Wahlfahrt09 » Konstanz http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Aufschwung im Abschwung – Camping am Bodensee http://www.wahlfahrt09.de/orte/aufschwung-im-abschwung-camping-am-bodensee/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=aufschwung-im-abschwung-camping-am-bodensee http://www.wahlfahrt09.de/orte/aufschwung-im-abschwung-camping-am-bodensee/#comments Thu, 27 Aug 2009 10:15:58 +0000 Ulrike Steinbach http://www.wahlfahrt09.de/?p=1607

Campen am Bodensee from Milos Djuric on Vimeo.

KONSTANZ. Seit die Deutschen kein Geld mehr für Fernreisen haben, floriert die deutsche Campingwirtschaft. Denn zelten ist billiger und ökologischer. So lernen wir auf einem kleinen Campingplatz am Bodensee, dass man der Krise auch eine gute Seite abgewinnen kann.

Eine Frau telefoniert unüberhörbar, ein junges Paar diskutiert über den Verbleib der Ausweise, zwei Kinder versuchen, über den Rezeptionstresen zu klettern. Doch Klaus Engelmann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er ist der Typ netter Onkel. Alle, die hier in der Schlange stehen, muss er heute abweisen: “Wir sind leider ausgebucht, aber ich kann Ihnen einen Campingplatz in der Schweiz empfehlen, ganz in der Nähe, gleich hinter der Grenze”, sagt er und lächelt.

Der Betreiber des Campingplatzes Klausenhorn bei Konstanz am Bodensee ist seit 20 Jahren in der Branche. So voll wie in diesem Sommer war es hier lange nicht: “Wir könnten den Platz doppelt bis dreifach belegen.” Er rechnet mit 60.000 Gästen in dieser Saison – ein Zuwachs von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Woran das liegt? Die Wirtschaftskrise. “Die Leute haben kein Geld mehr für Auslandsreisen, Camping in Deutschland ist einfach billiger”, vermutet Engelmann.

Die Deutschen machen Urlaub im Land

Auf den anderen Plätzen rund um den Bodensee sieht es ähnlich aus. “Auch die Hotels sind sehr zufrieden”, sagt Norbert  Henneberger vom Tourismusverband Konstanz. “Die Prognose hat sich bestätigt: Die Deutschen machen seit der Wirtschaftskrise eher Urlaub im Land.” Der Trend ist ein bundesweiter. Im ersten Halbjahr zählten die deutschen Campingplätze acht Millionen Übernachtungen, ein Plus von 12,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Und die Deutschen campen anders, hat Klaus Engelmann festgestellt: “Vor zehn Jahren sind die Urlauber im Schnitt acht Nächte geblieben, jetzt nur noch viereinhalb.” Viele fragen nach, ob es einen Internetanschluss gibt. Die Leute säßen vor ihren Zelten am Rechner und checkten E-Mails, erzählt Engelmann. “Sie können nicht mehr so lange wegbleiben vom Job.” Und die meisten gingen seltener essen. Statt dessen suchten sie im Discounter gezielt nach Angeboten. Engelmann zeigt auf Regale neben der Rezeption, auf denen Werbeprospekte diverser Supermärkte ausliegen. Urlauber haben sie von ihren Einkäufen mitgebracht.

Dauercampen wird Luxus

Elli und Juray Semper, Dauercamper aus Holzgerlingen, sitzen vor ihrem Wohnwagen in der Sonne. Ein kleines Blumenbeet ziert ihren Essplatz. Im Fenster hängt eine Plüschblume, das Vorzelt ist mit einer Lichterkette geschmückt. Seit 20 Jahren kommen die Sempers nach Klausenhorn. Lange wird das nicht mehr gehen, befürchten sie. 1800 Euro kostet der Platz im Jahr, drei Mal so viel wie noch vor elf Jahren. Bei 1200 Euro Rente ein Luxus.

