Wahlfahrt09 » Energie http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 „Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 10:23:35 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3378 RuchniewiczFoto: Jörn Neumann

HALLE. Krzysztof Ruchniewicz ist Professor für Zeitgeschichte am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw und beschäftigt sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen und Fragen der Europäischen Integration. Er koordiniert auch das deutsch-polnische Schulbuchprojekt, das Frank Walter Steinmeier als Außenminister angestoßen hat.

„Ich spreche hier viel über die deutsch-polnische Nachbarschaft und unser Verhältnis. Die NPD macht in deutschen Städten an der polnischen Grenze einen stark polenfeindlichen Wahlkampf. Jede polnische Zeitung, jedes polnische Medium berichtet darüber. Die Empörung ist groß, dass die deutschen Gerichte entschieden haben, dass diese Plakate nicht abgehängt werden dürfen. Gleichzeitig wird in der polnischen Presse aber betont, dass es nicht nur eine polnische Gegenreaktion auf diese Plakate gibt, sondern auch auf der deutschen Seite Initiativen entstehen, die sich dagegen wenden. Das bemerkt selbst die nationalkonservative Presse. Es herrscht eine größere Sensibilität auf beiden Seiten vor, und das zeigt, dass das nachbarschaftliche Verhältnis besser geworden ist.

Komisch ist jedoch, dass die Deutschen im Wahlkampf das Thema Europa nicht ansprechen. Polen wurde von Deutschland beim Natobeitritt und beim EU-Beitritt sehr unterstützt. Nun scheint eine Krise eingetreten zu sein, weil man nicht weiß, wie es in Deutschland mit dem Europa-Gedanken weitergehen soll. Was bedeutet das für Deutschland, sind da alle europäischen Fragen erfüllt, oder gibt es neue Fragen, die uns in der Zukunft stärker beschäftigen? Zum Beispiel der Klimaschutz oder die Frage der Energie. Es wäre wichtig, dass man dieses Thema nicht auf das deutsch-russische Verhältnis reduziert, sondern als eine gemeinsame Frage für die Europapolitik begreift. Stellt Deutschland die europäische Perspektive jetzt zurück und handelt stärker bilateral? Eine Fülle von Fragen, die in diesem Wahlkampf nicht thematisiert werden.

Mir fällt auch auf, dass sehr viele Menschen unzufrieden sind, sie bezeichnen etwa Zeitarbeit als verdeckte Arbeitslosigkeit, sprechen über HartzIV. Diese Themen irritieren die Leute. Manche kritisieren den Verfall der Werte, die Diskrepanz zwischen dem, was Politiker sagen und dem, was sie tun. Das hört man, wenn man am Biertisch sitzt und ein bißchen plaudert. Eine Partei wie die Linke, die sich um solche Themen kümmert, hätte in Polen aber keine Chance. Das hängt mit unserer Geschichte des Postkommunismus zusammen, man hat gelernt, kritisch auf die kommunistische Vergangenheit zu sehen, und da kann man nicht die Augen vor verschließen. Die Linke hatte bei uns in den letzten Jahren keinen großen Zulauf.

Wir Polen beneiden dieDeutschen um ihr Sozialsystem, angefangen von der ärztlichen Versorgung bis hin zur Arbeitslosenversorgung. Das haben wir noch nicht erreicht.“

Der Amerikaner – “Die Deutschen lieben Obama, aber hassen Amerika”

Der Holländer – “Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns”

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Drei Generationen Grün http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/drei-generationen-grun/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=drei-generationen-grun http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/drei-generationen-grun/#comments Wed, 23 Sep 2009 18:24:11 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3372

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Foto: Christian Salewski

WENDLAND. Im Wendland begab sich die Wahlfahrt09 auf Spurensuche nach der Geschichte der Grünen. Denn in der Gegend rund um Gorleben hat die Anti-Atombewegung seit drei Jahrzehnten eine feste Basis – und damit auch die Partei.

Marianne Fritzen kneift die Augen zusammen. Auf ihre Stirn legen sich Falten, als sie fragt: „Haben wir das Recht, diesen Müll zukünftigen Generationen zu überlassen?“ Es geht um den Atommüll im nur wenige Kilometer entfernten Zwischenlager in Gorleben. Die Frage ist reine Rhetorik, denn wirklich überzeugen muss sie hier niemanden: Eine Gruppe 18- bis 20-jähriger Freiwilliger im ökologischen Jahr sitzt an einem langen Tisch in der Scheune von Harrys Heuhotel in der Nähe von Lüchow. Dass sie alle gegen Atomkraft sind, ist selbstverständlich.
Die 20-jährige FÖJ-lerin Gesa Krone wurde schon als Kind auf die Demonstrationen im Wendland mitgenommen, das Fotoalbum der Familie zeigt die Eltern mit „Atomkraft, nein danke!“-Schild. Gut möglich, dass die Familie damals schon mit Marianne Fritzen zusammentraf. Wohl kaum jemand könnte die Geschichte des Wendlandes und der Grünen besser erzählen als die kleine 85jährige, die seit 36 Jahren gegen die Atomkraft kämpft.

