Wahlfahrt09 » NPD http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Ohne mich http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=landkreis-im-demokratischen-vorruhestand http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/#comments Sun, 27 Sep 2009 21:25:09 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3514 BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/feed/ 0
Schiffbruch für die Politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schiffbruch-fur-die-politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/#comments Sun, 20 Sep 2009 23:49:23 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3166 HAfen

Foto: Lu Yen Roloff

WISMAR. Deutschlandweit ist die Werftindustrie von der Wirtschaftskrise betroffen. Die Wismarer Wadanwerft ging im September insolvent. Seither sind in der Stadt 1200 Menschen vorrübergehend bei staatlichen Transfergesellschaften beschäftigt, das Werftgelände stillgelegt. Kurz vor der Wahl wurde nun die Werft an den russischen Investor Igor Jussufow verkauft. Wie kommt der Wahlkampf bei den Wismarern in dieser Situation an?

Wismar, die alte Hansestadt an der Ostsee. Touristengruppen schlendern langsam über den Marktplatz, auf dem die Wahlfahrt09 ihren Stand aufgebaut hat. Dass Wahlkampf ist, sieht man nicht – die Stadt, deren Zentrum zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, hat sich, wie es in der Pressestelle heißt, aus „ästhetischen Gründen“ gegen jede Form von Werbung im historischen Zentrum entschieden. Erst in der so genannten „Welterbe-Pufferzone“ am Hafen beginnen die Plakatierungen der Parteien.
Wahlkampf fände in Wismar praktisch nicht statt, sagt auch Katharina Glücklich, Besitzerin eines kleinen Cafes in der Wismarer Altstadt. „Vielleicht werden mal irgendwo ein paar Fähnchen verteilt, mehr aber auch nicht.“ Generell sei die Stimmung jedoch wieder besser in der Stadt, seitdem der russische Investor Igor Jussufow die Werft für 40 Mio Euro gekauft habe. Laut Schätzungen der IG Metall Küste sollen von den rund 1200 Arbeitsplätzen in Wismar die Hälfte erhalten bleiben. Doch momentan liegt die Montagehalle der Wadan-Werft brach. Nur fünf Sicherheitsleute bewachen das Gelände, die anderen Mitarbeiter warten zuhause darauf, wie es weitergehen soll. Wie kann Wahlkampf in dieser Situation stattfinden? Und was denken die Wismarer Bürger über die Krise? Das Team der Wahlfahrt09 schwärmte in die Stadt aus und sprach mit den Wismarern über ihre Situation.

Wismar_Portraits-3

Foto: Milos Djuric

Der stellvertretende Bürgermeister

Die Wege der kommunalen Politik in Wismar sind kurz und unbürokratisch. Ob die Oberbürgermeisterin von Wismar Rosemarie Wilcken (SPD) zu sprechen sei, wollte die Wahlfahrt telefonisch vom Pressesprecher der Stadt wissen. Der winkte aus seinem Bürofenster im dritten Stock des Rathauses den Wahlfahrern auf dem Marktplatz zu. Nein, Frau Wilcken sei leider verhindert, aber ihr Stellvertreter Thomas Beyer (SPD) sei da. Etwa eine halbe Stunde später kommt Beyer strammen Schrittes über den Marktplatz gelaufen und setzt sich zum Gespräch ans den Stand. Die Werftinsolvenz sei ein Schock für die Stadt gewesen, andererseits hätte Wismar schon mehrere Werftenkrisen überstanden, sagt er. In so einer Situation müssten sich die Parteien jetzt anstrengen, bei der Bevölkerung von Wismar zu landen. Besonders der Wahlkampf sei schwer: “Das Misstrauen der Leute gegenüber einfachen politischen Parolen ist zu spüren.“ Große Wahlkampf-Veranstaltungen würden erfahrungsgemäß gar nicht funktionieren. Auch könne ein Wahlkämpfer um die derzeitige wirtschaftliche Unsicherheit der Stadt nicht herumreden: „Die Leute wollen konkrete Aussagen, was aus dem Standort Wismar wird. Es bringt nichts, den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen.“ Dennoch gibt er sich zuversichtlich: „Wir sind krisenerprobt. Die Stadt ist robust und wir können auf die Erfahrung aufbauen, dass sich Engagement lohnt.” Lena Gürtler und Christian Salewski

