Wahlfahrt09 » CDU http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Wahlfahrt09 – das war’s http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlfahrt09-das-wars http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/#comments Mon, 28 Sep 2009 13:29:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3404

20090928_wahlfahrt09_reichstag

Foto: Jörn Neumann

DEUTSCHLAND. Deutschland vor der Wahl jenseits der politischen Ballungszentren erleben – die Wahlfahrt09 reiste in 50 Tagen durch 20 Orte im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands: Dabei führte die Tour über Eisenhüttenstadt hinunter nach Konstanz, über Leidingen nach Duisburg-Marxloh, in den hohen Norden nach Breitenfelde und Wismar, übers Wendland und schließlich nach Haldensleben in der Börde.

Am Wahlfahrt09-Stand zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt Haldensleben. Wochenlang haben wir gewartet, um 18 Uhr sind die Prognose und die ersten Hochrechnungen da: Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ein Passant mit Sonnenbrille und Eishörnchen kommentiert: “Also ich hab die nicht gewählt.” Auch das Team der Wahlfahrt09 ist überrascht – denn Menschen, die CDU und FDP nahe stehen, haben wir auf unserer 50-tägigen Reise durch 20 Orte kaum getroffen.

Ein Rückblick auf einen Wahlkampfbesuch auf dem Heumarkt in Köln vor zwei Wochen: An diesem Abend wird Steinmeier auftreten, schon am frühen Nachmittag prangt der überdimensionale SPD-Würfel auf dem leeren Platz. Die Volkspartei gibt sich modern und interaktiv: Die Jusos haben junge Frauen angestellt, die andere Frauen mit einem „Ich kann Aufsichtsrat“-Schild fotografieren. An einem Touchscreen lassen sich personalisierte Wahlkampfprogramme ausdrucken. Eine Hartz-IV-Empfängerin humpelt über den Platz. Nach zwei Bandscheibenvorfällen kann die ehemalige Fleischerin nicht mehr arbeiten. Sie will sich Steinmeier nicht ansehen, denn die Politiker, sagt sie, lügen doch alle.

Viele sehen keine Perspektive mehr

„Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben“, tönt Steinmeier am Abend auf dem Höhepunkt seiner Wahlrede. Es wirkt antrainiert, ein reiner Slogan. Selbst Stammwähler der Partei, die in einer Kneipe am Rand sitzen, überzeugt das nicht. In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 3,47 Millionen Arbeitslose, Tendenz steigend. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht in jedem Parteiprogramm – bei einigen auch gemeinsam mit dem kleinen Bruder der Vollbeschäftigung, dem Mindestlohn. Menschen wie die Fleischerin treffen wir oft auf der Wahlfahrt: Die sich von niemandem repräsentiert fühlen, die vieles verloren haben, die keine Perspektive mehr für sich sehen.

In Wismar sind durch die Schließung der Werft 1200 Menschen in Kurzarbeit. In Halle hat der Strukturwandel ganze Stadtteile entvölkert. Die Krise findet sich sogar in wohlhabenden Kommunen wie Konstanz – dort waren in diesem Jahr die Campingplätze ausgebucht, weil viele Deutsche kein Geld mehr für den Auslandsurlaub haben. Selbst in Wiesbaden mit seiner hohen Millionärsdichte stehen die Arbeitslosen trotz öffentlichem Trinkverbot in den Seitenstraßen.

Deutsche Problemecken

In Duisburg-Marxloh, wo türkische Brautmodenläden viele deutsche Geschäfte verdrängt haben, bevölkern vor allem Deutsche die „Problemecken“ des Stadtteils. So nennt der dortige CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland die deutschen Drogenabhängigen auf den Bänken am Marktplatz, die seit der Schließung der Fixerstube keinen Anlaufpunkt mehr haben. In der Marktklause gegenüber von unserem Stand sitzen schon früh morgens die Alkoholiker und trinken ihre Schnäpschen zu lauter 80er Jahre Schlagermusik. Zwischen denWahlkampfplakaten von Linkspartei und SPD hängen Schilder mit dem Slogan „Aufbau Duisburg statt Aufbau Ost“.

Diese Beobachtungen sind zum Teil natürlich auch dem Konzept der Wahlfahrt09 geschuldet: Wir parken an zentralen Plätzen der Stadt, arbeiten dort an Biertischen unter freiem Himmel. Natürlich treffen wir also vor allem Leute, die keinen Ort haben, an dem sie sein müssen: Arbeitslose, Rentner, Obdachlose. Ihre Probleme bekommen wir auf der Wahlfahrt09 besonders häufig mit. Viele sind unzufrieden: Sie bekommen zu wenig Rente, zu wenig Hartz IV, reden sich in Rage, werden laut, deuten mit Zeigefingern auf uns, wenn sie die Politiker beschimpfen, mal als Abzocker, mal als Lügner, mal als Verbrecher.