“Ich geh nicht mehr wählen, ich hab kein Vertrauen in die Politik”, sagt Juray Semper resigniert. “Die schwätzet alle so schee”, fügt seine Frau hinzu. Sich einbringen in die Gesellschaft, auch das kostet Geld. Vereinsbeiträge zum Beispiel. Aber sie wollen das tun, was sie können, im kleinen Rahmen. Wenn sie Pommes machen am Zelt, dann versorgen sie alle Kinder der Parzelle gleich mit. Und ihre fünf Enkel unterstützen sie, soweit sie können. “Ohne Kinder gibt es doch keine Zukunft”, sagt Juray Semper.

Hinter der Buchsbaumhecke, die die Parzellen voneinander trennt, sticht ein dunkelroter Pavillon zwischen weißen Campingwagen hervor. Gelassen dreht sich Wolfgang Csacsko davor eine Zigarette. Früher ist der 50jährige Krankenpfleger nach Norwegen gefahren, auch mal nach Italien und Spanien. “Das ist nicht mehr drin.”

Krise braucht grüne Politik

Einige Meter entfernt mischen sich Kinderstimmen mit Hammerschlägen und Musik. Dort, wo das Gelände an das Strandbad grenzt, baut Heinrich Jehle sein Igluzelt auf. Er versucht es jedenfalls. Wenn nicht gerade der dreijährige Rafael was zu trinken will, die kleine Hannah aufs Klo muss oder der 12jährige Jonas die Luftpumpe sucht. Obwohl der Familienvater aus Nürtingen als Chemiker in der Pharmaindustrie ein gutes Einkommen hat, sei Camping für ihn die einzige Möglichkeit, Urlaub zu machen: “Mit drei Kindern ist alles andere zu teuer.”

Für Klaus Engelmann läuft das Geschäft gut. “Wir sind hier Gewinner der Wirtschaftskrise”, resümiert er. Auf einmal wird sein Blick ganz wach und seine Stimme kräftiger. Man müsse endlich anfangen, Konsequenzen aus der wirtschaftlichen Lage zu ziehen. So wie der 51jährige Engelmann, der vor kurzem Mitglied der Grünen geworden ist. “Die Krise braucht grüne Politik”, sagt er.

Jeder vierte Konstanzer sieht es genau so wie Engelmann. Seit der Kommunalwahl am 7. Juni dieses Jahres hat die Freie Grüne Liste (FGL) mit zehn Mandaten erstmals die Mehrheit im Gemeinderat und löst damit die CDU als bisher stärkste Kraft ab. Das liege vor allem am Bildungsschwerpunkt”, sagen die Mitglieder.

Bildung ist auch Engelmann wichtig, vor allem im Umweltbereich.  Mit 200 anderen Campingplatzbetreibern hat er sich zum Verein “Ecocamping” zusammengeschlossen. Dazu gehört, dass die Toiletten auf seinem Platz mit Wasser aus dem Bodensee gespült werden, Autos vor dem Gelände parken müssen und es Naturbildungsprogramme und Solargrills gibt. Engelmann sieht sich als Vorbild: “Für innovative Ideen werden wir zuerst oft belächelt. Aber die Leute fahren nach Hause und denken darüber nach.”

Die Krise hat ihr Gutes

Der Platz in Klausenhorn ist auf Familien eingestellt. Im Waschraum gibt es Mini-Waschbecken mit Mickimaus-Armatur auf Kniehöhe, im Backhaus können Kinder unter Anleitung Pizza backen, für den Abend hat sich der Zirkus Papperlapapp angekündigt. Klaus Engelmann blättert in einem Fotoalbum: “Das ist ein Vogelstimmenrad, das wollen wir hier vorn aufbauen”, sagt er und weist auf den Vorplatz.

Engelmann freut sich darüber, dass die Urlauber in Deutschland bleiben. Nicht nur, weil sein Campingplatz davon profitiere, wie er betont, sondern auch unter “grünen” Gesichtspunkten: “Es wird weniger Sprit verbraucht und die Leute unterstützen die heimische Wirtschaft.” Statt anstrengender Fernreisen oder Cluburlaub mit Animationsprogrammen sollten sich Familien auf andere Werte besinnen: “Zeit zusammen verbringen, sich miteinander beschäftigen”. Und so hat die Krise auch etwas Gutes.