werftarbeiter site

Foto: Lu Yen Roloff

Der arbeitslose Schiffbauer

Zischend landen die Würste auf dem Grill vor den alten Kanuschuppen. Seit er arbeitslos ist, verbringt Thomas Fischer viel Zeit in seinem Kanuverein in Wendorf – Kinder trainieren, mit Freunden grillen, selbst aufs Meer rauspaddeln – alles, damit ihm nicht die Decke auf den Kopf fällt. Fischer erinnert sich an seine letzte Nachtschicht in der Montagehalle am 31. Juli. Die Fähre lag zu 85 % fertig im Wasser, am Bug der Schriftzug „Make good times“. In den versteckten Nischen unter Deck habe der ein oder andere ein Nickerchen gehalten – man war ohnehin nur noch pro forma da. Am Schichtende erfuhr Fischer, dass er am nächsten Tag nicht wiederkommen brauche: „Die hatten schlichtweg vergessen, uns Bescheid zu sagen“. Wie viele ehemalige Werftarbeiter wartet Fischer seither auf einen Brief der mit 20,5 Millionen Euro vom Land Mecklenburg-Vorpommern finanzierten Transfergesellschaft, wie es weitergehen soll. Er versuche, Kontakt zu anderen Arbeitslosen zu halten, gehe zu Veranstaltungen der IG Metall. Es gingen viele Gerüchte unter den ehemaligen Arbeitern herum: Dass bereits eine Liste feststünde mit 200 Personen, die wieder beschäftigt werden sollen. „Die Alten und Kranken, die werden aussortiert, klar.“ Fischer hofft auf gute Karten, schließlich sei er erst 40 Jahre alt. Doch Fischer denkt wie viele andere Wismarer, dass der neue russische Besitzer nur Know-How für die vom Unternehmen geplante Werft in St. Petersburg abziehen wolle: „Das wäre dann der Untergang für Wismar“. Die Politik interessiere sich nicht für die Werftarbeiter, ist sein Gefühl: “Opel ist der Regierung wichtiger gewesen.“ Und letztendlich könne sie auch nichts machen: „Die Firma ist Privatbesitz, der kann doch damit machen, was er will.“ Fischer wird die Linke wählen: „Momentan muss Deutschland einfach wachgerüttelt werden – und das kann weder die SPD noch die CDU.“ Lu Yen Roloff

Direktor

Foto: Lu Yen Roloff

Der ehemalige Direktor der Werft

Kleingartenkolonie „Hafenblick“ im Wismarer Stadtteil Wendorf. Dahinter ragt die große Montagehalle der stillgelegten Werft auf. Drei lang verheiratete Ehepaare sitzen bei Zwiebelkuchen und Bier in der Herbstsonne, darunter auch der ehemalige zweite Direktor der Werft. Der Senior kann eisern und mit verschränkten Armen über seinen Namen und seine früheren Aufgaben schweigen, „wegen meiner Frau“, wie er sagt. Die Werft sei zwar seit der Wende immer wieder in der Krise gewesen – aber die jetzige Stilllegung habe eine neue Qualität.
Doch der Wahlkampf gehe wenig auf die aktuelle Krise ein: „Die Plakate sind groß genug, was die wollen, steht drauf – aber was sie am Ende machen können, das kommt dann nach der Wahl“. Er erinnert sich gerne an die Zeit, als die Werft in Wismar nach 1946 als Schiffsreparaturbetrieb der Roten Armee aufgebaut wurde und die Einwohnerzahl der Stadt innerhalb von zehn Jahren von 42.000 auf 55.000 Menschen wuchs. Vor der Privatisierung beschäftigte die Werft noch 6000 Menschen, die Mitarbeiter produzierten auch den Strom und führten jede Reparatur selbst aus: „Davon brauchten wir 1000 Leute gar nicht“, sagt der ehemalige Direktor, „aber wir haben die so mitarbeiten lassen, die waren eingebunden.“ Statt den Menschen Hartz IV zu zahlen, sollte man doch wie damals den Betrieben das Geld geben – und dann eine Arbeitspflicht einführen. Er verschränkt die Arme: „Engels muss man nicht neu erfinden.“ Am Tisch ist man sich einig: „Wir gehen nur zur Wahl, damit die NPD nicht über 5 % kommt.“ Viele Wismarer würden in diesem Jahr wohl die Linke wählen – denn die SPD könne ohnehin nicht alleine regieren. Lu Yen Roloff

