comments Mon, 28 Sep 2009 13:29:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3404

20090928_wahlfahrt09_reichstag

Foto: Jörn Neumann

DEUTSCHLAND. Deutschland vor der Wahl jenseits der politischen Ballungszentren erleben – die Wahlfahrt09 reiste in 50 Tagen durch 20 Orte im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands: Dabei führte die Tour über Eisenhüttenstadt hinunter nach Konstanz, über Leidingen nach Duisburg-Marxloh, in den hohen Norden nach Breitenfelde und Wismar, übers Wendland und schließlich nach Haldensleben in der Börde.

Am Wahlfahrt09-Stand zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt Haldensleben. Wochenlang haben wir gewartet, um 18 Uhr sind die Prognose und die ersten Hochrechnungen da: Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ein Passant mit Sonnenbrille und Eishörnchen kommentiert: “Also ich hab die nicht gewählt.” Auch das Team der Wahlfahrt09 ist überrascht – denn Menschen, die CDU und FDP nahe stehen, haben wir auf unserer 50-tägigen Reise durch 20 Orte kaum getroffen.

Ein Rückblick auf einen Wahlkampfbesuch auf dem Heumarkt in Köln vor zwei Wochen: An diesem Abend wird Steinmeier auftreten, schon am frühen Nachmittag prangt der überdimensionale SPD-Würfel auf dem leeren Platz. Die Volkspartei gibt sich modern und interaktiv: Die Jusos haben junge Frauen angestellt, die andere Frauen mit einem „Ich kann Aufsichtsrat“-Schild fotografieren. An einem Touchscreen lassen sich personalisierte Wahlkampfprogramme ausdrucken. Eine Hartz-IV-Empfängerin humpelt über den Platz. Nach zwei Bandscheibenvorfällen kann die ehemalige Fleischerin nicht mehr arbeiten. Sie will sich Steinmeier nicht ansehen, denn die Politiker, sagt sie, lügen doch alle.

Viele sehen keine Perspektive mehr

„Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben“, tönt Steinmeier am Abend auf dem Höhepunkt seiner Wahlrede. Es wirkt antrainiert, ein reiner Slogan. Selbst Stammwähler der Partei, die in einer Kneipe am Rand sitzen, überzeugt das nicht. In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 3,47 Millionen Arbeitslose, Tendenz steigend. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht in jedem Parteiprogramm – bei einigen auch gemeinsam mit dem kleinen Bruder der Vollbeschäftigung, dem Mindestlohn. Menschen wie die Fleischerin treffen wir oft auf der Wahlfahrt: Die sich von niemandem repräsentiert fühlen, die vieles verloren haben, die keine Perspektive mehr für sich sehen.

In Wismar sind durch die Schließung der Werft 1200 Menschen in Kurzarbeit. In Halle hat der Strukturwandel ganze Stadtteile entvölkert. Die Krise findet sich sogar in wohlhabenden Kommunen wie Konstanz – dort waren in diesem Jahr die Campingplätze ausgebucht, weil viele Deutsche kein Geld mehr für den Auslandsurlaub haben. Selbst in Wiesbaden mit seiner hohen Millionärsdichte stehen die Arbeitslosen trotz öffentlichem Trinkverbot in den Seitenstraßen.

Deutsche Problemecken

In Duisburg-Marxloh, wo türkische Brautmodenläden viele deutsche Geschäfte verdrängt haben, bevölkern vor allem Deutsche die „Problemecken“ des Stadtteils. So nennt der dortige CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland die deutschen Drogenabhängigen auf den Bänken am Marktplatz, die seit der Schließung der Fixerstube keinen Anlaufpunkt mehr haben. In der Marktklause gegenüber von unserem Stand sitzen schon früh morgens die Alkoholiker und trinken ihre Schnäpschen zu lauter 80er Jahre Schlagermusik. Zwischen denWahlkampfplakaten von Linkspartei und SPD hängen Schilder mit dem Slogan „Aufbau Duisburg statt Aufbau Ost“.

Diese Beobachtungen sind zum Teil natürlich auch dem Konzept der Wahlfahrt09 geschuldet: Wir parken an zentralen Plätzen der Stadt, arbeiten dort an Biertischen unter freiem Himmel. Natürlich treffen wir also vor allem Leute, die keinen Ort haben, an dem sie sein müssen: Arbeitslose, Rentner, Obdachlose. Ihre Probleme bekommen wir auf der Wahlfahrt09 besonders häufig mit. Viele sind unzufrieden: Sie bekommen zu wenig Rente, zu wenig Hartz IV, reden sich in Rage, werden laut, deuten mit Zeigefingern auf uns, wenn sie die Politiker beschimpfen, mal als Abzocker, mal als Lügner, mal als Verbrecher.

Aufbau Ost, Abbau West

Das ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten wie im Westen gleich. In Eisenhüttenstadt, wo seit der Wende tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind, wird gerade für 630 Millionen Euro ein neues Papierwerk gebaut, gefördert mit Mitteln der EU – ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade mal 600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Im niederfränkischen Hof leiden die Betriebe unter der Konkurrenz aus dem Osten, die noch gefördert wird – während im Westen, wo nichts zu fördern ist, das Problem der Arbeitslosigkeit viel stärker zu Tage tritt.

Dort lässt sich die Arbeitslosigkeit noch nicht einmal mit dem Versagen des Sozialismus erklären. Unsere Reise macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen und die Verwerfungen in der internationalen Arbeitsteilung viel weiter reichen, als es die Deutschen wahrhaben wollen. Mag sein, dass Deutschland Exportweltmeister ist, dass eine zukünftige Bildungsoffensive oder der Ausbau regenerativer Energien und grüner Technologien zukünftige Generationen beschäftigen wird – aber Hunderttausende sind im Hightechland überflüssig geworden. Sie sitzen jetzt in den Problemecken, lungern vor dem Supermarkt herum, sammeln Flaschen und durchwühlen Mülleimer.

Engagement und Gesicht zeigen

Doch es gibt auch Lichtblicke: Es kommen viele engagierte Menschen zum Wahlfahrt09-Stand. Sie arbeiten ehrenamtlich für Bürgerinitiativen, den städtischen Sicherheitsdienst in Görlitz oder als Sporttrainer im Wismarer Kanuverein. Menschen, die sich für konkrete Anliegen engagieren: Der Rentner, der sich für das deutsch-polnische Verhältnis in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec einsetzt und gegen die NPD Gesicht zeigt; der Azubi, der in seiner Freizeit im Bürgerradio die Spitzenkandidaten des Landtags interviewt oder die Studenten vom Postkult e.V. in Halle-Glaucha, die mit einem Gemeinschaftsgarten gegen den Leerstand in ihrem Stadtteil ankämpfen und die Bürger dort wieder zusammen bringen wollen. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, Rentner, Akademiker und Studenten.

Auf eine Bewegung der sozial Schwachen treffen wir aber nicht. Ein LKW-Fahrer, den wir auf einem Rastplatz trafen, drückte es so aus: „Wir könnten ja mal demonstrieren gehen. Aber dafür geht es uns wohl noch nicht schlecht genug.“ Nur einige Hartz-IV-Empfänger in Wiesbaden machen den Gegenangriff auf die öffentliche Wahrnehmung: Die „Initiative neue soziale Gerechtigkeit“ plakatiert alle zwei Wochen die Stadt mit schwarzweißen Postern, auf denen sie von Schikanen, Demütigungen und rechtswidriger Behandlung von Hartz IV-Empfängern sprechen und die Mitarbeiter zuständiger Behörden namentlich anprangern. Mehrheitsfähig sind sie mit ihrem umstrittenen Vorgehen aber nicht.

Ganz besonders leise sind die Frauen. Wir sprechen Passantinnen gezielt an, weil von selbst immer nur die Männer kommen. Sie sagen zwischen den Zeilen, dass sie in der Krise Besseres zu tun haben als zu politisieren. Wer soll sich um Kinder und Haushalt kümmern, wenn die Männer auf den Straßen abhängen? Wie das Überleben sichern? Manch eine gesteht, dass es ohne die Lebensmittelspenden von der Tafel nicht ginge.

Afghanistan, Europa und Außenpolitik sind kein Thema

Wohl auch, weil die Bundeswehr ein sicherer Arbeitgeber ist, gibt es von den Menschen, die im Bundeswehrstandort Sigmaringen leben, kaum Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nur selten gab es so etwas wie grimmige Solidarität und Unterstützung für “unsere Jungs da unten”. Für viele junge Männer sind die Bonuszahlungen für Auslandseinsätze eine willkommene Einnahmequelle, auch wenn nur wenige wirklich vom Sinn des Einsatzes überzeugt sind. Afghanistan ist ein Thema, das weder im Wahlkampf noch in unseren Gesprächen an vorderster Stelle stand. So war es auch mit anderen außenpolitischen Fragen, etwa wie Deutschland sich innerhalb Europas positioniert.

Aus der Perspektive der ausländischen Wahlbeobachter, die wir am Rande eines Wahlauftritts von Gregor Gysi in Halle trafen, ist besonders die wichtigste Frage im Wahlkampf ausgeklammert worden: Wie die Wirtschaftskrise und das Arbeitslosenproblem eigentlich konkret gelöst werden sollen, sobald die Wahl vorbei ist. Der Franzose Jay Rowell wundert sich: „Es müssen schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen.“ Offenbar gebe es einen Konsens, „diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen.“

Auch sein holländischer Kollege Ton Nijhuis wundert sich über den Wahlkampf: Wenn viele Menschen nicht daran glaubten, dass die Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, werde das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert: „Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.“

Die Wahlfahrt09-Analyse

Gleichzeitig fischt Gregor Gysi auf dem Hallenser Marktplatz nach Proteststimmen: „Selbst wenn Sie Grüne oder SPD wählen wollen – wenn Sie wollen, dass diese Parteien wieder sozialere Politik machen, müssen Sie die die Linke wählen.“ Protest wählen scheint vielen Menschen die letzte Lösung zu sein: Linkspartei, NPD oder ungültig stimmen.