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Wie sich Politik beschleunigen lässt http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/grenzstreit-um-konstanzer-schulen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=grenzstreit-um-konstanzer-schulen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/grenzstreit-um-konstanzer-schulen/#comments Thu, 27 Aug 2009 06:00:30 +0000 Paula Scheidt http://www.wahlfahrt09.de/?p=1696 Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

KONSTANZ. Weil die Konstanzer Gymnasien bei den in der Schweiz wohnhaften Exil-Deutschen so beliebt sind, werden Kinder aus Konstanz abgewiesen. Einspruch zwecklos – doch einem Familienvater hilft die baden-württembergische Landesregierung in Rekordtempo. Dem Wahlkampf sei dank.

So eine schnelle Antwort hätte Michael Breuninger sich nicht träumen lassen. Nur drei Tage zuvor hatte er den Brief zur Post gebracht. „Sehr geehrter Herr Oettinger“, hatte er geschrieben, „wir brauchen Ihre Hilfe!“ Das Wort „Hilfe“ hatte er fett gedruckt und unterstrichen, jeden einzelnen Satz mit einem Ausrufezeichen versehen. „Trotz bester Noten hat meine Tochter keinen Platz an ihrem Wunschgymnasium bekommen!“ Der Mann, der kurz darauf in Breuningers Café am Tresen auftauchte, kam aus Stuttgart. Er wollte wissen, was denn da los sei mit Breuningers Tochter Sandrina und deren Absage für das Humboldt-Gymnasium.

Nichts erzählt Breuninger lieber als das.

Trotz einer Empfehlung war seine Tochter im Mai von ihrem Wunschgymnasium abgelehnt worden. Es gebe nicht genug Plätze und eine andere Schule liege auch näher zum Wohnsitz der Breuningers. Man empfahl Sandrina, sich dort anzumelden. Breuninger legte Einspruch beim Schulleiter ein, der wurde abgelehnt. „Dabei ist unsere Tochter ein Ass in Mathe und hat die besten Noten“ sagt Breuninger voller Bewunderung, er und seine Frau hätten „nur“ mittlere Reife. Wegen des sehr guten Rufs musste es in Breuningers Augen unbedingt das naturwissenschaftliche Humboldt-Gymnasium sein. Dass seine Tochter keinen Platz bekommen sollte, obwohl sie die Anforderungen erfüllte, wollte ihm nicht in den Kopf.

Breuninger ging zur Presse – und heraus kam, dass er nicht der einzige war, dessen Kind abgelehnt wurde. Mindestens neun weitere Fälle wurden bekannt. Gleichzeitig jedoch wurden Kinder von Deutschen, die in der Schweiz wohnten, angenommen. Seit das Nachbarland vor zwei Jahren die Einwanderungsbestimmungen gelockert hat, sind viele Deutsche aus der Bodenseeregion über die Grenze gezogen. Und die schicken ihre Kinder gern weiter in Deutschland zur Schule.

Nehmen deutsche Auswanderer also Deutschen die Schulplätze weg? Eigentlich geht das nicht, denn gesetzlich müssen Inländer bevorzugt werden. Immerhin zahlen die Eltern in der Schweiz Steuern, also sollten ihre Kinder auch dort zur Schule gehen. Breuninger versteht die Präferenz für deutsche Schulen sowieso nicht: „Das Schweizer Schulsystem hat doch einen sehr guten Ruf!“

Er beschwerte sich wieder, eine Ebene höher, beim Regierungspräsidium in Freiburg. Dort kennt man die Eskalationsgefahr von schweizerisch-deutschen Grenzkonflikten nur zu gut. Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit nennt das Grenzverhältnis „nicht ganz emotionsfrei“. Fingerspitzengefühl sei gefragt, um Konflikte wie den um Fluglärm oder Verpachtung von Land zu lösen. Denn: „Wir sind an guten Grenzbeziehungen sehr interessiert.“ Den Einspruch von Breuninger lehnte er dann auch ab – weil angeblich seit Jahren alle Schüler unanhängig vom Wohnsitz gleich behandelt würden.