Protestwähler Site

Foto: Lu Yen Roloff

Der Protestwähler

Pitbull Arkie muss Gassi gehen. Heiko P. (32) schlendert über den Radweg, der parallel zur Ostsee zwischen den mit dichten Buchsbaumhecken abgeschirmten Kleingärten entlangführt. Auf der anderen Seite der Bucht rauchen die Schlote seines alten Arbeitgebers Holzegger. Bis letztes Jahr hat Heiko P. dort einen Jahresvertrag gehabt, „gut bezahlt“, sagt er. Dann kam die Wirtschaftskrise und über 50 Leute mussten gehen. Jetzt, wo die Werft 1200 Menschen entlassen habe, sei die Resignation groß unter seinen Freunden.
„Man kämpft sich von Jahr zu Jahr durch“, sagt Heiko P., der vorher im CD-Werk in Dassow gearbeitet hat und dort ebenfalls entlassen wurde. So wie viele Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern hätte auch dieses nur Subventionen abgegriffen: „Die haben für die fünf Millionen Fördergelder erst Sektchen mit dem Wirtschaftsministerium getrunken und dann fünf Jahre später die Firma kaputt gehen lassen.“
Weil er den Vater nach dessen Schlaganfall unterstützen muss, kommt für den gelernten Schlosser nur ein Job in Wismar und Umgebung in Frage. Inzwischen arbeitet er für das Solarzentrum. Schichtarbeit bei einem Dumpinglohn von sechs Euro, 900 Euro mache das im Monat. „Wie soll man davon leben?“ fragt er. „Ich hätte als Proteststimme auch die Linke gewählt“, sagt Heiko P. „Aber die drehen sich doch auch nur nach dem Wind.“ Heiko P. wird dieses Jahr die NPD wählen. Lu Yen Roloff

P9191828

Foto: Lu Yen Roloff

Die Mutter

Raus aus der Altstadt, den Berg runter und ins Neubaugebiet. Es ist ruhig zwischen den fünfstöckigen Plattenbauten: Grillen zirpen, von den Balkonen schallt immer wieder Gelächter, zwischen den Häusern hängt die Wäsche zum Trocknen. Früher sei der Kagenmarkt das „Stiefkind“ der Stadt gewesen, inzwischen werde es besser, sagen die Anwohner. Zwar wurden gerade zwei Häuser wegen Leerstand abgerissen, gleich daneben wachsen aber ein neuer Kindergarten und eine Schule. Vor dem Supermarkt sitzt eine junge Frau mit Kinderwagen. Ob sie betroffen von der Kirse ist? „Wie soll sie uns noch treffen?“, antwortet Melanie Konow. „Wir sind sowieso Hartz-IV-Empfänger! Die Chancen auf einen Job sind halt noch schlechter geworden.“ Konow ist 23, hat ein einjähriges Kind, eine Ausbildung als Kauffrau – nur keinen Job. Kürzlich hat sie sich um einen Krippenplatz für ihre Tochter bemüht. „Ich will, dass sie unter andere Kinder kommt und nicht allein auf ihre Bauklötze starrt.“ Als sie beim Amt anrief, erklärte ihr die Sachbearbeiterin: „Sie sind doch arbeitslos und sitzen den ganzen Tag zu Hause. „Darauf habe ich dann gar nichts mehr gesagt.“ Bei ihr im Viertel hängen überall die Wahlplakate der Linken: „Wir kämpfen“ steht dort in dicken Großbuchstaben. Kita-Plätze für alle Kinder ist eine Forderung der Linken. Melanie Konow hat es auf den Plakaten gelesen, später landete noch ein Flyer in ihrem Briefkasten. Die junge Mutter geht dieses Jahr zum ersten Mal wählen, in der Hoffnung auf einen Kita-Platz für ihr Kind. „Mal schauen, ob das klappt, wenn die gewählt werden.“ Ute Zauft