Die politische Stimmung im Land, das ist das Fazit der Wahlfahrt, ist stark abhängig von der ganz persönlichen Lebenssituation der Menschen. Die Grünen wählen diejenigen, die unter Flugschneisen und in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben wohnen.

Und so betrachten wir am Ende unserer Reise das Wahlergebnis aus der Perspektive unserer Gesprächspartner: Zwar hat die Koalition aus CDU und FDP genug Stimmen bekommen, um das Land zu regieren. Aber nimmt man die rund 30 Prozent Nichtwähler und die vielen Protestwähler zusammen: Dann stehen hinter diesem Wahlergebnis vor allem Millionen Deutsche, die ein Gefühl eint: Keine Wahl gehabt zu haben.

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Ohne mich http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=landkreis-im-demokratischen-vorruhestand http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/#comments Sun, 27 Sep 2009 21:25:09 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3514 BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

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“Die Deutschen lieben Obama, aber trotzdem hassen sie Amerika!” http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-deutschen-lieben-obama-aber-trotzdem-hassen-sie-amerika/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-deutschen-lieben-obama-aber-trotzdem-hassen-sie-amerika http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-deutschen-lieben-obama-aber-trotzdem-hassen-sie-amerika/#comments Fri, 25 Sep 2009 08:55:19 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3286 Foto: Jörn NeumannFoto: Jörn Neumann

HALLE. Andrei Markovits, Politikprofessor an der University of Michigan in Ann Arbor, veranstaltet zu jeder Bundestagswahl einen Wettbewerb unter seinen Studenten: Wer den Ausgang am besten tippt, bekommt eine Schwarzwälder Kirschtorte. Markovits selbst lag 2005 als Zweiter nur knapp daneben, diesmal tippt er folgendermaßen: SPD 26,8%, CDU 34%, FDP 13%, Grüne 9,2%, Linke 11,5%.  Er hat Einblick: Gerade ist er mit einer DAAD-Gruppe als Wahlbeobachter in Deutschland unterwegs. Mit der Wahlfahrt sprach er über den Niedergang der SPD, das Verhältnis zu Amerika und Obama im deutschen Wahlkampf – währenddessen lief im Hintergrund die Wahlkampf-Abschlussveranstaltung der Linkspartei mit Hauptredner Gregor Gysi auf dem Marktplatz von Halle.

Professor Markovits, gerade redet Gregor Gysi, wollen Sie den eigentlich nicht mit anhören?

Ach, er ist ein guter Redner, aber ich kenne ihn hervorragend, ich habe ihn schon 50 Mal gehört. Und ich schreibe gerade wieder ein Paper über ihn, im Vergleich mit Bruno Kreisky. Gysi als assimilierter Jude, bei dem das aber gar keine Rolle spielt, gegenüber Kreisky, bei dem jede Sekunde sein Judensein ein Issue war, für ihn, für Österreich, für beide, es war ein dauernder Tanz. Wenn das hier Westdeutschland wäre, würde es mich nicht interessieren, dort gab es ja eine Vergangenheitsbewältigung, aber in Österreich und im Osten nicht. Deswegen sind hier heute Rechtsradikalismus und Autoritarismus viel stärker als im Westen.

Sie nehmen das fünfte Mal an einer Wahlbeobachterreise in Deutschland teil. Was ist anders?

Ich erlebe den Wahlkampf eigentlich nicht viel anders, 1983, 1987, 1990, 1994, da war ich schon hier. Die Reise war anders, nur Männer, und eigentlich nur Amerikaner, Kanadier, Briten, Franzosen, Italiener. Und jetzt sind eine Nigerianerin, ein Chinese, ein Thailänder, eine Argentinierin dabei – die Welt ist anders! Und Deutschland ist größer geworden, damals sind wir nicht geflogen, nur mit dem Bus gefahren.

Und inhaltlich?

1983 war für mich sehr spannend, weil die Grünen gewonnen haben. An dem Abend hab ich Joschka Fischer kennengelernt. Das führte später zu meinem Buch “Grün schlägt Rot”.

Ist der Niedergang der SPD ein Resultat des Aufstiegs der Grünen?

Ich meinte nicht die Parteien, sondern dass der Welt-Diskurs vergrünt wird. Das ist so. Absolut. Und die SPD blutet, weil die Grünen das alles besetzt haben. Aber es gibt auch andere Gründe: Die SPD ist eine industrielle Männerpartei, es gibt heute weniger Industrie, und die Frauen sind ein viel wichtigerer Faktor. Aber das ist kein deutsches Problem, schauen Sie sich die SPÖ an! Die Labour Party, alle!

Welche Themen stehen für Sie im deutschen Wahlkampf im Vordergrund?

Es gibt keine übermächtigen Themen. Mich überrascht, dass es keine außenpolitische Debatte gibt. Das ist zwar nie entscheidend in einer liberalen Demokratie, aber Afghanistan, die Rolle der Nato – das ist null Thema! Oder Europa – das zeigt, dass die Europäische Union ein Konstrukt ist. Eine europäische Identität spielt in den Herzen der Leute keine Rolle . Nur wenn es um Amerika geht, ist das anders.

Wie meinen Sie das?

Die Europäer fühlen sich nur als Europäer, wenn es im Kontrast zu Amerika ist. “Wir Europäer sehen die Sache mit Kyoto anders.” Das ist eine emotionale Bindung, ein “Us versus Them”. Ansonsten ist Euroa aber kein emotionales Thema, und Emotionen sind das Wichtige in der Politik.

Also gibt es eher eine emotionale Bindung zu den USA – sind deswegen alle Deutschen Obama-Fans?

Es ist seltsam: Sie lieben Obama, aber trotzdem hassen sie Amerika! Diese Obama-Manie ist die andere Seite des Antiamerikanismus. Er wird als Europäer konstruiert, als kultiviert und Gegenstück zu Bush, als sensibel und fast als Sozialdemokrat. Doch das Bild bricht langsam. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, etwa über Afghanistan, wird diese Love Affair bald aufhören. Für mich ist diese Obamanie und die europäische Sicht auf Amerika total inkongruent.

Obama als Europäer? Dabei ist er doch eigentlich der Prototyp des American Dream…

Ja,  aber manche Europäer haben ein inferiores Bild auf Amerika. Das hat eine lange Geschichte, weil Amerika das erste nicht-aristokratische Land ist, das hat auch die deutsche linke Intelligenza übernommen. Ich finde das anmaßend: In Europa wäre es undenkbar, dass ein Halbschwarzer aus Kenia Stammender deutscher Kanzler wird. Oder zum Beispiel ein türkischstämmiger Bodybuilder Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Da ist Amerika Europa weit voraus!

Macht es für die USA einen Unterschied, wer in Deutschland die Wahl gewinnt?

Ich würde sagen: Null. Das ist dort total egal.

Die deutschen Parteien würden so gern Obama nacheifern. Haben Sie das im deutschen Wahlkampf gesehen?

Nach diesem faden Fernsehduell die Schlagzeile “Yes we gähn”, das war brillant! Aber im Wahlkampf ist hier nichts Ähnliches zu sehen. Wobei sich die Systeme auch nicht vergleichen lassen, das wäre nicht wie Äpfel und Birnen, sondern Äpfel und Kürbisse. Allein die Herangehensweise: Wir haben Frau Künast in Freising gesehen, mittags um 12 Uhr, vor 50 Leuten, und allein wir waren schon 20 davon. Ich habe nicht verstanden, warum sie das gemacht hat. Warum gehe ich in ein Land, wo ich eh nicht gewinnen werde, da gehe ich doch wenn dann nach München wie der Westerwelle. Aber ich bin mir sicher, der Grünen-Campaignmanager weiss, was er tut.

Welche Eindrücke nehmen Sie sonst mit aus Deutschland?

Etwas Tiefgründiges? Null! Aber indem ich nichts Wichtiges oder Erschütterndes mitnehme, sehe ich, dass es eine gut funktionierende, etwas fade, stabile Demokratie ist, in der die Entscheidungen wie in jeder guten Demokratie relativ klein oder nicht weltbewegend sind. Ob wir nun rot-schwarz oder schwarz-gelb in den nächsten Jahren haben – das ist eigentlich ziemlich wurscht.

Der Pole – “Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise”

Der Holländer – “Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns”

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„Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 17:47:42 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3274 20090924_wahlbeobachter_02

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Internationale Wahlbeobachter reisen auf Einladung des DAAD durch Deutschland. Der Politikwissenschaftler Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Leiter des Deutschland Institut Amsterdam (DIA) an der Universität von Amsterdam, ist einer von ihnen. Der Niedergang der großen Volksparteien ist ihm aus seiner Heimat schon bekannt – dort ist inzwischen die rechtspopulistische PVV die stärkste Partei. Mit der Wahlfahrt09 sprach er über Parallelen und Unterschiede zwischen den Niederlanden und Deutschland.

Sie haben die deutschen Spitzenpolitiker gesehen. Westerwelle, Künast oder Gysi – wer schreit am Lautesten?

Westerwelle hat mir gut gefallen. Nicht seine politische Programmatik, sondern seine Rhetorik. Da merkt man, dass die deutschen Politiker gegenüber den niederländischen sehr große rhetorische Vorsprünge haben.