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Foto: Jörn Neumann

Am Abend zuvor im Wohnzimmer von Fritzen. Auf den Sesseln am Fenster saßen schon Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. Nun sitzen hier drei Generationen Grüne beieinander: Neben Fritzen Martina Lammers, die derzeitige Vorstandsvorsitzende der Grünen im Landkreis Lüchow-Dannenberg und ihre Tochter Ronja Thiede. Die Tochter ist 18 und schon seit zwei Jahren Mitglied in der Partei, daneben sitzt sie auch im Vorstand der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg e.V. (BI). Marianne Fritzen ist so etwas wie ihre politische Großmutter: Sie ist nicht nur die “Mutter der Bewegung”, sondern auch ein Gründungsmitglied der Grünen. Schon 1978 baute Fritzen die Vorläuferpartei “Grüne Liste Umweltschutz” mit auf, die ein Jahr später mit anderen sozialen Bewegungen in den Grünen aufging. Die neue Partei sollte einen Gegenpol zur atomfreundlichen SPD in den Parlamenten schaffen und den illegalisierten Widerstand auf der Straße politikfähig machen.

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Foto: Jörn Neumann

Als Fritzen die Grünen mitgründete, war Ronja noch nicht geboren. Aber sie kennt das Bild, das Fritzen ihrer Mutter geschenkt hat. Rot auf Gelb zeigt es den Moment im März 1979, bevor die damals 50-jährige Fritzen bei einer Blockade zum ersten Mal festgenommen wurde. Fritzen steht darauf mit ihrer Strickmütze etwas verloren einer Gruppe großer Polizisten in voller Montur gegenüber. Klare Machtverhältnisse könnte man meinen, wäre da nicht dieser Blick, mit dem Marianne Fritzen zu den Polizisten aufschaut. Ein Blick, der sagt: Was wollt ihr von mir? Das Foto wurde zu einem Symbol der deutschen Anti-Atombewegung, genauso bekannt wie das gelbe X, die lachende Atomsonne und der Gorleben-soll-Leben-Auto-Aufkleber. 1984 benutzten es die Grünen als Wahlwerbung. Ihr Slogan: „Demokratie braucht Luft zum Atmen“.

Im Wendland setzte die damalige Regierung gegen den Widerstand der damals hunderttausend Menschen starken Anti-AKW-Bewegung das “Erkundungsbergwerk Gorleben” durch. Seither sind elf Castortransporte durchs Wendland gefahren, jeder einzelne hat eine “sechste Jahrezeit” ausgelöst, wie die Gegner den Ausnahmezustand während der Demonstrationen und ihrer Vorbereitungen dort nennen.

Auch die 42jährige Martina Lammers ist seit den 1980er Jahren im Widerstand aktiv – und durch eigene Erfahrung überzeugt, dass im Parlament allein kein Ende der Atomenergie erreicht werden kann. „Wir haben hier keinen Respekt vor der Staatsgewalt, weil die uns friedliche Demonstranten mit Füßen getreten hat“, sagt die Frau mit der sanften Stimme. Lammers Augen werden bei solchen Sätzen schnell feucht, der Widerstand ist eine Herzensangelegenheit für sie: „Unsere Kraft kommt aus dem Wissen, auf der richtigen Seite zu stehen. Und die richtige Seite ist der Widerstand gegen eine Sache, von der wir alle wissen, dass sie falsch ist.”

Weil die Grundschullehrerin stets bei den Demonstrationen dabei war, die der Staat so heftig bekämpfte, blieb auch ihre Tochter Ronja schon als Teenagerin bei Blockaden so lange sitzen, bis sie weggetragen wurde. Jetzt ergänzt die 18jährige mit Blick auf das Plakat: „Die Polizeigewalt begleitet unsere Demonstrationen leider immer.” Solche Sätze gehen den Kindern, die im Wendland aufgewachsen sind, flüssig von den Lippen. 300 ihrer Mitschüler wurden beim vorletzten Castortransport von der Polizei stundenlang eingekesselt. Auch wegen dieser Erfahrungen ist sie heute bei den Grünen aktiv.

Dabei ist genau die Institutionalisierung der grünen Graswurzel-bewegung das Problem: In der Bewegung kann man noch konkrete radikale Forderungen aufstellen, in der Politik muss man lavieren und andere Interessengruppen berücksichtigen – wie die Grünen beim Atomkonsens, den die Wendländer Grünen nicht mehr mittrugen. Für Fritzen war der Wendepunkt erreicht, als die von ihr mitgegründete Partei im Jahr 2000 den Atomkonsens unterschrieb. Sie, die Ikone der Bewegung, trat aus.


Marianne Fritzen hat Grünen mitbegründet. Im Interview erläutert sie, was sie dazu bewegt hat, aus der Partei auszutreten. Von Lu Yen Roloff und Daniel Poštrak.

„Ich hatte damals das Gefühl, dass meine wesentlichen Gründe, in die Partei einzutreten, verraten worden waren”, erinnert sich Fritzen im Gespräch mit Lammers und Ronja, und ebenso noch einmal am nächsten Tag den FÖJ-lern in Harrys Scheune: “Der Pazifismus, die Forderung der Abschaffung von Atomenergie und der basisdemokratische Charakter der Partei. Und damit alles, wofür ich 30 Jahre gekämpft hatte.“ Fritzens Austritt markierte einen Riss bei den Wendländer Grünen. Sechs von sieben Kreistagsmitgliedern folgten ihr. Lammers blieb schweren Herzens in der Partei: „Ich hatte vier kleine Kinder – ich musste daran glauben, dass es möglich ist, weiterzumachen.“ Heute sind die Grünen wieder eine politische Kraft im Landkreis – auch weil die jüngeren Generationen um Lammers und ihre Tochter erneut den Widerstand mit dem Parlament verbinden.