Wismar_Portraits-2Der Pastor

Pastor Roger Thomas öffnet eine schwere Holztür, tritt aus der kühlen Kirche ins Freie. In dem kleinen Pfarr-Hof spielen seine Kinder, dahinter steigen die dunkelroten Backstein-Mauern der Kirche empor. St. Nikolai erhebt sich schon von weitem sichtbar über Wismar. Seit mehr als sieben Jahrhunderten steht die Kirche dort, heute gehören noch 700 Gemeindemitglieder zu St. Nikolai. “Ich sehe nicht, dass die wesentlichen Fragen, die uns hier beschäftigen, von den Politikern aufgegriffen werden. Vollbeschäftigung ist doch eine Illusion. Wir erleben hier jeden Tag das Gegenteil“, sagt Thomas. Einmal in der Woche kommen 90 Leute in die Kirche, um dort Mittag zu essen. Sie haben nicht viel Geld, aber vor allem fehle ihnen der Kontakt zu anderen Menschen. Solchen Leuten Vollbeschäftigung zu versprechen sei unrealistisch und unredliche Politik, sagt Thomas. „Wichtiger wäre es, Menschen eine Form der Arbeit zu bieten, die sie nicht schwach und mürbe macht.“ Auf die Partei seiner Wahl angesprochen, reagiert der Pastor ratlos: „Für mich hat keine der Parteien ein überzeugendes Konzept, das Arbeit, soziales Leben und Gerechtigkeit verbindet.“ Wählen geht er trotzdem, schließlich habe man sich die freie Wahl hier als Bürgerrecht erkämpfen müssen. Lena Gürtler

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/feed/ 0
NPD-Plakatwelle macht Polen und Deutsche wütend http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/npd-plakatwelle-macht-polen-und-deutsche-wutend/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=npd-plakatwelle-macht-polen-und-deutsche-wutend http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/npd-plakatwelle-macht-polen-und-deutsche-wutend/#comments Sat, 15 Aug 2009 08:12:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=964 Erschienen am 21.8.2009 auf Spiegel Online

01

Foto: Michael Bennett

GÖRLITZ. Fremdenfeindliche Parolen an der deutsch-polnischen Grenze: Vor der sächsischen Landtagswahl überschwemmt die NPD die Europastadt Görlitz mit ihren Plakaten. Die Bürger wehren sich – doch die Aktionen drohen das ohnehin fragile Verhältnis der Nachbarländer in der Region zu gefährden.

“Wissen Sie, was hier steht?”, ruft Frank Gotthilf und fuchtelt mit der polnischen Zeitung “Gazeta Powiatowa”. Neben ihm steht der Pole Mariusz Klonowski, Redakteur der Zeitung und tippt auf die Schlagzeile: “Die Würde der Polen ist verletzt!” Und übersetzt weiter: “Wie die Deutschen ausnahmslos von uns die Beachtung der Vorschriften in Deutschland verlangen, so müssen wir von ihnen ausnahmslos die Achtung unserer Rechte in Europa verlangen.”

Die beiden Mitglieder des deutsch-polnischen Unternehmervereins Innovation Neiße Region sind zum Wahlfahrt09-Stand gekommen, um die polnischen Reaktionen auf die NPD-Plakate zu schildern, die überall im Stadtraum hängen. Mit den Slogans “Poleninvasion stoppen” und “Ausländer raus” versucht die NPD in der Grenzstadt Görlitz, einen Keil zwischen Deutsche und Polen zu treiben.

Besonders perfide wirken die fremdenfeindlichen Plakate in den Straßen entlang der Neiße: Am anderen Ufer des Flusses liegt die polnische Nachbargemeinde Zgorzelec. Damit sind die Plakate ein direkter Affront für jeden Polen.

Täglich passieren Tausende Deutsche und Polen die Brücke am Grenzübergang, um auf der anderen Seite einzukaufen und zu arbeiten. Kontrollen gibt es nicht mehr – der Wechsel zwischen den Ländern ist zur Routine geworden. Touristen erkennen die Europastadt Görlitz/Zgorzelec auf den ersten Blick kaum als zweigeteilt. Auf beiden Seiten der Neisse sitzen Menschen in Cafés und auf Uferbänken, eine Fußgängerbrücke führt unterhalb der Altstadtmauern über den Fluss. Nur unmittelbar hinter der Grenze locken auf polnischer Seite grellbunt beschilderte Kioske mit günstigen Zigaretten, die Stange für 27 Euro.