Das ist ja nicht gerade das, was man Steinmeier und Merkel nachsagt…

Merkel und Steinmeier ähneln in dieser Hinsicht mehr den niederländischen Politikern. Der Wahlkampf zwischen diesen zweien, die Wahlkampfveranstaltungen und die Berichterstattung in der Presse – all das ist sehr langweilig. Da fühle ich mich zuhause, denn das ist in den Niederlanden genauso.

Sind die Deutschen also genauso langweilig wie die Niederländer?

Bei uns weiß man auch nie, wie es nach den Wahlen weitergeht. Alle koalieren mit allen, und im Wahlkampf versuchen die Parteien, alle politischen Streitigkeiten zu vermeiden. Sie sprechen die eigene Klientel an und polarisieren sonst nicht. Lagerwahlkampf wie früher in Deutschland gibt es nicht – aber hier auch nicht mehr. Es ist schon bemerkenswert, dass man eine Regierung hat und sowohl Kanzler als auch Vizekanzler sagen: Bitte nicht nochmal vier Jahre große Koalition. Da kann man schwer die Regierung abwählen.

Was ist für Sie neu in diesem Wahlkampf?

Deutschland nähert sich immer mehr der europäischen Realität an. Das Mehrparteiensystem, das Erodieren der Volksparteien, das ist in anderen Ländern schon sehr viel früher passiert. In den Niederlanden stellen die klassischen Volksparteien nur noch eine Minderheit. Was früher die politische Peripherie war, ist heute das Zentrum, und umgekehrt. In Deutschland sehe ich ähnliche Tendenzen.

Was könnten SPD und CDU vom niederländischen Beispiel lernen?

Leider haben wir bislang kein Erfolgsrezept. Bei uns ist die Lage sehr viel dramatischer: Die rechtspopulistische Partei „Groep Wilders“ ist inzwischen die stärkste Partei in den Niederlanden. Und die Partei hat wie viele Mitglieder? Ein einziges! Geert Wilders. Die sozialdemokratische PvdA, die mit der SPD vergleichbar ist, hat nur noch 15 Prozent; die christdemokratische CDA – also unsere CDU – kommt nur noch auf etwa 20 Prozent.

Was hat denn diese Entwicklung in den Niederlanden eingeläutet?

Die gleiche wie in Deutschland: Die klassischen Milieus, auf die sich die Parteien stützen, sind nicht mehr vorhanden. Man braucht da andere Strategien, um die Wähler zu binden. Die SPD hat Wähler verloren an die Linken und die Grünen, die CDR verliert ständig Mitglieder, hat sich aber von einer konfessionellen Partei zu einer Partei der Mitte um positionieren können. Der Unterschied ist, dass wir in den Niederlanden keine Fünfprozent-Hürde haben. Es gibt Parteien, die mit 0,7 Prozent ins Parlament einziehen. Es ist also sehr viel einfacher, eine Partei zu gründen.

In Deutschland hat sich die Piratenpartei gegründet, und wir beobachten viele Abspaltungen von jungen Parteimitgliedern, die selbst Parteien gründen oder direkt kandidieren.

Die haben aber keine Chance in Deutschland. In den Niederlanden haben wir im Parlament zwei Mandate der Tierpartei! Weil die anderen Parteien sich so sehr ähneln, macht es keinen Unterschied mehr, wer an der Macht ist. Und dann kann man mit einem einzelnen Thema ein Statement setzen, das einige Wähler überzeugt.

Wie verändert das den politischen Alltag, wenn man Einthemenparteien hat? Gibt es in diesen Parteien überhaupt genug Kompetenzen, um breite gesellschaftliche Themen wie Arbeit, Wirtschaft oder Gesundheit zu diskutieren?

Nein, aber das sind die anderen Parteien auch nicht. Generell ist es ein Luxus, dass man eine so stabile politische Kultur und soviel Konsens hat, dass man sich so etwas erlauben kann. Und wenn es uns wirklich um etwas Wichtiges ginge, dann hätten die Leute schon anders gewählt.

Das heißt, unsere Probleme sind noch nicht groß genug?

Das würde ich so nicht sagen. Ich möchte lieber über etwas sehr Positives in Deutschland sprechen: Die Mitte erodiert hier zwar und man hat mehr Parteien an den Rändern. Aber während andere Länder in Europa sehr große Wählerschaften an die rechte Seite des politischen Spektrums verlieren – in den Niederlanden sind das 25 %, in Belgien, Flandern und Frankreich gibt es dieses Phänomen auch – ist es der Bundesrepublik bis jetzt gelungen, dieser rechten Seite der Erosion keinen Raum zu lassen. Und im politischen Diskurs redet man viel verantwortlicher über heikle Themen als bei uns – so dass Rechts hier nicht salonfähig wird.

Gleichen sich Wahlkampf und Wahlwerbung in den Niederlanden und Deutschland? Was sind die augenfälligsten Unterschiede?

Die deutschen Parteien sind sehr viel professioneller, weil sie mit sehr viel mehr Geld ausgestattet sind, um den Wahlkampf zu organisieren. In Holland haben die Parteien fast kein Budget. Schaut man sich hier die Parteisitze von SPD und CDU an – das sind Riesengebäude mit wahnsinnig vielen Mitarbeitern. Dagegen gibt es bei uns nur kleine Vertretungen, da sind vielleicht fünf Mitarbeiter. In Deutschland gibt es laut Grundgesetz mehr Geld vom Staat.

Und gibt es auch Ähnlichkeiten?

Die Parteien in beiden Ländern haben ihren Charakter zu Staatsparteien verändert. Beide waren früher eine Brücke zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat. Wenn sich Parteien auf den Staat richten, das Geld von ihm bekommen und sich auf ihn positionieren, hat das zwei Konsequenzen: Sie werden immer mächtiger und die Wichtigkeit von Positionen und Ämtern nimmt gegenüber der repräsentativen Funktion ab. So verlieren die großen Parteien ihre Wurzeln in der Zivilgesellschaft – und das führt auch zu ihrer Krise.

Also muss man als Partei in der Opposition bleiben, um diesen Effekt zu verhindern?

Zumindest den Kontakt zur Bevölkerung wieder aufnehmen. Nehmen sie die Linke – das ist eine typische „Kümmerpartei“. Das gibt es so in Holland ebenfalls. Dazu gibt es eine weitere Reaktion in den Niederlanden: Anti-Establishment-Bewegungen jenseits des Parteiensystems wie den parteilosen Pim Fortuyn – oder Geert Wilders, der eine Partei hat, deren einziges Mitglied er selbst ist. Vor solchen Entwicklungen bietet das deutsche politische System gute Schutzmechanismen – etwa der Föderalismus, in dem so etwas zuerst auf Landesebene experimentiert werden muss und die Fünfprozentklausel.

Haben wir Deutschen ähnliche Probleme wie die Niederlande?

Es gibt die gleichen Strukturzwänge in allen Ländern wie Globalisierung und Finanzkrise, und keiner glaubt mehr, dass der Staat und die Politik noch in der Lage ist, diese Probleme zu lösen.
Wenn viele Leute antworten, dass sie nicht glauben, dass die Politik tatsächlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen kann, wird das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert. Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.

Wenn tatsächlich so viele Bürger bereits wissen, dass Wahlkampf lediglich symbolische Funktionen, aber kaum reale Konsequenzen hat – wie sinnvoll ist Wahlkampf als politisches Instrument dann überhaupt noch?

Wir brauchen Regierung und Opposition, die sich abwechseln, das müssen wir organisieren, Parteien sind eine Möglichkeit. Der Wahlkampf ist ein symbolischer Moment, in dem man die Menschen mobilisiert und diesen Wechsel symbolisch möglich macht. Aber ich sehe das nicht als eine Entscheidung, die vier Jahre trägt. Statt dessen sind Wahlen eine punktuelle Momentaufnahme einer politischen Stimmung. Wenn das so ist, dann sollten wir zu einem System kommen, in dem man zwischendurch viel mehr Möglichkeiten hat, punktuell zu messen – oder andere Forme von direkter Demokratie zu entwickeln, die über die Parteien hinaus gehen. Schließlich sind sie Organisationsformen mit Strukturen aus dem 19. Jahrhundert. Die ganze Gesellschaft hat sich aber modernisiert.

Gibt es Themen, die ihrer Meinung nach in diesem Wahlkampf zu kurz kommen?

Dieser Wahlkampf ist eine nationale Nabelschau. Und das, obwohl wir eine internationale Finanz- und Wirtschaftskrise bewältigen müssen. Ob Politiker, Experten oder Journalisten – alle reden nur über die deutschen Maßnahmen, die deutsche Finanzlage, die deutsche Politik. Man muss sehr viel nachfragen, um überhaupt ein Ausland zu entdecken. Europa ist ein Wort, das ich noch niemanden freiwillig habe benutzen hören. Kleine Länder wie Irland oder Portugal können sich einen europaskeptischen Standpunkt leisten. Aber wenn Deutschland sich seiner europäischen Verantwortung entzieht, ist das gravierend: Denn Deutschland ist das Land, dass die EU doch zusammenhält, es hat eine andere Verantwortung.

Der Pole – “Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise”

Der Amerikaner – “Die Deutschen lieben Obama, aber hassen Amerika”

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Die Wahl im internationalen Blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-wahl-im-internationalen-blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/#comments Thu, 24 Sep 2009 11:17:15 +0000 Lu Yen Roloff, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3384 GruppeWahlbeobachter bei GregorGysi

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Wir von der Wahlfahrt09 sind nicht die einzigen, die im Vorfeld der Bundestagswahl durch das Land reisen. Von unserer vorletzten Station Magdeburg machten wir einen kleinen Abstecher nach Halle, um dort ein internationales Wahlbeobachterteam zu treffen, das im Auftrag des Deutschen Akademischen Auslanddienstes unterwegs ist: 18 Wissenschaftler aus 18 Ländern, Politologen und Historiker mit dem Spezialgebiet Deutschland. Sie sind in Halle, um dem Wahlkampfabschluss der Linkspartei beizuwohnen und Gregor Gysis Rede zu hören. In den Tagen zuvor hörten sie bereits Renate Künast und Guido Westerwelle, den Wahltag erleben sie in Berlin – und werten dann die Reise gemeinsam aus. Vorab gaben uns die Wissenschaftler aus der Türkei, den Niederlanden, Frankreich, Argentinien, Polen und den USA schon eine kurze Zwischenbilanz ihrer Beobachtungen vor ihrem jeweiligen Hintergrund.