Nur in einem sind sich im Wohnzimmer von Fritzen einig: Die Atomlobby verhindere, dass die Regierung den Willen der Bevölkerung umsetze – weil Energiekonzerne und Regierung bereits Milliarden in die Atomenergie gesteckt hätten, sei die Abkehr von der Energieform, für deren Abfälle es bis heute keine Lösung gibt, nicht erwünscht. So oder so ähnlich klingt die Kritik, die Fritzen an der Atompolitik der Regierungsparteien formuliert.

Dabei sieht sie sich von den jüngsten Vorfällen bestätigt: Ob in Asse, Morsleben oder Gorleben, bei den Störfällen in Brunsbüttel und jüngst in Krümmel – immer wieder traten in den letzten Monaten Informationen zutage, die Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Energiewirtschaft systematisch vor der Bevölkerung zurückgehalten hatten. Obwohl je nach Umfrage zwischen 60 und 80 Prozent der Bevölkerung gegen die Nutzung von Atomkraft sind, wird sie von CDU/CSU und FDP weiterhin befürwortet. In ihren Wahlprogrammen fordern die Parteien unter anderem das Ende des Moratoriums von 2001, das weitere Aktivitäten im Erkundungsbergwerk Gorleben einfror. Im Umfeld von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) tauchte kürzlich ein Gutachten auf, das den Bau neuer Atomwerke nicht ausschließt. „Wir leben also in einer Scheindemokratie“, sagt Marianne Fritzen den Jugendlichen heute: „Zwar soll die Mehrheit entscheiden – aber diejenigen, die diese Mehrheit vertreten, lügen uns systematisch an.“

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Foto: Jörn Neumann

Martina Lammers und ihre Tochter Ronja stehen für den Nachwuchs der Grünen, die beides tun: Im Parlament sitzen und trotzdem auf die Straße gehen. Fritzen hat dagegen den Kampf gegen die Atomkraft wieder in die eigenen Hände genommen. In ihrem Privatarchiv recherchiert sie, was aus alten Verträgen geworden ist, welche ungenauen Begriffe es in der Atompolitik gibt. Dabei stieß sie kürzlich gar auf alte Verträge zwischen der Regierung und anliegenden Bauern über die Salzabbaurechte, die diese an das Erkundungsbergwerk abgaben.

Es war ein Fund von großer Tragweite. Die alten Verträge könnten das Ende von Gorleben bedeuten – selbst wenn das Moratorium, wie von CDU und FDP gefordert, direkt nach der Bundeswahl gekippt werden würde. Denn die Verträge von damals sind bis 2015 befristet, nur soviel Zeit bliebe zur „Erkundung“ eines möglichen Endlagers in Gorleben. Danach müsste jeder weitere Schritt über Enteignungen und Gerichtsprozesse gegen die Vertragsinhaber laufen – die Wendländer sind schließlich widerständig.

Auch im Heuhotel sind die FÖJ-ler bei einer Diskussion von Fritzens Austritt bei den Grünen angekommen. Für Fritzen ist die Partei „das kleinste Übel“, sagt sie: “Ich wähle sie heute immer noch, denn wenn man Mehrheiten in der Regierung will, muss man wählen.”

Auch die jungen Freiwilligen finden die Grünen ganz ok, sehen sie aber nicht als “politische Heimat”. Sie wollen Berufe ergreifen, die etwas mit Umwelt zu tun haben. Schließlich ist die Idee des Naturschutzes in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Und das Misstrauen gegenüber der Atomkraft inzwischen Konsens.

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Gorleben und die Atomkraft http://www.wahlfahrt09.de/orte/gorleben-und-die-atomkraft/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=gorleben-und-die-atomkraft http://www.wahlfahrt09.de/orte/gorleben-und-die-atomkraft/#comments Wed, 23 Sep 2009 16:08:25 +0000 Daniel Poštrak, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3323 WENDLAND. Gorleben ist Kristallisationspunkt der Anti-Atom-Bewegung.  Das gesamte Wendland ist gegen die Lagerung von Atommüll, und man schimpft auf den Lagerungsort Gorleben: Die Leute dort seien pro Atomkraft, die Industrie habe Zustimmung mit einem Schwimmbad gekauft – also gucken wir uns mal um.

von Daniel Postrak und Malte Göbel

Gorleben ist abseits des Atommülls ein Dorf wie tausend andere. Doch das Zwischenlager ist immer präsent und sei es in Form von Polizeibussen an der Dorfstraße. Impressionen aus dem Ort, in dem der Castor wohnt.

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Fotos: Christian Salewski
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Schwarze Bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schwarze-bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/#comments Thu, 17 Sep 2009 12:37:58 +0000 Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=2973 Breitenfelde_Biogas-1

Foto: Milos Djuric

WENDLAND/BREITENFELDE. Weite Felder ziehen sich über sanfte Hügel. Am Straßenrand aufgereiht stehen Bauernhäuser aus rotem Klinker mit hell gestrichenen Holztüren. Doch die Idylle trügt: Der Strukturwandel hat diese Region Schleswig-Holsteins voll erwischt, die Landwirtschaft spielt in den meisten Dörfern kaum noch eine Rolle. Im Herzogtum Lauenburg setzt jetzt eine Kooperative aus fünf Bauern auf Bioenergie. Die Grünen wählen diese Bauern trotzdem nicht.

Hinter dem Dorf strecken sich zwei Kräne in den Wolkenhimmel, ein Betonmischer rotiert. Hier – mitten im Nirgendwo – entsteht ein kleines Kraftwerk. Der Stoff, aus der die Energie gewonnen wird: gehäckselter Mais und die Gülle der Kühe, die gleich neben der Biogasanlage grasen. Ab März 2010 soll sie die 170 Häuser des Nachbardorfes mit Strom und Wärme versorgen, und das alles CO2-neutral.