Also schrieb Breuninger den Brief an den Ministerpräsidenten. Der handelte blitzschnell: Schon zwei Tage nach dem unerwarteten Besuch aus Stuttgart bekam Breuninger ein Schreiben vom Humboldt-Gymnasium. Nun wurde Sandrina doch zugelassen. „Wir helfen ihrem Widerspruch ab“, stand in dem Brief. Mehr nicht. Breuninger ist die Freude deutlich anzusehen, wenn er von der überraschenden Wende erzählt. Aber er sagt auch: „Ich will mir den Erfolg nicht auf die eigene Fahne schreiben. Würden wir uns nicht im Wahlkampf befinden, hätte das nie und nimmer geklappt.“

Für den Politologen Jochen Voss ist die Reaktion des Kultusministeriums nichts als ein „politisches Symbol“. Er ist Experte für Wahlkampfmethoden und hat beobachtet: Solche Hauruck-Aktionen setzen Politiker vor Wahlen gerne einsetzen, um die Bürger zu beeindrucken und zu zeigen: Wir sind da und tun etwas für euch. „Je mehr der Wahlkampf in den Medien stattfindet, desto stärker setzen Politiker auf symbolische Politik, indem sie komplexe Probleme vereinfachen und emotionalisieren.“

Auch Frank Brettschneider, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Hohenheim vermutet den Wahlkampf als Grund für die schnelle Reaktion. „Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg hat in letzter Zeit immer wieder hohe Wellen geschlagen“, sagt er. Die Landesregierung habe so kurz vor der Wahl sicher kein Interesse an negativen Schlagzeilen zum Thema Schule.

Beim Kultusministerium in Stuttgart gibt man sich einsilbig: „Der Fall Konstanz ist erledigt.“ Die nötigen Gesetze existierten bereits. Das Regierungspräsidium Freiburg ist hingegen noch dabei, diese auszulegen. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Lösung. Wie nächstes Jahr entschieden wird, steht offen“, sagt Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit. Dass der Wahlkampf die vorläufige Kehrtwende herbeigeführt habe, bestreitet er.

Auch die anderen neun Kinder, die zuvor abgewiesen worden waren, haben nun einen Platz am gewünschten Gymnasium bekommen. „Dafür fehlen uns aber die Räume, für die wir seit Jahren kämpfen“, sagte Jürgen Kaz, Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums, nach der Entscheidung dem Südkurier. Die Zahl der in der Schweiz wohnenden Schüler  an Konstanzer Gymnasien nimmt der Zeitung zufolge zu. Vor zwei Jahren seien es 122, im vergangenen Jahr 145 und derzeit sogar 188.

Wahlkampf hin oder her. Breuninger ist zufrieden, er hat sein Ziel erreicht: Sandrina wird wie gewünscht ab dem neuen Schuljahr das Humboldt-Gymnasium besuchen. Vor kurzem hat er noch einen zweiten Brief nach Stuttgart geschrieben: „Sehr geehrter Herr Oettinger, wenn Sie irgendwann wieder einmal in Konstanz sind und einen guten Cappuccino trinken möchten, wären Sie natürlich, als kleines Dankeschön, gerne mein Gast.“

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Tagebuch: Das immobile Journalistenbüro http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/das-immobile-journalistenburo/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=das-immobile-journalistenburo http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/das-immobile-journalistenburo/#comments Wed, 26 Aug 2009 19:20:17 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=1486 tagebuch_26092009

Foto: Milos Djuric

Die gute Nachricht zuerst: Wir haben das Beste aus dem Tag gemacht. Eigentlich sollte es heute morgen nur ein Kaffee sein, die Kaffeemaschine lag aber noch im Auto. Also hin durch den feuchten Morgen, alles gefunden, ach ja, das Vitamin C liegt noch in der anderen Autotür, Tür zu, und dann: Zwei Autoschlüssel liegen auf dem Autositz, vom topdiebstahlgesicherten BMW automobilclubsicher eingeschlossen. Ein Kurier muss aus München einen zweiten Autoschlüssel bringen, wir hängen auf dem Campingplatz Klausenhorn 15 km außerhalb von Konstanz fest – und der Wahlfahrt09-Wagen bleibt heute zwangsweise zu.