]]> http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/feed/ 0 Schiffbruch für die Politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schiffbruch-fur-die-politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/#comments Sun, 20 Sep 2009 23:49:23 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3166 HAfen

Foto: Lu Yen Roloff

WISMAR. Deutschlandweit ist die Werftindustrie von der Wirtschaftskrise betroffen. Die Wismarer Wadanwerft ging im September insolvent. Seither sind in der Stadt 1200 Menschen vorrübergehend bei staatlichen Transfergesellschaften beschäftigt, das Werftgelände stillgelegt. Kurz vor der Wahl wurde nun die Werft an den russischen Investor Igor Jussufow verkauft. Wie kommt der Wahlkampf bei den Wismarern in dieser Situation an?

Wismar, die alte Hansestadt an der Ostsee. Touristengruppen schlendern langsam über den Marktplatz, auf dem die Wahlfahrt09 ihren Stand aufgebaut hat. Dass Wahlkampf ist, sieht man nicht – die Stadt, deren Zentrum zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, hat sich, wie es in der Pressestelle heißt, aus „ästhetischen Gründen“ gegen jede Form von Werbung im historischen Zentrum entschieden. Erst in der so genannten „Welterbe-Pufferzone“ am Hafen beginnen die Plakatierungen der Parteien.
Wahlkampf fände in Wismar praktisch nicht statt, sagt auch Katharina Glücklich, Besitzerin eines kleinen Cafes in der Wismarer Altstadt. „Vielleicht werden mal irgendwo ein paar Fähnchen verteilt, mehr aber auch nicht.“ Generell sei die Stimmung jedoch wieder besser in der Stadt, seitdem der russische Investor Igor Jussufow die Werft für 40 Mio Euro gekauft habe. Laut Schätzungen der IG Metall Küste sollen von den rund 1200 Arbeitsplätzen in Wismar die Hälfte erhalten bleiben. Doch momentan liegt die Montagehalle der Wadan-Werft brach. Nur fünf Sicherheitsleute bewachen das Gelände, die anderen Mitarbeiter warten zuhause darauf, wie es weitergehen soll. Wie kann Wahlkampf in dieser Situation stattfinden? Und was denken die Wismarer Bürger über die Krise? Das Team der Wahlfahrt09 schwärmte in die Stadt aus und sprach mit den Wismarern über ihre Situation.

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Foto: Milos Djuric

Der stellvertretende Bürgermeister

Die Wege der kommunalen Politik in Wismar sind kurz und unbürokratisch. Ob die Oberbürgermeisterin von Wismar Rosemarie Wilcken (SPD) zu sprechen sei, wollte die Wahlfahrt telefonisch vom Pressesprecher der Stadt wissen. Der winkte aus seinem Bürofenster im dritten Stock des Rathauses den Wahlfahrern auf dem Marktplatz zu. Nein, Frau Wilcken sei leider verhindert, aber ihr Stellvertreter Thomas Beyer (SPD) sei da. Etwa eine halbe Stunde später kommt Beyer strammen Schrittes über den Marktplatz gelaufen und setzt sich zum Gespräch ans den Stand. Die Werftinsolvenz sei ein Schock für die Stadt gewesen, andererseits hätte Wismar schon mehrere Werftenkrisen überstanden, sagt er. In so einer Situation müssten sich die Parteien jetzt anstrengen, bei der Bevölkerung von Wismar zu landen. Besonders der Wahlkampf sei schwer: “Das Misstrauen der Leute gegenüber einfachen politischen Parolen ist zu spüren.“ Große Wahlkampf-Veranstaltungen würden erfahrungsgemäß gar nicht funktionieren. Auch könne ein Wahlkämpfer um die derzeitige wirtschaftliche Unsicherheit der Stadt nicht herumreden: „Die Leute wollen konkrete Aussagen, was aus dem Standort Wismar wird. Es bringt nichts, den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen.“ Dennoch gibt er sich zuversichtlich: „Wir sind krisenerprobt. Die Stadt ist robust und wir können auf die Erfahrung aufbauen, dass sich Engagement lohnt.” Lena Gürtler und Christian Salewski

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Foto: Lu Yen Roloff

Der arbeitslose Schiffbauer

Zischend landen die Würste auf dem Grill vor den alten Kanuschuppen. Seit er arbeitslos ist, verbringt Thomas Fischer viel Zeit in seinem Kanuverein in Wendorf – Kinder trainieren, mit Freunden grillen, selbst aufs Meer rauspaddeln – alles, damit ihm nicht die Decke auf den Kopf fällt. Fischer erinnert sich an seine letzte Nachtschicht in der Montagehalle am 31. Juli. Die Fähre lag zu 85 % fertig im Wasser, am Bug der Schriftzug „Make good times“. In den versteckten Nischen unter Deck habe der ein oder andere ein Nickerchen gehalten – man war ohnehin nur noch pro forma da. Am Schichtende erfuhr Fischer, dass er am nächsten Tag nicht wiederkommen brauche: „Die hatten schlichtweg vergessen, uns Bescheid zu sagen“. Wie viele ehemalige Werftarbeiter wartet Fischer seither auf einen Brief der mit 20,5 Millionen Euro vom Land Mecklenburg-Vorpommern finanzierten Transfergesellschaft, wie es weitergehen soll. Er versuche, Kontakt zu anderen Arbeitslosen zu halten, gehe zu Veranstaltungen der IG Metall. Es gingen viele Gerüchte unter den ehemaligen Arbeitern herum: Dass bereits eine Liste feststünde mit 200 Personen, die wieder beschäftigt werden sollen. „Die Alten und Kranken, die werden aussortiert, klar.“ Fischer hofft auf gute Karten, schließlich sei er erst 40 Jahre alt. Doch Fischer denkt wie viele andere Wismarer, dass der neue russische Besitzer nur Know-How für die vom Unternehmen geplante Werft in St. Petersburg abziehen wolle: „Das wäre dann der Untergang für Wismar“. Die Politik interessiere sich nicht für die Werftarbeiter, ist sein Gefühl: “Opel ist der Regierung wichtiger gewesen.“ Und letztendlich könne sie auch nichts machen: „Die Firma ist Privatbesitz, der kann doch damit machen, was er will.“ Fischer wird die Linke wählen: „Momentan muss Deutschland einfach wachgerüttelt werden – und das kann weder die SPD noch die CDU.“ Lu Yen Roloff

Direktor

Foto: Lu Yen Roloff

Der ehemalige Direktor der Werft

Kleingartenkolonie „Hafenblick“ im Wismarer Stadtteil Wendorf. Dahinter ragt die große Montagehalle der stillgelegten Werft auf. Drei lang verheiratete Ehepaare sitzen bei Zwiebelkuchen und Bier in der Herbstsonne, darunter auch der ehemalige zweite Direktor der Werft. Der Senior kann eisern und mit verschränkten Armen über seinen Namen und seine früheren Aufgaben schweigen, „wegen meiner Frau“, wie er sagt. Die Werft sei zwar seit der Wende immer wieder in der Krise gewesen – aber die jetzige Stilllegung habe eine neue Qualität.
Doch der Wahlkampf gehe wenig auf die aktuelle Krise ein: „Die Plakate sind groß genug, was die wollen, steht drauf – aber was sie am Ende machen können, das kommt dann nach der Wahl“. Er erinnert sich gerne an die Zeit, als die Werft in Wismar nach 1946 als Schiffsreparaturbetrieb der Roten Armee aufgebaut wurde und die Einwohnerzahl der Stadt innerhalb von zehn Jahren von 42.000 auf 55.000 Menschen wuchs. Vor der Privatisierung beschäftigte die Werft noch 6000 Menschen, die Mitarbeiter produzierten auch den Strom und führten jede Reparatur selbst aus: „Davon brauchten wir 1000 Leute gar nicht“, sagt der ehemalige Direktor, „aber wir haben die so mitarbeiten lassen, die waren eingebunden.“ Statt den Menschen Hartz IV zu zahlen, sollte man doch wie damals den Betrieben das Geld geben – und dann eine Arbeitspflicht einführen. Er verschränkt die Arme: „Engels muss man nicht neu erfinden.“ Am Tisch ist man sich einig: „Wir gehen nur zur Wahl, damit die NPD nicht über 5 % kommt.“ Viele Wismarer würden in diesem Jahr wohl die Linke wählen – denn die SPD könne ohnehin nicht alleine regieren. Lu Yen Roloff