Tilmann Hack läuft in blauer Latzhose über die Baustelle, grüßt die Bauarbeiter: „Moin, moin! Alles klar?“ Kurz zuvor war er noch auf dem Feld, um Weizen zu säen, jetzt schaut er beim Aufbau der kreisrunden Fermenter vorbei. „Hier findet die Gärung statt: kleine Lebewesen zersetzen die Maishäcksel in Methan und in einen Gärrest.“ Der 46-Jährige hat sich eingearbeitet in eine für ihn neue Materie. Hack ist Bauer in der fünften Generation. Einst hat er von Milchkühen auf Schweine umgestellt, später auf den Ackerbau, je nachdem, wovon sich am besten überleben ließ. Mehr als die Hälfte seiner Bauernkollegen im Dorf haben die Landwirtschaft schon aufgegeben, doch Bauer Hack befindet sich seit diesem Frühjahr auf dem Weg vom Land- zum Energiewirt.

Sieben Biogasanlagen gibt es derzeit in seinem Landkreis, etwas weiter nördlich sind es schon mehr als dreimal soviel. 70 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus nachwachsenden Rohstoffen wird allein durch Bioenergie gedeckt. Durch die Gärung der Biomasse aus Mais oder Gülle entsteht Gas. Das Gas wird verbrannt, um Strom zu erzeugen, und die dabei freiwerdende Wärme direkt in die Häuser geleitet. Bioenergie gilt als CO2-neutral, denn bei der Umwandlung des pflanzlichen Materials in nutzbare Energie wird nur soviel Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben.

„Nachhaltigkeit“ ist ein Wort, das Bauer Hack häufig verwendet. So oft, dass man meinen könnte, er sympathisiere mit den Grünen. Aber er sagt: „Die wollen ganz Deutschland auf Bio umstellen, das kann nicht funktionieren!“ Tilmann Hack verschränkt die Arme über seinem Latzhosenbauch. Er wählt die CDU, wie die meisten seiner Kollegen. Das „kleinste Übel“ nennt er es. Denn im Grunde gebe es für ihn als Landwirt keine Partei. Befürwortet er als angehender Energiewirt nicht auch die Förderung alternativer Energie? „Die Regelungen, so wie sie jetzt sind, reichen für mich aus.“ Hack ist kein Umweltaktivist, sondern Geschäftsmann genug, um sich den veränderten Bedingungen anzupassen, ohne die Welt retten zu wollen.

SPD, Grüne und die Linken kündigen in ihren Wahlprogrammen an, die Energieversorgung so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen, CDU und FDP legen sich da nicht fest. Bioenergie – wie Bauer Hack sie mit seinen Kollegen produzieren wird – ist erneuerbar: die Rohstoffe wachsen schnell nach. Bleibt nur die Frage, ob auch die Produktion der Rohstoffe nachhaltig ist. Befeuert hatte diese Diskussion einst die Produktion von Pflanzenölen in Entwicklungsländern für deutsche Traktoren. Vor kurzem hat der Bundestag die Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet: Sie soll sicherstellen, dass künftig Biomasse nur unter Beachtung verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wird. Derzeit ist jedoch noch offen, wie diese Kriterien genau aussehen. Hack hat da keine Bedenken: „Ich wirtschafte nachhaltig, sonst hätte ich den Hof gar nicht so lange halten können.“

Derzeit hat Tilmann Hack mehr mit den Bedenken seiner Nachbarn als mit gesetzlichen Vorschriften zu kämpfen. ‚Tilly, was macht ihr denn da? Wir wollen keine Monokultur!’, werde er oft gefragt. „Dann erkläre ich, dass wir mindestens 50 Prozent der Fläche weiter für Weizen, Raps und Gerste verwenden werden, Nahrungsmittel also.“ Eine Dorfbewohnerin am Straßenrand hat keine Bedenken gegen das Mini-Kraftwerk in ihrem Dorf: man müsse ja mit der Zeit gehen. Ihr Vater war Bauer, sie selbst wollte den Hof nicht übernehmen. „Hauptsache, es stinkt nicht“, schiebt sie noch hinterher und wendet sich wieder ihrem Blumengarten zu.

Direkt neben der Biogasanlage steht einer der wenigen noch aktiven Bauernhöfe Lüchows. Der Bauer hat die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen und übt nordische Zurückhaltung. Schweigen zur Biogasanlage, dann doch noch eine Erklärung: „DIE Pachtpreise steigen, weil der Flächenbedarf für den Mais viel größer ist.“ Sein Hof überlebt derzeit mit einer Mischkalkulation: 960 Mastschweine, den Rest des Einkommens muss er mit Brotweizen und Raps erwirtschaften. Wenn die Pachtpreise weiter steigen wird das bei den aktuellen Preisen immer schwieriger.

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TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

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Jamaika lässt die Grünen blass aussehen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/jamaika-lasst-die-grunen-blass-aussehen/#comments Mon, 07 Sep 2009 14:34:56 +0000 Lu Yen Roloff, Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=2888 Wiesbaden_jamaika-4

Foto: Milos Djuric

Erschienen am 17. September auf Spiegel Online

WIESBADEN. Darf’s ein bisschen exotischer sein? Das Saarland könnte bald die erste Jamaika-Koalition auf Landesebene bekommen. Im Wiesbadener Rathaus regiert Schwarz-Gelb-Grün bereits seit 2006. Zu kämpfen haben damit vor allem die Grünen.