Die Wahlfahrt09 ist aber flexibel, so wie freie Journalisten eben sind, und hat sich für den Tag an die Bierbänke zwischen die Zelte gesetzt und arbeitet jetzt um zwanzig nach sechs immer noch. Angesichts des aktuellen Aufhängers wollen wir jedoch gerne einige exemplarische Situationen schildern, die vielleicht auch erklären können, wieso wir bislang noch kein einziges Mal aus der Stadt berichtet haben, in der wir uns aufhalten.

Gestern morgen: Die Wahlfahrt09 hatte sich am Abend zuvor eine disziplinierte Aufstehzeit von halb 8 gesetzt, wurde dann aber nicht durch Übermüdung durch nächtlich schreiende Kindes/betrunkene Teenies/Reissverschlüsse/schnarchende Nachbarn, sondern durch banalen, heftigen Regen an der Konferenz vorm Zelt gehindert. Zog also mit Sack und Pack an einen durchnässten Tisch im Hauptzelt am anderen Ende des Campingplatzes um, wartete brav auf den Platz, den andere erst machen mussten und begann dann zu frühstücken.

In der letzten Woche hat es auch andere wetterbedingte traurige Szenen gegeben: Etwa, wenn am Bauwagen kein Gaffa-Tape fürs Banner halten wollte, weil die Wand nass war – so dass unsere Mitglieder mit Küchentüchern kleine Flecken trocken rieben, damit die Repräsentativität unseres Projektes zumindest im Ansatz gewahrt bleiben konnte. Im feuchten Wind unter einem neu angeschafften Pavillonzelt tippten wir dann, in unsere Wahlfahrt-Jacken gemummelt, unsere Texte. Das war dann auch nicht besser als die über 30 Grad in der prallen Sonne, die in Hof, Halle oder Eisenhüttenstadt den Bauwagen aufheizten und die Hirne lähmte.

Am Wagen sitzt die Wahlfahrt09 auf dem Präsentierteller. Immer wieder kommen also Passanten und fragen, was wir tun oder wo der nächste Kaufhof ist. An anderer Stelle war bereits die Rede davon, dass sie Dokumente und Informationen vorbeibringen. Dann gibt es aber noch die Anderen, die kommen, weil sie unsere Rechner kaufen wollen, unsere Milch trinken, unsere nicht vorhandenen Wahlflyer lesen, einen Kugelschreiber geschenkt haben wollen oder uns mit einer Partei verwechseln. Manche finden auch unsere Armbanduhren schön und wollen sie auch gerne anfassen. Manchmal wird aus der Wahlfahrt09 unversehens auch ein themenfremdes Kummerkastenbüro, wenn auf eine erste Nachfrage hin persönliche Schicksale offenbart werden. Wir haben kein Herz aus Stein, deswegen hören wir stets aufmerksam zu und bemühen uns aufrichtig um die Anerkennung noch so abseitiger Positionen. Ein Ende zu finden ist aus Gründen der Höflichkeit oft schwer.

Herzzerreissende Szenen spielten sich z.B. in Hof ab, als eifrige Wahlfahrtler die verlorene Zeit aufholen wollten und bis in die Nacht bei Kerzenschein auf Zäunen und klammen Decken vor ihren Laptops kauerten, anstatt bei Rotwein Sternschnuppen zu gucken.

Egal ob morgen, mittags oder abends – immer wieder wird die Wahlfahrt von Zeitlöchern geschluckt. Etwa weil die Kamera in einem Wagen, der Kaffeemacher in einem anderen, der Schlüssel zum Wagen in einer Tasche, die Tasche in einem Zelt, die Person zum Zelt aber beim Duschen ist und deren Handyakku aus ist, weil die Kabeltrommel wiederum im Bauwagen ist und der Schlüssel dazu im anderen Wagen, dessen Besitzer wiederum gerade auf Toilette musste, die Toilette aber ein paar Minuten weg im zweiten Stock von Karstadt liegt. Oder so. „Ich suche…“ hat sich folgerichtig bereits zum geflügelten Wort entwickelt.