Protestwähler Site

Foto: Lu Yen Roloff

Der Protestwähler

Pitbull Arkie muss Gassi gehen. Heiko P. (32) schlendert über den Radweg, der parallel zur Ostsee zwischen den mit dichten Buchsbaumhecken abgeschirmten Kleingärten entlangführt. Auf der anderen Seite der Bucht rauchen die Schlote seines alten Arbeitgebers Holzegger. Bis letztes Jahr hat Heiko P. dort einen Jahresvertrag gehabt, „gut bezahlt“, sagt er. Dann kam die Wirtschaftskrise und über 50 Leute mussten gehen. Jetzt, wo die Werft 1200 Menschen entlassen habe, sei die Resignation groß unter seinen Freunden.
„Man kämpft sich von Jahr zu Jahr durch“, sagt Heiko P., der vorher im CD-Werk in Dassow gearbeitet hat und dort ebenfalls entlassen wurde. So wie viele Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern hätte auch dieses nur Subventionen abgegriffen: „Die haben für die fünf Millionen Fördergelder erst Sektchen mit dem Wirtschaftsministerium getrunken und dann fünf Jahre später die Firma kaputt gehen lassen.“
Weil er den Vater nach dessen Schlaganfall unterstützen muss, kommt für den gelernten Schlosser nur ein Job in Wismar und Umgebung in Frage. Inzwischen arbeitet er für das Solarzentrum. Schichtarbeit bei einem Dumpinglohn von sechs Euro, 900 Euro mache das im Monat. „Wie soll man davon leben?“ fragt er. „Ich hätte als Proteststimme auch die Linke gewählt“, sagt Heiko P. „Aber die drehen sich doch auch nur nach dem Wind.“ Heiko P. wird dieses Jahr die NPD wählen. Lu Yen Roloff

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Foto: Lu Yen Roloff

Die Mutter

Raus aus der Altstadt, den Berg runter und ins Neubaugebiet. Es ist ruhig zwischen den fünfstöckigen Plattenbauten: Grillen zirpen, von den Balkonen schallt immer wieder Gelächter, zwischen den Häusern hängt die Wäsche zum Trocknen. Früher sei der Kagenmarkt das „Stiefkind“ der Stadt gewesen, inzwischen werde es besser, sagen die Anwohner. Zwar wurden gerade zwei Häuser wegen Leerstand abgerissen, gleich daneben wachsen aber ein neuer Kindergarten und eine Schule. Vor dem Supermarkt sitzt eine junge Frau mit Kinderwagen. Ob sie betroffen von der Kirse ist? „Wie soll sie uns noch treffen?“, antwortet Melanie Konow. „Wir sind sowieso Hartz-IV-Empfänger! Die Chancen auf einen Job sind halt noch schlechter geworden.“ Konow ist 23, hat ein einjähriges Kind, eine Ausbildung als Kauffrau – nur keinen Job. Kürzlich hat sie sich um einen Krippenplatz für ihre Tochter bemüht. „Ich will, dass sie unter andere Kinder kommt und nicht allein auf ihre Bauklötze starrt.“ Als sie beim Amt anrief, erklärte ihr die Sachbearbeiterin: „Sie sind doch arbeitslos und sitzen den ganzen Tag zu Hause. „Darauf habe ich dann gar nichts mehr gesagt.“ Bei ihr im Viertel hängen überall die Wahlplakate der Linken: „Wir kämpfen“ steht dort in dicken Großbuchstaben. Kita-Plätze für alle Kinder ist eine Forderung der Linken. Melanie Konow hat es auf den Plakaten gelesen, später landete noch ein Flyer in ihrem Briefkasten. Die junge Mutter geht dieses Jahr zum ersten Mal wählen, in der Hoffnung auf einen Kita-Platz für ihr Kind. „Mal schauen, ob das klappt, wenn die gewählt werden.“ Ute Zauft

Wismar_Portraits-2Der Pastor

Pastor Roger Thomas öffnet eine schwere Holztür, tritt aus der kühlen Kirche ins Freie. In dem kleinen Pfarr-Hof spielen seine Kinder, dahinter steigen die dunkelroten Backstein-Mauern der Kirche empor. St. Nikolai erhebt sich schon von weitem sichtbar über Wismar. Seit mehr als sieben Jahrhunderten steht die Kirche dort, heute gehören noch 700 Gemeindemitglieder zu St. Nikolai. “Ich sehe nicht, dass die wesentlichen Fragen, die uns hier beschäftigen, von den Politikern aufgegriffen werden. Vollbeschäftigung ist doch eine Illusion. Wir erleben hier jeden Tag das Gegenteil“, sagt Thomas. Einmal in der Woche kommen 90 Leute in die Kirche, um dort Mittag zu essen. Sie haben nicht viel Geld, aber vor allem fehle ihnen der Kontakt zu anderen Menschen. Solchen Leuten Vollbeschäftigung zu versprechen sei unrealistisch und unredliche Politik, sagt Thomas. „Wichtiger wäre es, Menschen eine Form der Arbeit zu bieten, die sie nicht schwach und mürbe macht.“ Auf die Partei seiner Wahl angesprochen, reagiert der Pastor ratlos: „Für mich hat keine der Parteien ein überzeugendes Konzept, das Arbeit, soziales Leben und Gerechtigkeit verbindet.“ Wählen geht er trotzdem, schließlich habe man sich die freie Wahl hier als Bürgerrecht erkämpfen müssen. Lena Gürtler

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Wahlkrieg statt Schlafwagen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlkrieg-statt-schlafwagen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlkrieg-statt-schlafwagen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlkrieg-statt-schlafwagen/#comments Thu, 17 Sep 2009 17:58:00 +0000 M. Lenz, C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2885 Breitenfelde_Wahlkrieg-1

Foto: Milos Djuric

BREITENFELDE. Während sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier umarmen, machen Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner in Schleswig-Holstein vor, was ein echter Wahlkampf ist. Die Gräben zwischen den großen Parteien sind tief. Das spüren auch die Wähler.

Der Ort, an dem die Suche nach dem Kampf im Superwahljahr 2009 beginnen muss, ist das kleine Städtchen Mölln im Herzogtum Lauenburg. Auf dem neueren Teil des Möllner Friedhofs liegt Uwe Barschel begraben. Nadelbäume spenden Schatten, rote Begonien erheben sich aus den Bodendeckern, ein Rhododendron wölbt sich über einen schlichten Feldfindling, dem Grabstein des ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. Es ist eine unauffällige und nüchterne Ruhestätte für den Politiker, der im Zentrum eines der größten politischen Skandale der Nachkriegsgeschichte stand. Der Name Barschel ist zu einem Symbol geworden für Politik in ihrer archaischen Form. Und im hohen Norden gilt noch immer: Hier wird hart um die Macht gekämpft und dabei sind fast alle Mittel recht.

Zuletzt stellte das der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen unter Beweis, als er die SPD-Minister aus seinem Kabinett warf und per fingierter Vertrauensfrage vorgezogene Neuwahlen erzwang. Am 27. September wird nicht nur der Bundestag, sondern auch der Kieler Landtag neu gewählt. Doppelter Wahlkampf also zwischen Nord- und Ostsee. Dabei ist der Schleswig-Holsteinische Landtagswahlkampf der Gegenentwurf zum beschaulichen Bundestagswahlkampf aus dem Schlafwagen. Wenn das, was im Bund abläuft, Wahlkampf sein soll, dann herrscht im Norden Wahlkrieg.

Das Casino Royal in Elmshorn. Ein langgestreckter Saal getaucht in schummriges Licht. Tischreihen auf abgewetztem grünen Teppich. Etwa 1000 Menschen wollen den neuen Star der Union, Theodor zu Guttenberg sehen, den Carstensen sich als Verstärkung geholt hat. Die Luft ist muffig und biergeschwängert. Es ist die perfekte Atmosphäre für einen deftigen Wahlkampfauftritt. Carstensen weiß das zu nutzen: „Ich sag immer: in der Politik braucht man Augen und Ohren“, ruft er in den Saal. Und in Richtung seines Gegenspielers Ralf Stegner (SPD): „Manchmal ist das besser, wenn man sich von einem trennt.“ Einfache Sätze, gemünzt auf den politischen Gegner. Dann kommt zu Guttenberg und hält eine staatstragende Einführung in die politische Ökonomie der Krise. Er wirft mit Begriffen wie Tobin-Steuer oder Due-Dilligence-Prüfung um sich, ohne sie zu erklären. Dann sagt er: „Ich habe mir vorgenommen, in diesem Wahlkampf nicht einen Namen zu nennen, höchstens im Positiven.“ Was daran noch Wahlkampf ist, erklärt er nicht. Carstensen bleibt der Ausflug ins volkswirtschaftliche Proseminar erspart. Er ist da schon lange weg, unterwegs zu einem Volksfest bei Kiel.

„Ich feiere nach der Arbeit und nicht statt der Arbeit“, sagte kürzlich Ralf Stegner und warf Carstensen vor, zu viel mit dem Volk zu feiern. Im Land gilt Carstensen als trinkfester „König der Volksfeste“. Der konterte in Richtung SPD: “Wenn die Selters kriegen, singen die Trinklieder.” Es war eine weitere Spitze in der persönlichen Auseinandersetzung der beiden Spitzenkandidaten. Während Merkel und Steinmeier kein schlechtes Wort übereinander verlieren, pöbeln sich Carstensen und Stegner regelrecht an.

Der SPD-Linke Stegner gilt bei der CDU als „Kotzbrocken“ und „Roter Rambo“. „Mit der SPD konnte man zusammenarbeiten, mit Herrn Stegner nicht“, sagt Carstensen über seinen Kontrahenten. „Er war das Problem der Großen Koalition.“ Bei der SPD wiederum gilt der Ministerpräsident als “Dorfdepp”. Und als Lügner, seit er sagte die SPD hätte die umstrittenen Bonuszahlungen in Höhe von 2,9 Millionen Euro an den HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher stoppen können. Wo Stegner kann, zeichnet er von der CDU ein verächtliches Bild. „Stockkonservativ“ und „rückwärtsgewandt“ sei die Partei des Landwirtssohnes Carstensen. Solch feurige Attacken gibt es im Bund nicht.