Zwischen grünen Luftballons und Kisten mit Waldmeisterbrausetüten macht der Junggrüne Daniel Herwig in der Wiesbadener Fußgängerzone Wahlkampf – und gerät dabei zwischen die Fronten. „Was sagst Du den zur EBS?“ wirft ihm ein grauhaariger Mann mit Rucksack entgegen.

Plötzlich muss Herwig seine Partei gegenüber seinem ehemaligen Sportlehrer verteidigen. Im Stadtparlament haben die Grünen mit ihren Jamaikapartnern dafür gestimmt, ein ehemaliges Gerichtsgebäude mit zehn Millionen Euro zu sanieren, damit dort die European Business School, kurz EBS, einziehen kann. Die EBS macht Wiesbaden zur Universitätsstadt, ist aber auch eine Privatuniversität mit Studiengebühren von 13000 Euro pro Jahr. „Es ist nicht Aufgabe staatlicher Bildungspolitik, versnobbte Manager auszubilden“, empört sich der Lehrer. Er ist selbst seit 1993 bei den Grünen, nun aber enttäuscht über die grüne Fraktion im Stadtparlament, die seiner Meinung nach keine grüne Politik macht. Und überhaupt, gegen das geplante Kohlekraftwerk habe sie sich auch nicht stark genug positioniert.

Wiesbaden ist eine von sechs Kommunen, die den Versuch einer Jamaika-Koalition gewagt haben. Taugt das Beispiel Jamaika für Land oder Bund? Bislang hat es die Zusammenarbeit von CDU, Grünen und FDP noch nie über die kommunale Ebene hinausgeschafft.

Meist sind es die Grünen, die eine Koalition mit ihrem größten politischen Gegner, der FDP, ausschließen. In Frankfurt am Main zerbrach eine bereits ausgehandelte Koalition im Jahr 2001 nach nur einem Tag. Auch im hessischen Wiesbaden startete Schwarz-Gelb-Grün nur deswegen, weil sich SPD und CDU als ursprüngliche Koalitionsaspiranten während der Verhandlungen entzweit hatten. Hier hat die CDU mit 29 Mandaten eine klare Machtposition gegenüber ihren Koalitionspartnern: Die Grünen besitzen zehn Mandate, die FDP sieben.

Massenaustritt bei den Jungen Grünen

Die Ansiedlung der European Business School in Wiesbaden gilt als Prestigeprojekt des Oberbürgermeisters Helmut Müller. Der CDU-Mann ist zwar von den Wiesbadenern direkt gewählt, doch weiß er mit der CDU-geführten Koalition im Stadtparlament eine starke Mehrheit hinter sich. Die Koalition laufe prima, sagt er. „Alle wollen, dass sich die Hochschule in Wiesbaden ansiedelt, damit wir ein Wissenschaftsstandort werden.“

Viele Grüne an der Basis sehen das anders: Nachdem die Fraktion trotz Mitgliederentscheid für die Sanierung des EBS-Gebäudes mit städtischem Geld gestimmt hatte, trat mehr als die Hälfte der Wiesbadener jungen Grünen aus der Jugendorganisation der Partei aus. Ihr Vorwurf: Statt öffentliche Schulen zu sanieren, stütze man teure Privatunis. Auch der Junggrüne Herwig sagt, die grüne Fraktion vertrete ihre Positionen innerhalb der Koalition bisweilen nicht selbstbewusst genug – aus Angst vor einem Koalitionsbruch.

Die Wiesbadener haben ihre eigenen Meinungen zu der Koalitionsdisziplin der Grünen. Zwischen den Wahlkampfständen steht Rentner Herbert Müller – und spricht aus, was viele über die Grünen denken: „Die Grünen haben sich entlarvt: Wenn es um die Macht geht, dann wird verkleistert.“ Jamaika sei ein reines Zweckbündnis von Individuen, die sich gut bezahlte Posten sichern wollten. Für den ehemaligen Verwaltungsangestellten Müller ist die Sache klar: „Dabei kommt etwas raus, was nicht Fisch und nicht Fleisch ist – was die Grünen unter Jamaika machen, kann niemals grüne Politik sein.“

Streit ums Kohlekraftwerk

Noch deutlicher werden die Schwierigkeiten von Jamaika, wenn es um das geplantes Kohlekraftwerk geht. Das Kraftwerk, das der lokale Energieerzeuger bauen will, widerspricht der grünen Forderung nach einer nachhaltigen Energiepolitik. Im Koalitionsvertrag steht allerdings nur, dass die Koalition den Bau des Kraftwerks „kritisch“ sehe. An diesem Punkt sagt selbst der sonst loyale Junggrüne Herwig: „Das klingt für mich wie ausgeklammert.“ Tatsächlich rächte sich die vage Formulierung, als der Bau 2007 akut wurde: Die Bürger gingen auf die Straße, in der Stadt gründete sich ein Bündnis gegen das Kraftwerk, und die grüne Parteibasis forderte die Fraktion zum Handeln auf: Unter Führung der Fraktion solle das Stadtparlament den Vorstand des Energieerzeugers zum Baustopp auffordern. Trotz Veto von FDP und CDU brachten die Grünen den Antrag ein und gewannen dafür eine Mehrheit außerhalb der Koalition. Jamaika drohte zu zerbrechen.