[[Show as slideshow]]

“Wissen Sie, wie das dem Image von Görlitz schadet?”, erbost sich Frank Gotthilf. Görlitz/Zgorzelec lebt vom gegenseitigen wirtschaftlichen Austausch. Viele Polen seien sehr wütend, bis nach Warschau seien die Beschwerdebriefe inzwischen gelangt. Bis zu fünfzig Prozent der Umsätze in hochpreisigeren Görlitzer Geschäften würden von polnischen Einkäufern stammen.

Rund 2000 Polen haben Wohnungen in Görlitz, es gibt gemeinsame Kindergärten, Jugendclubs und zweisprachige Theaterstücke, sagt Gotthilf. Nun bedrohe die NPD-Kampagne grenzüberschreitend tätige Unternehmer. Gotthilf und Klonowski haben deswegen eine Verfassungsbeschwerde gegen die NPD eingereicht, sie berufen sich darin auf Artikel 14 der sächsischen Verfassung: die Menschenwürde.

Besonders brisant finden Klonowski und Gotthilf die fremdenfeindlichen NPD-Plakate für das Image der Stadt Görlitz als “Europastadt”. Die sächsisch-polnische Grenzstadt bewarb sich um den Titel “Europäische Kulturhauptstadt 2010″ und präsentierte sich mit deutsch-polnischen Kultur- und Bildungsangeboten. Insgesamt rund zwei Millionen Euro wurden von 2002 bis 2006 in das eigens eingerichtete Büro gepumpt.

“Die Kampagne ist ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die hart daran arbeiten, dass aus den zwei getrennten Hälften eine gemeinsame Europastadt wird”, sagt auch Matthias Vogt vom Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen. Die Strategie der NPD in Görlitz beruhe auf Vorurteilen der Görlitzer Bevölkerung aus DDR-Zeiten. 1981 habe die polnische Regierung aufgrund der erstarkenden Gewerkschaft Solidarnosc ein mehrmonatiges Kriegsrecht in Polen verhängt. Zuvor war die Grenze von 1972 bis 1980 geöffnet. Dass die Polen damals die Waren in den grenznahen Läden quasi leergekauft hätten, sei bis heute “tief in den Hinterköpfen verankert”.

“Ein ganz gefährlicher Mann”

Die Plakatflut der NPD suggeriere eine viel stärkere Präsenz der Partei in der Stadt als real vorhanden sei. Nur etwa zwei Prozent der Görlitzer sind “echte Braune”, schätzt Vogt. Diese versuchen an jene unter den älteren Görlitzern zu appellieren, die als Kriegsflüchtlinge in die Stadt gekommen seien. Ihre Nachkommen redeten bis heute von Niederschlesien und meinten damit ihre verlorene schlesische Heimat. Hinzu kämen die “dumpfen Verlierer”, die sich der Schnelligkeit des heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftslebens nicht gewachsen fühlten. Weil die Linke für Protestwähler zu wenig Potential biete, hätten bei der vergangenen sächsischen Landtagswahl vor fünf Jahren 9,7 Prozent die NPD gewählt.

Die Kampagne der Rechtsextremisten bewertet Vogt als Verzweiflungstat. Denn die NPD habe in den letzten fünf Jahren “der Welt nachdrücklich bewiesen, dass sie weder intellektuell noch rhetorisch als Fraktion auftreten könne. Und in dieser Situation setzt die Görlitzer NPD systematisch auf Fremdenängste und hat entsprechend plakatiert”.

Knapp 2700 Stimmen haben Görlitzer Wähler dem NPD-Mitglied Andreas Storr bei den Kommunalwahlen am 7. Juni 2009 gegeben und ihn damit in den Stadtrat gewählt. Andere Stadträte beschreiben ihn als “ganz gefährlichen Mann”, der parlamentarische Prozesse nutze, um die Arbeit des Stadtrats zu blockieren, etwa in dem er ansonsten einstimmige Beschlüsse behindere und demokratische Prozesse so unnötig verlangsame. Zudem störe er Diskussionen mit NPD-Parolen.

600 Plakate gegen die NPD

Zwar habe der Stadtrat einstimmig beschlossen, den NPD-Mann Storr politisch zu isolieren, sagt Andreas Teichert von der unabhängigen Wählervereinigung “Bürger für Görlitz”: “Der Mann soll merken, dass er bei uns keinen Rückhalt und keine Zustimmung findet.” Doch die Nationaldemokraten in Görlitz bleiben aktiv. Sie demonstrierte jüngst gegen die Wehrmachtsausstellung und gibt das NPD-Blatt “Blickpunkt” in einer Auflage von 70.000 Stück heraus.