Und das nicht nur analog, sondern auch digital. Immer wieder suchen die Wahlfahrtler nach schnellen Lösungen für kleine Bugs – ein normaler Prozess auf einer neuen Internetseite, der glücklicherweise von unserem Programmierer Till stets zeitnah begleitet wird – auch am Wochenende und des Nachts. Wenn denn das mobile Internet mitspielt, das uns immer wieder zähe Minuten beschert.

Übrigens: Kaum hat aber jemand rausgefunden, wann was wo ist oder wie geht oder wie das Banner am Wagen richtig hängen bleibt, muss er wieder abreisen und der nächste Neue schlägt mit dickem Rucksack bei uns auf und starrt uns mit undurchdringlicher Miene einen Tag lang an. Erfahrene Wahlfahrt-Mitglieder lächeln dann ermutigend und kreuzen die Finger hinterm Rücken, wenn sie versprechen: Morgen wird das Wetter wieder besser – Wir räumen bald mal wieder auf – Ich redigier Deinen Text gleich, nachdem ich noch…

Ach ja. Die Leberwurst wurde auch seit zwei Tagen nicht gekühlt. Sollte die Wahlfahrt also morgen mit Salmonellen niederliegen, verzeiht uns auch das.

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Wenn Fische Wahlkampf machen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wenn-fische-wahlkampf-machen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wenn-fische-wahlkampf-machen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wenn-fische-wahlkampf-machen/#comments Wed, 26 Aug 2009 10:10:25 +0000 Moira Lenz http://www.wahlfahrt09.de/?p=1736 konstanz_fischpartei-intro

Foto: Markus Brenner


Erschienen am 2. September 2009 auf Spiegel Online

KONSTANZ. Wer steckt dahinter, die “Titanic” oder Horst Schlämmer? In Konstanz sind die Straßen mit sonderbaren Wahlkampfplakaten gepflastert, auf denen Forellen im Deutschland-Badeanzug zu sehen sind. “Wahlfahrt09″-Reporterin Moira Lenz spürte den Fischen in der Politik nach – und stieß auf eine Überraschung.

Fische im Wasser sind eigentlich nichts Besonderes. Doch diese Forellen im kristallklaren Seitenkanal machen Wahlkampf und kommen einfach nicht vom Fleck. Es sind an Eisenstangen befestigte Fischskulpturen, überlebensgroß auf Folie gedruckt, die durch die Strömung hin- und hergleiten. Am Geländer der Brücke, die über den Kanal führt, hängen Wahlplakate. Der Slogan lautet: “Mit uns gegen den Strom – Die Fische”.

Hinter der Fischpartei stecken weder Piratenpartei, “Titanic” noch Horst Schlämmer, sondern Markus Brenner, Medienkünstler aus Konstanz. Der schlanke, braungebrannte 46-Jährige erzählt begeistert von seinem aktuellen Projekt – einer Kunstpartei. Er managt das Ganze, Spitzenkandidaten sind aber die Fische: Forellen, die deutsche, schweizerische oder schwedische Badeanzüge tragen.

Fische sind Brenners Markenzeichen, seit sie 2002 Teil einer Videoinstallation mit einer Schweizer Wasserballmannschaft und bekleideten Fischen waren. Heraus kamen tierische Menschen, die unter Wasser wüteten – und zivilisierte, gut angezogene Fische, die sich elegant im Tanze wiegten. Ein Rollentausch, der für Brenner zum Beginn einer künstlerischen Auseinandersetzung mit den Analogien zwischen Fisch und Mensch wurde. Fortan suchte der Medienkünstler nach Badehosen und Bikinis, um daraus Fischanzüge schneidern zu lassen und am frisch gefangenen Modell zu fotografieren. Derart individualisiert, verkleidet, präsentieren sich die Fische in menschlichem Gewand als Grenzgänger zwischen Natur und Kultur.