In der Konfrontation mit Jamaika kann die SPD mit einer starken Oppositionspolitik punkten. Im Gegensatz zu den Grünen konnten sie sowohl gegen das Kohlekraftwerk als auch gegen die Sanierung des Gerichtsgebäudes für die Privatuni klar Position ergreifen. „Die SPD hat nichts dagegen, wenn Grüne und FDP sich streiten“, sagt Christoph Manjura. Er ist jugendpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rathaus. Am Wahlkampfstand verteilt er wie seine Genossen Kugelschreiber und Flyer an vorbeischlendernde Passanten. Die SPD freut sich über den Zwist in der Koalition, hört man auch von anderen am Stand: Ließe sich doch jeder Kompromiss in der Koalition sowohl gegen die Einen wie die Anderen verwenden.

Atmosphärische Störungen

Beim CDU-Stand will man vom Stunk mit der grünen Fraktion dagegen zunächst nichts wissen. Karsten Koch, Sprecher für Planung, Bau und Verkehr, lobt sogar den Verkehrssprecher der Grünen als „verlässlichen Mann“: „Es läuft inhaltlich gut, wir können ordentlich was vorweisen“, sagt er. Man habe „überraschende Gemeinsamkeiten“ festgestellt, die auch auf Bundesebene bestünden: Etwa den Schutz des ungeborenen Lebens und die Bewahrung der Schöpfung vor Gentechnik. Da lägen christlicher Hintergrund und grüne Ansichten nah beieinander. Gut, es gebe gewisse „atmosphärische Störungen“ bei den Grünen, fügt er dann hinzu. „Man bekommt mit, dass Jamaika für die Fraktion eine große Zerreißprobe ist. Wir hoffen, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält.“

Im Streit um den Grünen-Antrag zum Kohlkraftwerk konnte die Koalition gerade noch dadurch gerettet werden, dass der Bürgermeister den außerkoalitionären Beschluss als rechtswidrig ablehnte: Das Parlament könne nicht in die geschäftlichen Entscheidungen des Energieerzeugers eingreifen. Aufgrund der Wirtschaftskrise hat der Energieerzeuger inzwischen Schwierigkeiten, den Bau des Kohlekraftwerks zu finanzieren. Ob das Kohlekraftwerk kommt, ist derzeit offen, doch der Konflikt bleibt ungelöst.

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Energieversorgung in Eigenregie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/energieversorgung-in-eigenregie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=energieversorgung-in-eigenregie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/energieversorgung-in-eigenregie/#comments Thu, 03 Sep 2009 06:45:32 +0000 Paula Scheidt http://www.wahlfahrt09.de/?p=2751 SCHÖNAU. In Schönau im Schwarzwald ist vom Wahlkampf nichts zu spüren. Warum auch? Die Schönauer haben ihr Anliegen längst selbst in die Hand genommen: Sie haben eine Genossenschaft gegründet, das Stromnetz gekauft und versorgen sich und ihre Kunden deutschlandweit mit Ökostrom. Nun soll das Erfolgsrezept auch auf den Gasmarkt ausgeweitet werden. Umweltfreundlich und nachhaltig ist das nicht – aber strategisch schlau.

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[Foto: Milos Djuric]

“Die Chance wollten wir uns nicht entgehen lassen”, sagt Ursula Sladek. Spontane Besucher empfängt die Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) unter einem alten Scheunendach mit Blick auf den Schwarzwald. Rechterhand liegt das Büro, linkerhand das Wohnhaus der Sladeks. Eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben gibt es kaum, denn auch Sladeks Ehemann und ihr Sohn arbeiten bei den EWS. In Schönau kennt die Familie jeder. Viele Schönauer arbeiten bei den Energiewerken, viele “EWS-ler” engagieren sich in der Lokalpolitik. Als vor einem Jahr das regionale Gasnetz zum Verkauf ausgeschrieben wurde, bewarben die EWS sich und bekamen den Zuschlag. Ab dem ersten Oktober betreiben sie das Netz.

“Und wenn wir schon das Netz haben, sollten wir auch das Produkt anbieten”, sagt Sladek. Man sieht der kleinen, zierlichen Frau mit dem grauen Schopf ihre 63 Jahre nicht an. Sie wirkt ausgeglichen und entspannt, nicht unbedingt wie eine viel beschäftigte Unternehmerin. Aber das trügt, die EWS erweitert nämlich gerade ihr Angebot: Ab November können Kunden in ganz Baden-Württemberg neben Strom auch Gas von den EWS beziehen – 100-prozentiges Erdgas.

Öko ist daran nichts. “Natürlich ist Erdgas nichts Ökologisches”, bestätigt Martin Halm. Er ist zweiter Geschäftsführer von EWS Schönau und gleichzeitig stellvertretender Bürgermeister des Ortes. Aber man müsse eben auch wirtschaftlich denken und mit dem neuen Angebot sei die EWS wettbewerbsfähig. In der Email, die vor einer Woche an die Kunden verschickt worden ist, wird auf den stetig härter werdenden Wettbewerb im Energiesektor verwiesen. Deshalb müsse man neue Geschäftsfelder erschließen. Außerdem komme man mit dem neuen Angebot einen lang gehegten Kundenwunsch nach. Viele Kunden wollten Strom und Gas vom gleichen Anbieter beziehen, weil das einfacher sei.