Der Markt in der historischen Mitte der Hansestadt Lübeck. Etwa 1000 meist ältere Menschen stemmen sich gegen den frischen Wind. Rote Fahnen flattern. Ein paar Jubel-Jusos recken Pappschilder mit dem Schriftzug „Frank Walter Steinmeier“ in die Höhe. Franz Müntefering ist gekommen. Er hält seine Standard-Wahlkampfrede. Viel Geschichte der Sozialdemokratie, wenig Konfrontation. Zum Schluss sagt er: „Die Frage ist, ob man mit Mundwinkel runter die Leute überzeugen kann.“ Hinter ihm steht Ralf Stegner mit heruntergezogenen Mundwinkeln.

Stegner hatte zuvor noch erklärt: Dass er oft so finster gucke, liege daran, dass er so konzentriert zuhöre. Der SPD-Mann, dem ein nicht allzu sympathischer Ruf voraus eilt, hat immerhin die wenig volkstümliche Fliege abgelegt, und stillt jetzt mit offenem Kragen die Erwartungen an den wüsten Wahlkampf im Norden: In seiner Rede greift der 49-jährige immer wieder Carstensen an. Auch der Volksfest-Vorwurf ist einmal mehr dabei. Und zu dessen Koalitionsversprechen sagt er: „Schwarzgelb sind Wespen. Der Sommer ist vorbei, die Zeit der Wespen auch.“

Wer die völlig unterschiedlichen Schauspiele auf Bundes- und Landesbühne verstehen will, fragt am Besten die Zuschauer. Konstantin von Notz ist der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat der Grünen für den Bundestag. “Wenn ich Steinmeier und Merkel angucke, dann ist da kaum noch etwas kontrovers. Die haben sich in der Symbiose eingerichtet“, sagt er. Die Großen seien doch im Schlafwagen  unterwegs. Das Bild passt gut, denn der 37-Jährige Jurist besucht mit seinem Parteifreund Andreas Tietze gerade den Erlebnisbahnhof Schmilau bei Mölln. Tietze ist Listenkandidat für den Landtag. Die Fernseh-Debatte zwischen Merkel und Steinmeier sei unfassbar langweilig gewesen. Im Land sähe das anders aus:  „Ein TV-Duell zwischen Carstensen und Stegner, das wäre so etwas wie Ehen vor Gericht“, sagt der 47-Jährige und schiebt nach: „Die kochen doch innerlich.“ Von Notz erklärt: “Die Gräben in Schleswig-Holstein zwischen CDU und SPD sind auch historisch bedingt. Da gibt es schon tiefe Klüfte.” Es ist klar, was er damit meint.

Die Barschel-Affäre war so etwas wie die Urkatastrophe der schleswig-holsteinischen Politik. Seitdem ist das Verhältnis zwischen den großen Parteien vergiftet. Die Klüfte, die von Notz nennt, verlaufen zwischen CDU und SPD, und prägen die politische Kultur des Landes. Auf Barschel folgte der Rücktritt von Björn Engholm. Später schoss der noch immer unbekannte „Heide-Mörder“ die Ministerpräsidentin Simonis ab. In diese Geschichte fügt sich der jüngste Bruch der Großen Koalition nahtlos ein. Und bei ihrer Wahlschlacht wollen Stegner und Carstensen mit dieser Tradition erst Recht nicht brechen.

Auch in Mölln, dem Ort, in dem Uwe Barschel begraben liegt, findet der Wahlkampf ohne Samthandschuhe statt. „Bei uns wird auf der Sachebene heftig gestritten“, sagt Monika Brieger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Kreistag des Herzogtums Lauenburg. „Wir führen einen sehr aktiven Wahlkampf“, sagt die 50-jährige Krankenschwester. „Kuscheln werden Sie bei uns nicht finden.“

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Steinmerkel im TV http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=steinmerkel-im-tv http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/#comments Sun, 13 Sep 2009 13:54:16 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=2660 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. In der Kneipe, auf dem Sofa bei Erstwählern, den Piraten und im Einfamilienhaus eines Finanzbeamten: Die Wahlfahrt09 zu Gast beim Wähler. Wir schauten den Osnabrückern über die Schultern, als sie das Kanzlerduell gesehen haben. Das Ergebnis wurde auch auf Spiegel Online veröffentlicht.
Einzeltexte: Die Erstwähler, Die Stammgäste

20.00 Uhr – Die Stammgäste

Die “Peitsche” ist eine Raucherkneipe. Davon machen die Gäste rege Gebrauch. Auf einer Leinwand läuft die Übertragung der ARD. Sebastian Heukamp, 35, ist seit fünf Jahren Wirt der “Peitsche”. Der kräftige Osnabrücker, Mitglied der Jungen Union, hat den Wahl-O-Mat vor ein paar Tagen ausprobiert. Ergebnis: an erster Stelle Piratenpartei, an zweiter FDP.

20.07 Uhr – Die Familie

Ein weißes Haus in einer ruhigen Wohnsiedlung. Frank Henning, graue Haare, Bürstenschnitt, empfängt im blauen Jeanshemd an der Haustür. Seine Frau Julia sitzt auf der schwarzen Ledercouch und strickt ein Kleid für die fünfjährige Tochter. Sie und deren 15 Monate alte Schwester sind schon im Bett; jetzt warten die Hennings auf den Beginn des Duells. “Wenn Steinmeier nicht aus sich rauskommt, sehe ich schwarz”, sagt Frank Henning. Der Finanzbeamte sitzt für die SPD im Osnabrücker Stadtrat.

20.18 Uhr – Die Erstwähler

Max, Jonas, Oskar und Pierre machen es sich vor dem Fernseher gemütlich, Füße hoch, ein Bier in der Hand. Die vier Abiturienten sind Erstwähler und wollen jetzt mal sehen, wer sich besser schlägt: die Kanzlerin oder der Herausforderer. “Das ist ja wie beim Fußballgucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Ich find den Unterschied in der Aufmachung voll krass. Bei den Privaten sieht das voll nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

20.29 Uhr – Die Piraten

Lachen im Wohnzimmer der Piraten. Sie sitzen auf der Sofagarnitur in ihren orangefarbenen T-Shirts, die sie tags zuvor noch bei der Demo in Berlin anhatten. Die Gruppe ist ein wenig erschöpft, aber vor allem empört über den Polizeiangriff auf einen Demonstranten. Kurz wird überlegt, ob man nicht doch lieber die Simpsons schauen soll als Merkel und Steinmeier. “Das droht langweilig zu werden. Die stehen sich doch näher als viele Ehepaare.”

20.30 Uhr – Die Erstwähler

Das Duell beginnt.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt ‘ne Stimme wie Schröder”, sagt Max. Jonas: “Aber er ist lange nicht so charismatisch.” Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich ein bisschen zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Ganz schön abgeklärt klingt das für einen, der noch nie gewählt hat. “Eigentlich ist die Merkel gar nicht so schlecht”, sagt Max. Es scheint für Steinmeier ein Auswärtsspiel zu werden, zumindest im Wohnzimmer von Max.

20.32 Uhr – Die Piraten

Steinmeier legt los.

“Man könnte meinen, da spricht Schröder.” Ein Pirat greift zur Salzstange.

20.36 Uhr – Die Erstwähler

Die Frage nach dem Du: Peter Kloeppel will wissen, ob sich Steinmeier und Merkel duzen.

“Der will die mega-provozieren, dieser eine Journalist”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.”

20.37 Uhr – Die Piraten

Steinmeier und Merkel ziehen Bilanz.

“Schön herumgeredet”, empört sich einer der Piraten. Bisher hören sie zu, werfen immer wieder Kommentare in die Runde, eine Diskussion kommt noch nicht auf. “Ich wette, unser Thema Bürgerrecht wird von keinem der Kandidaten erwähnt”, sagt einer.

20.39 – Die Familie

Steinmeier spricht von Alternativen zur Großen Koalition.

“Problem, dass niemand ihm abnimmt, dass Rot-Grün es schafft”, sagt Frank Henning.

20.49 Uhr – Die Erstwähler

Die vier Erstwähler lauschen gebannt den Argumenten der Duellanten. Max und Jonas lümmeln sich auf der Couch, Oskar und Pierre sitzen aufmerksam nach vorn gebeugt. Da spricht der Herausforderer über die “Lohnspirale nach unten”. “Wenn es ein Phrasenschwein da gäbe, dann wären die schon arm da”, sagt Jonas.

20.46 Uhr – Die Familie

Plasberg sagt, viele Menschen fänden die Situation in Deutschland ungerecht

“Das sehe ich auch so”, sagt Frank Henning. Der 42-Jährige erzählt von der Osnabrücker Autobaufirma Karmann, die gerade im Insolvenzverfahren steckt. “Wenn einer da nach 30 Jahren entlassen wird und ein Jahr später auf Hartz-IV-Niveau lebt, während die Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben – das ist ungerecht.” Julia Henning nickt.

20.54 Uhr – Die Piraten

Steinmeier: Menschen müssen von Arbeit leben können.

Nicken in der Runde.

Die Familie

Julia Henning blickt von ihrer Strickarbeit hoch – und stimmt voll zu. “Wenn jemand acht Stunden arbeiten geht und noch Sozialhilfe beantragen muss, ist das ein Affront.”

20.55 Uhr – Die Stammgäste

Stille Gäste mit Blick auf die Leinwand. Zweite Biere werden bestellt. Getragene Stimmung bei den Kandidaten und bei den Zuhörern. Die Gäste stecken die Köpfe zusammen. “Privat fährt er wahrscheinlich Mercedes”, sagt Wirt Heukamp, als Steinmeier über Opel spricht.

20.57 Uhr – Piraten

Diskussion über Opel.