“Gute Kunst gibt keine Antworten!”

Pünktlich zur Vernissage seiner jüngsten Unterwasser-Kunstinstallation hat Brenner die Stadt am Bodensee mit Plakaten der Fischpartei zugekleistert. Zuvor hatte der Künstler die Bildsprache von Wahlwerbung recherchiert und verglichen, mit dem Ergebnis: “Einfach strukturiert, seit Jahren gleich: Slogan, Foto, Kreuzchen – fertig ist das Wahlplakat.” Für die weitere Inszenierung folgte er dem politischen Vorbild und spitzte Redewendungen aus der Wasserperspektive auf Parteislogans zu: “Wir bieten Tiefgang”, “Zukunft ohne Widerhaken”, “Frei schwimmen überall”, “Fisches Wasser weltweit”. Auch “Liquidität” und “Transparenz” zählen zu den Schlagworten der Fischpartei – Begriffe, die in ihrer Doppeldeutigkeit heute auch in der Realpolitik hochaktuell sind.

Am 31. Juli postierte er den Stand der Fischpartei am Seeufer. Parteitypisch mit Sonnenschirm und Logo, Werbeprospekten, Postkarten und Buttons – und natürlich Fischen. Die Plakate sorgten für Verwirrung: Viele nahmen die Aktion ernst, erzählt Brenner bei einem Kaffee in der Sonne: “Ich wurde gefragt, ob wir wählbar seien, was das Ganze soll und was für ein Programm wir vertreten.” Brenner schmunzelt: “Und weil wir mit dem Slogan ‘Gegen den Strom’ warben, dachte manch einer sogar, dass wir die Strompreise senken wollten.”

Auch wenn diese Inszenierung durchaus humoristische Elemente aufweist – der Kunsthistoriker Jürgen Stöhr, 45, sieht in Brenners Parteiensimulation einen großen Unterschied zu Hape Kerkelings Parteienpersiflage: “Kunst lässt Irritation entstehen, Hape Kerkeling löst sie sofort wieder auf.” Während politische Comedy nur einen kurzen Aha-Effekt bewirke, liege die Stärke im Kunstdiskurs darin, die Situation offen zu lassen. So sei der Betrachter aufgefordert, die Irritation wahrzunehmen, hinzunehmen – sonst passiere nichts, sagt Stöhr: “Gute Kunst gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen. Hier zum Beispiel: Was ist Politik?”

“Politik sollte experimentierfreudiger sein”

Markus Brenner will mit seiner Fischpartei auf gesellschaftspolitische Entwicklungen aufmerksam machen. So wie seine Fische erst über kulturelle Symbole wie Nationalfarben oder Kleidung menschliche Züge annehmen, entstehe bei den Menschen heute Zugehörigkeit über Logos. Ob im Pferdesport, beim Golfen, Segeln oder Skaten – auf der ganzen Welt kleideten sich die jeweiligen Gruppen gleich. Dagegen verliere der Nationalstaat immer mehr an Bedeutung.

Neulich belauschte Brenner eine Dame, die am Rhein direkt an der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz einen Schweizer Fisch kaufen wollte. Für Brenner steckt hinter der absurden Vorstellung, einem Fisch eine Nationalität zuzuordnen, ein Denkanstoß für die Frage der Nationalität insgesamt: “Ob man auf der einen oder anderen Seite der Grenze geboren wurde, bestimmt so viel. Dabei ist es auf einer anderen Ebene völlig gleichgültig”. Willkürlich sei es, welche Farbe der eigene Pass trage.

Selbst politisch aktiv zu werden, kann sich der Künstler nicht vorstellen. Die Kunst könne hier mutiger sein, weil sie sich später nicht rechtfertigen müsse im gesellschaftspolitischen Sinne. Genau diesen Mut vermisst Brenner in der Realpolitik: “Es wäre spannend, wenn die Politik experimentierfreudiger wäre. Man könnte doch ein paar Jahre etwas austesten, zum Beispiel das Grundeinkommen.” Aber dafür sei das Besitzstandsdenken der Politiker wohl zu groß.