Aufbau Ost, Abbau West

Das ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten wie im Westen gleich. In Eisenhüttenstadt, wo seit der Wende tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind, wird gerade für 630 Millionen Euro ein neues Papierwerk gebaut, gefördert mit Mitteln der EU – ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade mal 600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Im niederfränkischen Hof leiden die Betriebe unter der Konkurrenz aus dem Osten, die noch gefördert wird – während im Westen, wo nichts zu fördern ist, das Problem der Arbeitslosigkeit viel stärker zu Tage tritt.

Dort lässt sich die Arbeitslosigkeit noch nicht einmal mit dem Versagen des Sozialismus erklären. Unsere Reise macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen und die Verwerfungen in der internationalen Arbeitsteilung viel weiter reichen, als es die Deutschen wahrhaben wollen. Mag sein, dass Deutschland Exportweltmeister ist, dass eine zukünftige Bildungsoffensive oder der Ausbau regenerativer Energien und grüner Technologien zukünftige Generationen beschäftigen wird – aber Hunderttausende sind im Hightechland überflüssig geworden. Sie sitzen jetzt in den Problemecken, lungern vor dem Supermarkt herum, sammeln Flaschen und durchwühlen Mülleimer.

Engagement und Gesicht zeigen

Doch es gibt auch Lichtblicke: Es kommen viele engagierte Menschen zum Wahlfahrt09-Stand. Sie arbeiten ehrenamtlich für Bürgerinitiativen, den städtischen Sicherheitsdienst in Görlitz oder als Sporttrainer im Wismarer Kanuverein. Menschen, die sich für konkrete Anliegen engagieren: Der Rentner, der sich für das deutsch-polnische Verhältnis in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec einsetzt und gegen die NPD Gesicht zeigt; der Azubi, der in seiner Freizeit im Bürgerradio die Spitzenkandidaten des Landtags interviewt oder die Studenten vom Postkult e.V. in Halle-Glaucha, die mit einem Gemeinschaftsgarten gegen den Leerstand in ihrem Stadtteil ankämpfen und die Bürger dort wieder zusammen bringen wollen. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, Rentner, Akademiker und Studenten.

Auf eine Bewegung der sozial Schwachen treffen wir aber nicht. Ein LKW-Fahrer, den wir auf einem Rastplatz trafen, drückte es so aus: „Wir könnten ja mal demonstrieren gehen. Aber dafür geht es uns wohl noch nicht schlecht genug.“ Nur einige Hartz-IV-Empfänger in Wiesbaden machen den Gegenangriff auf die öffentliche Wahrnehmung: Die „Initiative neue soziale Gerechtigkeit“ plakatiert alle zwei Wochen die Stadt mit schwarzweißen Postern, auf denen sie von Schikanen, Demütigungen und rechtswidriger Behandlung von Hartz IV-Empfängern sprechen und die Mitarbeiter zuständiger Behörden namentlich anprangern. Mehrheitsfähig sind sie mit ihrem umstrittenen Vorgehen aber nicht.

Ganz besonders leise sind die Frauen. Wir sprechen Passantinnen gezielt an, weil von selbst immer nur die Männer kommen. Sie sagen zwischen den Zeilen, dass sie in der Krise Besseres zu tun haben als zu politisieren. Wer soll sich um Kinder und Haushalt kümmern, wenn die Männer auf den Straßen abhängen? Wie das Überleben sichern? Manch eine gesteht, dass es ohne die Lebensmittelspenden von der Tafel nicht ginge.

Afghanistan, Europa und Außenpolitik sind kein Thema

Wohl auch, weil die Bundeswehr ein sicherer Arbeitgeber ist, gibt es von den Menschen, die im Bundeswehrstandort Sigmaringen leben, kaum Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nur selten gab es so etwas wie grimmige Solidarität und Unterstützung für “unsere Jungs da unten”. Für viele junge Männer sind die Bonuszahlungen für Auslandseinsätze eine willkommene Einnahmequelle, auch wenn nur wenige wirklich vom Sinn des Einsatzes überzeugt sind. Afghanistan ist ein Thema, das weder im Wahlkampf noch in unseren Gesprächen an vorderster Stelle stand. So war es auch mit anderen außenpolitischen Fragen, etwa wie Deutschland sich innerhalb Europas positioniert.

Aus der Perspektive der ausländischen Wahlbeobachter, die wir am Rande eines Wahlauftritts von Gregor Gysi in Halle trafen, ist besonders die wichtigste Frage im Wahlkampf ausgeklammert worden: Wie die Wirtschaftskrise und das Arbeitslosenproblem eigentlich konkret gelöst werden sollen, sobald die Wahl vorbei ist. Der Franzose Jay Rowell wundert sich: „Es müssen schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen.“ Offenbar gebe es einen Konsens, „diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen.“

Auch sein holländischer Kollege Ton Nijhuis wundert sich über den Wahlkampf: Wenn viele Menschen nicht daran glaubten, dass die Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, werde das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert: „Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.“

Die Wahlfahrt09-Analyse

Gleichzeitig fischt Gregor Gysi auf dem Hallenser Marktplatz nach Proteststimmen: „Selbst wenn Sie Grüne oder SPD wählen wollen – wenn Sie wollen, dass diese Parteien wieder sozialere Politik machen, müssen Sie die die Linke wählen.“ Protest wählen scheint vielen Menschen die letzte Lösung zu sein: Linkspartei, NPD oder ungültig stimmen.