In Schönau bezieht so gut wie jeder seinen Strom von der EWS. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wollten die Schönauer nicht warten, bis die Politiker etwas unternehmen würden. Sie berieten sich gegenseitig beim Stromsparen, investierten in Solarenergie und Wasserkraft, gründeten eine Genossenschaft und kauften schließlich das lokale Stromnetz. Seit 1998 bieten die EWS deutschlandweit Ökostrom an und sind dafür vielfach ausgezeichnet worden. Noch immer identifizieren sich die Schönauer stark mit den EWS, die Sladeks sind sehr beliebt, weil sie “trotz des Erfolgs so nett geblieben” seien, wie die Metzgereiverkäuferin Veronika Ulrich zusammenfasst. Dass Halm als EWS-Geschäftsführer zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt worden ist, zeigt: Für die Schönauer sind beide Interessen bestens vereinbar. Vom Kirchturm aus sieht man auf zahlreichen Dächern Photovoltaikanlagen in der Sonne schimmern.

Biogas als Wahlkampfthema

Es steht zwar Biogas drauf, drinnen ist aber nur Luft: Die Gaskugel neben dem EWS-Büro ist ein Überbleibsel vom letzten Faschings-Umzug.

[Foto: Milos Djuric]

Nun wollen die Schönauer auch ihre Gasversorgung selbst in die Hand nehmen. Warum also nicht auch da auf Nachhaltigkeit setzen? Biogas statt Erdgas wäre schließlich kein neues Modell im Energiesektor. Und es hat prominente Befürworter, darunter Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU). “Die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz würde die Effizienz von Biogasanlagen wesentlich optimieren”, sagte die Ministerin vor kurzem bei einem Rundgang durch das Deutsche Biomasseforschungszentrum in Leipzig.

“Überraschend und bedauerlich” findet Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen und Mitglied des Bundestags, dass die EWS zunächst nur Erdgas anbieten. Es sei nicht sinnvoll, weiterhin in fossile Energien zu investieren. Er fordert derzeit auf seiner Wahlkampftour ein neues Biogas-Einspeisegesetz, das die Einspeisung von Biogas ins Gasnetz sogar vorschreiben soll. “Nur durch gesetzliche Rahmenbedingungen kann Biogas wettbewerbsfähig werden”, sagt Fell.

Aber die Realität ist komplizierter, als es den Politikern lieb sein kann. “Auf keinen Fall verurteilen” möchte Andre Böhling, Energie-Experte bei Greenpeace, den Einstieg von EWS in den Gasmarkt. “Es ist klar, dass wir jetzt noch nicht vollständig auf erneuerbare Energien umstellen können. Das dauert noch mindestens 30 Jahre”, sagt er. Erdgas sei eine Brückentechnologie. Zum Heizen brauche man Erdgas noch eine ganze Weile und immerhin sei es klimafreundlicher als Kohle und Erdöl.

Ökologisch fundierte Kritik an Biogas

“Wir planen eine Strategie in Richtung Biogas”, sagt Michael Sladek, Ehemann von Ursula Sladek und Mitgründer der EWS, mit seinem weißen Rauschebart ist er schon von weitem sofort erkennbar. Nur: Nicht alles Biogas sei nachhaltig. Gas aus genmanipuliertem Mais oder den Abfallprodukten einer Massentierhaltung findet Sladek umweltschädlicher als Erdgas. “Sehr gut fände ich Biogas aus Gras, weil es wirklich nachhaltig ist”, sagt er. Das kann bisher aber nur in geringen Mengen gewonnen werden.

Als Experten für erneuerbare Energie sind er und seine Frau inzwischen deutschlandweit bekannt, in der Gegend um Schönau sind sie Helden. Erst vor wenigen Tagen moderierte Michael Sladek anlässlich der Bundestagwahl eine Podiumsdiskussion zur Zukunft der Energieversorgung. Auf dem Podium saßen die Direktkandidaten des Wahlkreises. Alle Stühle waren bis auf den letzen Platz besetzt. “Komisch, dass ich hier moderieren darf, wo ich doch so parteiisch bin”, wunderte sich Sladek mit einem Augenzwinkern. Die Zuhörer schienen sich daran nicht zu stören. So viel Beifall wie der EWS-Mitgründer erntete keiner der Politiker.

Manche EWS-Kunden wollen bewusst kein Biogas haben. Einer der größten Kunden ist die Firma Rittersport. Sie bezieht seit Anfang 2009 neben Ökostrom auch Gas von der EWS – und will explizit Erdgas. “Biogas widerspricht unseren Grundsätzen”, heißt es beim Schokoladenhersteller. Der Grund: Als Lebensmittelhersteller wolle man keine Energie nutzen, die aus Nahrungs- oder Futtermitteln hergestellt werde.

Kampf gegen das Gas-Monopol

Andere Kunden irritiert das neue Angebot. Der zweite Geschäftsführer Halm berichtet: “Es gibt schon Leute, die uns fragen: Warum denn Erdgas, das ist doch gar nicht ökologisch?” Eine sinnvolle Antwort kann auch er nicht darauf geben. Auf dem Strommarkt ist klar, was ökologisch bedeutet. Auf dem Gasmarkt ist es umso schwieriger.

Dennoch könnte das Gasangebot der EWS eine Chance sein – zum Aufbrechen der verkrusteten Strukturen auf dem Gasmarkt. Denn trotz Liberalisierung befindet sich die Gasversorgung immer noch in der Hand weniger großer Anbieter. “Indem sich die EWS in das Gasnetz eingekauft hat, leistet sie einen Beitrag zur Überwindung der Monopolstrukturen. Als Netzbetreiber können sie nun auf dem Gasmarkt mitbestimmen”, sagt Fell.