Was passiert, wenn der “Politiker” durch den “Fisch” ersetzt wird?

Kunsthistoriker Stöhr findet die Aktion gut. Ihm gefällt, dass der vertraute Wasserkanal der Stadt durch die Fischinstallation verwandelt wird, einen zweiten Blick provoziert: “Plötzlich wird der kleine Wassergraben, der wunderschön romantisch, aber schon alltäglich ist, wieder zu etwas Besonderem.”

Die Fischpartei sei zudem ein gelungenes Beispiel für “Kontextkunst”. Der Begriff bezeichnet eine Kunstströmung, die bereits in den 1980er und 1990er Jahren temporär in den gesellschaftlichen Diskurs eingriff, erklärt Stöhr: “Indem sich Brenner in den politischen Prozess einschleicht, simuliert er auf der Ebene des Kunstwerks, was Parteien in der Realität tun.” Das Projekt funktioniere durch Ersetzung: “Was passiert, wenn der Begriff Politiker durch den Begriff Fisch ersetzt wird? Die Metapher für den Politiker ist Fisch: Glitschig, sprachlos, austauschbar, nicht greifbar, es kommen Luftblasen statt Wahrheiten aus dem Mund.” So mache Brenner den Politiker sichtbar, indem er den Fisch zeige.

Im Kanal beim Inselhotel holt sich die Natur die Partei-Forellen erstaunlich schnell zurück: Alle paar Wochen muss Markus Brenner ins Wasser steigen, um seine Fische von Algen, Plankton und kleinen Krebschen zu befreien. In der Realpolitik geht das Saubermachen leider nicht so leicht.

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Tagebuch: Jetzt fahrn wir übern Bodensee http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/jetzt-fahrn-wir-ubern-bodensee/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=jetzt-fahrn-wir-ubern-bodensee http://www.wahlfahrt09.de/tagebuch/jetzt-fahrn-wir-ubern-bodensee/#comments Tue, 25 Aug 2009 12:24:37 +0000 Ulrike Steinbach http://www.wahlfahrt09.de/?p=1339 tagebuch2409  

Foto: Milos Djuric

Zwei Frauen, ein BMW, ein Bauwagen…es werden sich wohl so einige Reisende gefragt haben, auf welcher Mission wir unterwegs sind. Aber wir haben zumindest einigen männlichen Mitmenschen ein gutes Gefühl gegeben, auf unserer Fahrt von Erding nach Konstanz. Wie hätten wir ohne sie den Tankdeckel auf gekriegt, den Bauwagen rückwärts manövriert (das schafft auf einem Miniparkplatz kein Mensch, nein, auch kein Mann!) geschweige denn, ohne Navi den richtigen Campingplatz gefunden.

Auf die Autofähre von Meersburg nach Konstanz ham wirs aber ganz allein geschafft. Allerdings war es inzwischen dunkel. Dafür konnten wir uns der Illusion hingeben, wir würden im Hafen einer griechischen Insel einlaufen. Nur der Geruch nach Süßwasser irritierte etwas, war aber auch schön.

Auf dem komplett ausgebuchten Campingplatz gabs noch ein freies Eckchen für uns, die Zelte kuscheln jetzt miteinander. Man macht wieder Urlaub in Deutschland, erzählte uns der sehr hilfsbereite Platzwart (Beleuchtung, Bollerwagen und Bierbänke), die Leute haben kein Geld mehr für Fernreisen.

Scheinbar aber fürs Shoppen. Die Konstanzer Innenstadt jedenfalls ist voll. Nur hier auf unserm Platz ist noch nicht viel los. Eine rheinländische Rentnerin hat sich zu uns gesetzt. Sie lebt seit 30 Jahren in Konstanz, hat sich aber immer noch nicht eingelebt. Die Konstanzer hält sie für stolz, verklemmt und unfreundlich. Wir sind gespannt…

Gleich werden wir uns bei der Konstanzer Lokalpresse vorstellen. Ansonsten laufen die Recherchen an. Oberthema: Bildung.

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