“Görlitz sagt Nein! zur NPD” verkünden deshalb dicke weiße Buchstaben auf schwarzem Hintergrund seit rund einer Woche überall in der Stadt. Initiiert vom Verein “Aktionskreis für Görlitz” haben sich Bürger mit einer Plakataktion gegen die NPD gewehrt. Einzelpersonen, Parteien und Vereine spendeten Gelder, um 600 Plakate in der Stadt und an den Einfallsstraßen aufhängen zu lassen. Bürgermeister Michael Wiehler traf sich auf der Brücke am Grenzübergang mit dem polnischen Bürgermeister und übergab symbolisch ein Anti-NPD-Plakat.

Es ist bereits die zweite Anti-NPD-Kampagne der Stadt innerhalb weniger Wochen. Erst vor kurzem hatte die “Sächsische Zeitung” 400 Porträts von Görlitzern abgedruckt, die sich unter ihrem Namen gegen die Partei aussprachen. “Wir Görlitzer Bürger sind gegen die NPD”, fasst Joachim Rudolph vom Aktionskreis für Görlitz zusammen. “Wir bekommen täglich Anrufe von Bürgern, die unsere Kampagne unterstützen.” Auch wenn die NPD die Lage anders darstelle: “Es gibt eine Menge Normalität an dieser Grenze.”

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/npd-plakatwelle-macht-polen-und-deutsche-wutend/feed/ 0
Tagebuch: Welcome to Görlitz http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/welcome-to-gorlitz/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=welcome-to-gorlitz http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/welcome-to-gorlitz/#comments Fri, 14 Aug 2009 08:14:34 +0000 Ulrike Linzer http://www.wahlfahrt09.de/?p=172 _MG_6163

Foto: Michael Bennett

Auch in Görlitz wurden wir von Kollegen von der Lokalpresse angekündigt, so dass gleich am ersten Vormittag eifrige Neu-Görlitzer mit Jutetaschen voller Info-Material zu uns auf den Postplatz gekommen sind und ihre Geschichten erzählen. Viele handeln von Flucht und Vertreibung, fetten Jahren im Wirtschaftswunderland der BRD und der Rückkehr als Rentner „back zu den roots“, wie es Herr Otto sagt.

Herr Otto wurde vor 68 Jahren in einem Ort 30 Kilometer östlich von Görlitz geboren, im heutigen Luban, und erfüllt sich heute einen Traum, unter anderem in dem er Kutschfahrten durch die niederschlesische Landschaft unternimmt. Er hat Polnisch-Kurse an der Volkshochschule belegt und engagiert sich in deutsch-polnischen Vereinen, denn die Verständigung zwischen den beiden Ländern ist ihm wichtig.

Herr Otto ist keine Ausnahme hier, es gibt mehr Zuzüge als Fortzüge in der Altersgruppe der über 60-Jährigen. Während die Jugend dorthin geht, wo es mehr Arbeit gibt, kommen Kulturinteressierte Rentner aus ganz Deutschland in die pittoreske Stadt, um hier zu günstigen Mieten in schönen Altbauten zu leben. Ein Projekt der Technischen Universität hat in einer Studie zur Lebensqualität Menschen in Gründerzeitgebäuden eine Woche „Probe-Wohnen“ lassen. Aus der Umgebung von Görlitz, auch aus Polen und aus ganz Deutschland kamen Bewerbungen, einige der Tester sollen tatsächlich nach Görlitz umgesiedelt sein, darunter auch zwei Familien.

Darüber wollen wir morgen mehr herausfinden, auch wie es ist, als Jugendlicher hier zu leben, wie der Zuzug der Rentner hier aufgenommen wird. Ob die eher an Aquarellmalen interessiert sind oder sich auch politisch einmischen und engagieren. Herr Otto zum Beispiel demonstriert gegen die NPD. Aber jetzt wird es kalt auf dem Postplatz und die anderen sind schon auf dem Campingplatz und kochen. Hoffentlich regnet es nicht so viel in der letzten Nacht, sonst hat die Wahlfahrt-Crew keine trockenen Klamotten mehr.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/welcome-to-gorlitz/feed/ 0