Nachhaltig ist das Gas-Angebot von EWS nur insofern, als dass die Kunden einen so genannten Sonnencent bezahlen: Je nach Tarif enthält der Gaspreis einen Förderanteil zwischen 0,01 und 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Mit dem Geld wird weiter geforscht werden, wie man nachhaltiges Biogas in großen Mengen herstellen kann. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, dem Erdgas Biogas beizumischen, werden die Schönauer nach eigenem Ermessen entscheiden – Biogas-Einspeisegesetz hin oder her. Sie führen bereits Gespräche mit Bauern in der Umgebung, die große Wiesen bewirtschaften.

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[Foto: Milos Djuric]

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Eine Person, zwei Ämter http://www.wahlfahrt09.de/orte/interessenkonflikt-in-der-okostadt/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=interessenkonflikt-in-der-okostadt http://www.wahlfahrt09.de/orte/interessenkonflikt-in-der-okostadt/#comments Wed, 02 Sep 2009 10:21:11 +0000 Paula Scheidt http://www.wahlfahrt09.de/?p=1720
Martin Halm, stellvertretender Bürgermeister, vor dem Rathaus von Schönau

Martin Halm, stellvertretender Bürgermeister, vor dem Rathaus von Schönau (Foto: Milos Djuric)

SCHÖNAU. Martin Halm (41) ist Geschäftsführer der deutschlandweit tätigen Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und seit kurzem stellvertretender Bürgermeister der Stadt Schönau. Die SPD sieht zwischen diesen beiden Ämtern einen Konflikt – Halm hingegen Synergieeffekte.

Halm ist im Stress. „Eigentlich kann ich zu Fuß vom Rathaus zur EWS gehen“, sagt er. Trotzdem nimmt er zurzeit das Auto. Bürgermeister Seeger ist in Urlaub und Martin Halm vertritt ihn so lange. Seit acht Jahren ist Halm Geschäftsführer von EWS Schönau, seit einem Monat als Mitglied der Freien Wähler zusätzlich stellvertretender Bürgermeister der Stadt. Das Amt ist ehrenamtlich. Vormittags kommt er für ein bis zwei Stunden ins Rathaus, nachmittags sitzt er im Büro von EWS.

Nichts prägt Schönau so sehr wie die Elektrizitätswerke. Als „Stromrebellen aus dem Schwarzwald“ ist die Gründerfamilie Sladek inzwischen deutschlandweit bekannt. Zwar kommt der Strom aus norwegischen Wasserkraftwerken, aber Schönau ist Sitz der Firma und steht schon fast symbolisch für Ökostrom. „Es kommt oft vor, dass jemand einfach auf unseren Hof läuft und sehen will, woher sein Strom kommt“, erzählt Halm. Außerdem bieten die EWS ihren Kunden regelmäßig Seminare zum Thema Energie an. Viele Teilnehmer würden dann gleich im Anschluss hier Urlaub machen, erklärt Halm – das fördert natürlich den Tourismus.

Nicht alle waren damit einverstanden, dass Halm die beiden Ämter gleichzeitig besetzt. Als er beschloss, zu kandidieren, forderte die SPD das Landratsamt auf, den Fall zu prüfen. „Die hatten Angst, dass die EWS hier in der Stadt zu stark wird“, sagt Halm. Aber das Landratsamt teilte diese Sicht nicht. Halm durfte kandidieren und gewann.

„Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, die Ortsmitte stärker zu beleben“, sagt Halm. Neben dem Schönauer Rathaus ist gerade eine Tiefgarage gebaut worden. Nun muss der Gemeinderat entscheiden, wie die Fläche darüber genutzt werden soll. Anfangs war der Plan, ein „Betreutes Wohnen“ für ältere Menschen zu bauen. Aber der Dorfplatz werde oft für Veranstaltungen genutzt, das mache ziemlich viel Lärm. Deshalb hätte Halm gerne, dass die Sparkasse an den Platz zieht. „Das würde viele Menschen ins Zentrum locken“, sagt Halm.

Zu Halms Bedauern hat die Sparkasse selbst aber kein Interesse an einem Umzug. Sie befindet sich derzeit an der Hauptstraße des Ortes und profitiert vom Durchfahrtsverkehr. Wenn sie dort wegziehen würde, wäre sie für Auswärtige schwieriger zu finden.

Einen Beitrag zur Belebung der Stadt leistet bereits das Gymnasium. Es wurde vor zwei Jahren direkt gegenüber vom Rathaus und in unmittelbarer Nähe zur Kirche errichtet. Halm ist stolz auf den schicken Neubau. Etwa 500 Schüler aus der Region kommen täglich hierher. Das Gebäude hat 9,5 Millionen Euro gekostet. „Anfangs wollte das Regierungspräsidium in Freiburg die Summe nicht genehmigen“, sagt Halm. Es wäre billiger gewesen, die Schule außerhalb des Ortes auf der freien Wiese zu bauen. Aber dann wären nie so viele Jugendliche nach Schönau gekommen.

„Eigentlich müsste ich die beiden Ämter trennen“, sagt Halm. Aber oft habe es Vorteile, über beide Seiten Bescheid zu wissen. Manchmal spart die Stadt laut Halm dadurch sogar. So haben die EWS auf dem Dach des neuen Gymnasiums Photovoltaikanlagen angebracht, die ihr teilweise noch gehören. Neben Halm gibt es noch eine zweite Stellvertreterin. Deshalb fürchtet er auch keine Interessenkonflikte. “Ich entscheide ja nicht alleine, sondern meistens im Team.“

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Schönau liegt im Schwarzwald und hat etwa 2500 Einwohner (Foto: Milos Djuric)

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