Herumrutschen auf dem Sofa, die Saftmischung Ananas-Grapefruit wird angeboten. “Klar, sie können sich jetzt nicht gegenseitig kritisieren. Es wäre viel spannender, wenn FDP und Grüne diskutieren würden.”

21.00 Uhr – Die Familie

Moderator Plasberg erinnert die Bewerber daran, dass Wahlkampf herrscht.

Frank Henning lacht. “Das ist ja niedlich – sind das jetzt Merkel und Steinmeier gegen die Journalisten?”

Die Stammgäste

Erster Stimmungshöhepunkt. “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren”, sagt ein Gast mit Lesebrille. Als die Redezeit eingeblendet wird und gleich ist, bemerkt eine junge Frau: “Also doch ein Duett!”

21.02 Uhr – Die Familie

Merkel und Steinmeier streiten über Atomkraft.

Jetzt hat Frank Henning auch was zu sagen, das ist sein Anliegen, damit hat er sich beschäftigt: Wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet würden, “geht hier keine Glühbirne aus”.

Die Piraten

Die Gruppe wird wieder aufmerksamer. Zwischenfrage einer Piratin: “CDU hat keinen Ausstiegszeitpunkt genannt, oder? Nein, nur über 2020 hinaus.”

Die Erstwähler

Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen.” Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor Schwarz-Gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

21.14 Uhr – Die Stammgäste

Die Bankenkrise ist Duell-Thema.

Eine ältere Dame thematisiert den Gehaltsunterschied der beiden Frauen Merkel und Illner. “Die verdient ja viel mehr als Merkel.” Ihr Nebenmann fügt hinzu: “Und ist produktiver.” Als Steinmeier auf das Thema auf Fehlverhalten der Banken kommt, sagt ein Mann: “Und der ist seit acht Jahren im Amt.”

Die Piraten

Auf dem Sofa kommt die Frage auf: “Gibt es eigentlich eine Pause?” Wieder die Idee, in der Werbepause mal zu den Simpsons zu schalten.

21.21 Uhr – Die Familie

Steinmerkel spricht über Kredite für den Mittelstand.

“Er hält quasi ein Referat”, sagt Henning. Steinmeier sei sachlich, so reiße er niemanden mit – aber Merkel sei ja auch nicht so heißblütig. Der 42-Jährige schüttelt den Kopf. So würden die Zuschauer wohl nicht zum Wählen motiviert. “Das ist kein Duell. Eigentlich machen die da eine nette Unterhaltung. Da ist kein Pfeffer drin”, sagt Julia Henning.

21.27 Uhr – Die Erstwähler

Merkel spricht über Steuersenkungen.

Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, sagt Jonas. Pierre: “Und selbst wenn sie die Steuern senken, dann ist das immer noch höher als früher.”

Die Familie

Julia Henning legt das Strickzeug weg. “Endlich mal!” ruft sie und sieht auf die Uhr. Eine Stunde haben die Politiker gebraucht, bis sie miteinander diskutieren. Da freut sich nicht nur Plasberg.

21.34 Uhr – Die Piraten

Merkel spricht über die Gesundheitspolitik.

Wieder stärkere Aufmerksamkeit gen Fernseher, dann Enttäuschung. “Wie wäre es eigentlich mit Abschaffung der Gesundheitskarte?”, fragt einer. Doch diese Frage kommt nicht.

21.37 Uhr – Die Stammgäste

“Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen, alles soll gleichgemacht werden”, sagt die Dame in Kostümjacke mit Perlenohrringen. “Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

“Eigentor!” frohlockt ein bärtiger Gast, als Steinmeier ohne Not die Dienstwagenaffäre erwähnt.

21.39 Uhr – Die Erstwähler

Der Zeitkontenvergleich

Merkel hat bisher länger geredet als Steinmeier, aber den Jungs kommt es anders vor. “Was? Steinmeier hat doch viel länger geredet”, sagt Max. Der Herausforderer punktet im Osnabrücker Wohnzimmer. Jonas: “Der ist halt schon charismatischer als die Merkel.”

21.40 Uhr – Die Piraten

Steinmeier zu Afghanistan

Ein Piratin seufzt, schlendert mit der Teetasse in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Steinmeier spricht von der Gefahr, dass bei Abzug der Truppen alle Mädchen wieder in den Keller müssten, die Bauern wieder Drogen anbauen würden. Außenpolitik ist jetzt nicht unbedingt ein Thema der Piratenpartei. Trotzdem der empörte Einwurf aus der Küche: Ist ja ein schönes Bild, das er da von Afghanistan hat!

21.45 Uhr – Die Familie

Limbourg nennt Merkel und Steinmeier “älteres Ehepaar”.

“Das hab ich auch gerade gedacht”, sagt Frank Henning und lacht: “Nettes Pärchen.”

21.47 Uhr – Die Familie

Steinmeier: Opposition kommt auf keinen Fall in Betracht.

Frank Henning schüttelt den Kopf – genau das will er nicht. Eine Neuauflage der Großen Koalition “würde die SPD völlig kaputt machen”, hatte er schon vor Beginn der Sendung gesagt. Dann sollte sie lieber in die Opposition gehen, denn sonst würde “Angie” alle Erfolge für sich beanspruchen. Julia Henning hat das Strickzeug weggelegt.

21.49 Uhr – Die Erstwähler

Politische Farbenspiele im TV-Duell.

Wer mit wem? Steinmeier in der Defensive. Wie hält er es mit der FDP, wie mit der Linken? “Eigentlich wissen die bei der SPD ja, dass sie einen dritten Partner brauchen.” Aber die FDP soll das nicht sein, zumindest nicht für Max und Jonas. Sie befürworten eine rot-rot-grüne Lösung. Dass Steinmeier das ausschließt, finden sie nicht gut. Pierre und Oskar würden eine Ampelkoalition mit der FDP bevorzugen. “Ich glaube, dass das demokratischer wäre, wenn man bei Rot-Grün noch Gelb dabei hat”, sagt Pierre.

21.54 Uhr – Die Stammgäste

Merkel kommt in Fahrt. Das trifft den Nerv der Zuschauer in der “Peitsche”. Zustimmung, als sie Steinmeier angreift und über eine mögliche Koalition von SPD und Linke spricht. “Jetzt kommt sie ja mal langsam. Hat ja lange gedauert.” – “Super, gut.”

21.57 Uhr – Die Piraten

Steinmeiers Schlussstatement.

Stille.

Die Stammgäste

“Aus der Krise…”, setzt Steinmeier an.

“Nicht mit der SPD!” ruft ein Mann in die Runde. “Das hat mit der vorherigen Diskussion nichts zu tun”, kritisiert ein Gast. “Auswendiggelernt!” Überzeugen kann der Herausforderer die Kneipengäste der “Peitsche” nicht.

Eine Dame fordert die anderen Gäste auf, Steinmeier aussprechen zu lassen. Absolute Ruhe beim Endstatement der Kanzlerin. Applaus brandet auf, als Merkel fertig gesprochen hat. “3 zu 1 für Merkel”, glaubt ein Gast. Für die Gäste der Peitsche steht der, pardon, die Siegerin fest.

Die Erstwähler

Auch bei den vier Jungs ist die Sache klar: Der Auftritt des Herausforderers hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie es Jonas ausdrückt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Max nervt, “dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben”.

Jonas sagt: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.”

Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

Die Piraten

Einstimmigkeit unter den Piraten: Die Moderatoren haben gewonnen! Steinmeier hat zumindest zu kämpfen versucht. Doch Merkel ist nie auf ihn losgegangen. Hauptstrategie: keine Angriffsfläche bieten. Deshalb kam keine Diskussion auf.

Die Familie

Wer ist Sieger? “Beide”, ruft Julia Henning spontan – schließlich habe es kaum Konfrontation gegeben. “Das plätscherte so vor sich hin.”

Das Duell Stoiber-Schröder war viel aufregender, findet sie.

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Friede, Freude, Wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=friede-freude-wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/#comments Sun, 13 Sep 2009 12:21:48 +0000 Lena Gürtler, Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=3041 Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Krieg oder Frieden – ein hoch emotionales Thema, das nicht zum ersten Mal über Wahlsieg oder –niederlage entscheiden könnte. Nach der Linken versucht nun auch die SPD, mit ihrem Afghanistan-Papier ihr Friedensprofil zu schärfen. Nagelprobe für die Friedensrhetorik der Wahlkämpfer: Ein Besuch in der Hochburg der Friedensbewegung im niedersächsischen Osnabrück.

Eine Collage aus Zeitungsausschnitten: Schlagzeilen über Deutschland im WM-Fieber neben Bildern von ausgebombten Häusern im Libanon. Darüber legt sich ein halbtransparentes Muster aus Rottönen – erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es Gefangene in Guantanamo sind. Sylvia Lüdtke thematisiert in ihren Bildern die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden. “Ein tiefes Friedenssehnen” treibt die Künstlerin an. Eine Sehnsucht, die sie mit einer ganzen Stadt teilt: In Osnabrück wurde 1648 der Dreißigjährige Krieg mit dem westfälischen Frieden beendet. Bis heute steht auf dem gelben Schild am Ortseingang “Friedensstadt.”

Allein 43 Organisationen beschäftigen sich in Osnabrück mit dem Thema Frieden. Zusammen mit ihren Kindern geht Sylvia Lüdtke auf die regelmäßigen Friedensdemos in der Stadt, protestiert dabei auch gegen einen Krieg, der in Deutschland offiziell nicht so genannt werden darf. Die deutschen Truppen in Afghanistan sind auf “Friedensmission”. Ein Thema, das die Osnabrücker umtreibt, gerade auch im Wahlkampf. An einer Autobahnabfahrt hat jemand quer über den FDP-Slogan “Raus aus Afghanistan” geklebt. Nicht unbedingt eine Forderung der Liberalen. Der Spruch klingt sehr nach der Linken. Die versuchen schon lange, mit dem Krieg am Hindukusch Wahlkampf zu machen.

Die anderen Parteien geraten in Zugzwang, müssen Position zu Afghanistan beziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Frage um Krieg und Frieden die Wahl mitentscheidet: 2002 hat sich Gerhard Schröder durch sein “Nein” zu deutschen Truppen im Irak noch einmal auf den Kanzlersessel gerettet. In diesem Wahlkampf also Afghanistan, mit einem Unterschied: Deutsche Soldaten sind schon da, die Positionierung der Parteien wird dadurch ungleich schwieriger, ein Samthandschuh-Thema für die Parteien.

Anders die Osnabrücker. Sie suchen die Auseinandersetzung mit dem Thema. “Das Friedensthema ist ansteckend, Osnabrück ist ein friedensbewegter Ort”, sagt der Politikwissenschaftler Roland Czada. Er ist Professor an der Osnabrücker Universität und Leiter der Osnabrücker Friedensgespräche. Diese Veranstaltungen seien immer voll, in anderen Städten habe er das bei ähnlichen Themen ganz anders erlebt. Kürzlich hatte Friedensforscher Czada zu einer Diskussion über den Truppeneinsatz in Afghanistan geladen: “Das Thema wurde von den Osnabrückern viel kontroverser diskutiert als von den Parteien: Die fetzten sich wirklich: war es richtig, da reinzugehen oder zwingen wir uns den Afghanen auf?” Nach Meinung des Politikwissenschaftlers hat Steinmeier mit seiner Festlegung auf ein Abzugsdatum ab 2013 das einzig Richtige getan: “Er profiliert sich im Wahlkampf zunehmend auf dem Feld, für das er als Minister zuständig ist: die Außenpolitik.”

Die CDU hingegen bringe das Thema Afghanistan in die Bredouille, sagt Czada. Ihr Verteidigungsminister ist – wenn er überhaupt mal auftaucht – in Erklärungsnot. Wenn Soldaten tot aus Afghanistan nach Deutschland gebracht und gleichzeitig die Rufe nach Abzug noch lauter werden, darf Franz Josef Jung die Soldaten nicht einmal “Gefallene” nennen. Auf ein Ende des Einsatzes der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan will sich die CDU nicht festlegen. Der Einsatz am Hindukusch taugt für die CDU nicht dazu, Wahlkampf-Punkte in einem Land zu sammeln, in dem mehr als jeder zweite Bürger für einen schnellen Abzug ist.

Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

Die überklebten FDP-Plakate sind eigentlich eine hervorragende Vorlage für die Wahlkampfrede von Guido Westerwelle an diesem Nachmittag in Osnabrück. Die Wahlkampfbühne ist vor dem Rathaus aufgebaut. Hier befindet sich der “Friedensaal”, in dem Katholiken und Protestanten den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Überall in der Innenstadt verteilt: Rostrote Installationen, aus denen Apfel-Bäume wachsen. Sie erinnern an die Varus-Schlacht vor 2000 Jahren. Das Thema Krieg wird auch beim FDP-Chef vorkommen: Er spricht über die Abrüstung von Atomwaffen. Die Frage nach dem Truppenabzug aus Afghanistan lässt er geflissentlich beiseite.

“Für die FDP und die Grünen ist das Thema nur begrenzt wahlkampftauglich”, sagt Friedensforscher Czada. Die FDP wolle es sich nicht mit der CDU als mögliche Koalitionspartnerin verderben. Die Grünen wiederum haben als ehemals friedensbewegte Partei, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an mitgetragen. Nicht selten werden sie von ihren Anhängern dafür angegriffen. Afghanistan ist für die Grünen ein Thema, das sie lieber nicht in die Schlaglichter des Wahlkampfes rücken wollen, so Czada. “Wenn eine Partei mit dem Thema Wählerstimmen holen kann, dann ist es die Linke.” Sie ist grundsätzlich gegen deutsche Soldaten im Ausland und scheint damit den Friedens-Nerv vieler Wähler zu treffen. “Grundsätzlich sehnen sich die meisten Menschen nach Frieden. Damit wird jede Diskussion um Afghanistan auch zu einer emotionalen Gradwanderung”, so der Friedensforscher.

“Ich habe Angst vor Krieg” oder “Wenn alle Herzen gleichzeitig im Takt für den Frieden schlagen würden, dann hätte man ein Erdbeben der Stärke sechs.” Das haben Ausstellungsbesucher in Sylvia Lüdtkes Friedensbücher geschrieben. Die Künstlerin fordert die Betrachter ihrer Bilder auf, ihre Wünsche und Gedanken niederzuschreiben. Das erste Mal hat Lüdtke die Friedensbücher in Osnabrücks türkische Partnerstadt Canakkale ausgestellt. Seitdem füllt sich Buch um Buch. Kunst gegen die eigene Furcht. Lüdtkes Vater ist Offizier: “Ich habe erst spät begriffen, dass mein Vater auch in den Krieg ziehen könnte. Das hat mir Angst gemacht.” Einen schnellen Abzug der Truppen aus Afghanistan hält sie trotzdem für zu riskant. “Abzug bedeutet noch kein Frieden.”

Ein Argument, um das auch die Linke im Wahlkampf eigentlich nicht herumkommen dürfte. Nur einen Tag nach Westerwelle hält Gregor Gysi vor dem Osnabrücker Rathaus eine Wahlkampfrede. Im Gegensatz zu seinem FDP-Widersacher fordert er vehement den Truppenabzug aus Afghanistan: Durch Kriegseinsätze könne man keinen Frieden schaffen. Applaus. Gysi und seine Partei sind die einzigen, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnen. Glück für ihre Wahlkampfstrategie: Denn nur wer von Krieg spricht, kann von Frieden reden und damit Wähler locken.

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TV-Duell: Merkels Heimspiel in der Kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:39:00 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2700 Osnabrueck_duellabend

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Die Straßen in Osnabrück sind an diesem Sonntagabend wie leergefegt. Das mag an Osnabrück liegen. Oder daran, dass TV-Duell-Zeit ist. In der “Peitsche” sammeln sich die Anhänger der Kanzlerin.

Die Kneipe, in der sich der bürgerliche Konservatismus versammelt, trägt den einprägsamen Namen “Peitsche”. Nicht “Zur Peitsche”, einfach “Peitsche”. Draußen ist angeschlagen, was heute geboten wird: “Angie vs. Steini live auf der Leinwand”. Das lockt immerhin knapp 30 potentielle Wähler in den zugequalmten Hinterraum. Die dunkle Holzvertäfelung hat wie viele der Zuschauer das Rentenalter erreicht. Der Wirt Sebastian Heukamp hingegen ist Vertreter der Jungen Union. Mit 35 Jahren.

Heukamp nimmt es sportlich, dass der Wahl-O-Mat ihm empfohlen hat, für die Piratenpartei zu stimmen. Erstaunt sei er schon gewesen, aber das politische Weltbild ist nicht in Gefahr. Als Steinmeier sich auf der Leinwand als einzig wahrer Opel-Retter in Szene setzt, zischt Heukamp nur: “Privat fährt der wahrscheinlich Mercedes.” Es soll wohl so etwas wie ein Argument sein.

Seine Gäste tauen nach dem zweiten Bier langsam auf. Ein Senior beschimpft Steinmeier als “Lügner” und “Mistkerl”. Er hat schon zwei Schnäpse Vorsprung. Dabei ist auf der Leinwand bisher nur Friede, Freude, Eierkuchen. Als Frank Plasberg die Duellanten daran erinnert, dass eigentlich Wahlkampf mit Betonung auf Kampf herrscht, raunt ein Mann hinter seiner Lesebrille: “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren.” Schon ist ein konsensfähiges Thema gefunden: “Die Illner verdient ja viel mehr als Merkel”, sagt eine resolute Dame. Obwohl beide aus Ostdeutschland kämen. Ihr Nebenmann sieht die Chance für einen Lacher: “Und sie ist produktiver”, setzt er nach. Kichern.

Im Fernsehen geht es jetzt um Ulla Schmidt und die Gesundheitsreform. In der “Peitsche” geht es um ihren Dienstwagen. Als auch Steinmeier das Wort Dienstwagen in den Mund nimmt, frohlockt ein bärtiger Gast: “Eigentor!” Jetzt hat die Dame ihren Auftritt, die findet, dass die Kanzlerin zu wenig verdient. “Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen”, sagt sie. “Alles soll gleich gemacht werden. Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

Endlich versucht die Kanzlerin so etwas wie eine Offensive, greift die linke Flanke ihres Herausforderers an. Die SPD würde ja auch mit der Linken undsoweiter. In der Peitsche ist man zufrieden bis begeistert. “Jetzt kommt sie ja mal langsam, hat ja lange gedauert”, sagt Einer. “Super, gut”, sagt ein Anderer.

Dann setzt Steinmeier zum Schlusswort an, spricht direkt in die Kamera und damit direkt in die “Peitsche”. Er hebt an: “Aus der Krise…” Doch weiter kommt er nicht. “Nicht mit der SPD! “, stößt es aus einem Gast heraus. “Auswendiggelernt!”, ruft sein Nachbar. Es wirkt so, als würde ein Kind “Ätschi-Bätsch!” rufen, auch wenn es etwas anders klingt. Bei Merkels Schluss-Statement herrscht dann andächtige Stille. Als sie fertig ist, applaudieren die Gäste. Die Kanzlerin ist in der “Peitsche” die klare Siegerin. Auch wenn es dafür kein TV-Duell gebraucht hätte.

Text: Jens Christian Kage, Christian Salewski

siehe auch: Steinmerkel im TV

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