Die politische Stimmung im Land, das ist das Fazit der Wahlfahrt, ist stark abhängig von der ganz persönlichen Lebenssituation der Menschen. Die Grünen wählen diejenigen, die unter Flugschneisen und in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben wohnen.

Und so betrachten wir am Ende unserer Reise das Wahlergebnis aus der Perspektive unserer Gesprächspartner: Zwar hat die Koalition aus CDU und FDP genug Stimmen bekommen, um das Land zu regieren. Aber nimmt man die rund 30 Prozent Nichtwähler und die vielen Protestwähler zusammen: Dann stehen hinter diesem Wahlergebnis vor allem Millionen Deutsche, die ein Gefühl eint: Keine Wahl gehabt zu haben.

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Ohne mich http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=landkreis-im-demokratischen-vorruhestand http://www.wahlfahrt09.de/orte/landkreis-im-demokratischen-vorruhestand/#comments Sun, 27 Sep 2009 21:25:09 +0000 Daniel Stender http://www.wahlfahrt09.de/?p=3514 BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

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„Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eden-niedergang-der-volksparteien-haben-wir-schon-hinter-uns%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 17:47:42 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3274 20090924_wahlbeobachter_02

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Internationale Wahlbeobachter reisen auf Einladung des DAAD durch Deutschland. Der Politikwissenschaftler Ton Nijhuis, wissenschaftlicher Leiter des Deutschland Institut Amsterdam (DIA) an der Universität von Amsterdam, ist einer von ihnen. Der Niedergang der großen Volksparteien ist ihm aus seiner Heimat schon bekannt – dort ist inzwischen die rechtspopulistische PVV die stärkste Partei. Mit der Wahlfahrt09 sprach er über Parallelen und Unterschiede zwischen den Niederlanden und Deutschland.

Sie haben die deutschen Spitzenpolitiker gesehen. Westerwelle, Künast oder Gysi – wer schreit am Lautesten?

Westerwelle hat mir gut gefallen. Nicht seine politische Programmatik, sondern seine Rhetorik. Da merkt man, dass die deutschen Politiker gegenüber den niederländischen sehr große rhetorische Vorsprünge haben.

Das ist ja nicht gerade das, was man Steinmeier und Merkel nachsagt…

Merkel und Steinmeier ähneln in dieser Hinsicht mehr den niederländischen Politikern. Der Wahlkampf zwischen diesen zweien, die Wahlkampfveranstaltungen und die Berichterstattung in der Presse – all das ist sehr langweilig. Da fühle ich mich zuhause, denn das ist in den Niederlanden genauso.

Sind die Deutschen also genauso langweilig wie die Niederländer?

Bei uns weiß man auch nie, wie es nach den Wahlen weitergeht. Alle koalieren mit allen, und im Wahlkampf versuchen die Parteien, alle politischen Streitigkeiten zu vermeiden. Sie sprechen die eigene Klientel an und polarisieren sonst nicht. Lagerwahlkampf wie früher in Deutschland gibt es nicht – aber hier auch nicht mehr. Es ist schon bemerkenswert, dass man eine Regierung hat und sowohl Kanzler als auch Vizekanzler sagen: Bitte nicht nochmal vier Jahre große Koalition. Da kann man schwer die Regierung abwählen.

Was ist für Sie neu in diesem Wahlkampf?

Deutschland nähert sich immer mehr der europäischen Realität an. Das Mehrparteiensystem, das Erodieren der Volksparteien, das ist in anderen Ländern schon sehr viel früher passiert. In den Niederlanden stellen die klassischen Volksparteien nur noch eine Minderheit. Was früher die politische Peripherie war, ist heute das Zentrum, und umgekehrt. In Deutschland sehe ich ähnliche Tendenzen.

Was könnten SPD und CDU vom niederländischen Beispiel lernen?

Leider haben wir bislang kein Erfolgsrezept. Bei uns ist die Lage sehr viel dramatischer: Die rechtspopulistische Partei „Groep Wilders“ ist inzwischen die stärkste Partei in den Niederlanden. Und die Partei hat wie viele Mitglieder? Ein einziges! Geert Wilders. Die sozialdemokratische PvdA, die mit der SPD vergleichbar ist, hat nur noch 15 Prozent; die christdemokratische CDA – also unsere CDU – kommt nur noch auf etwa 20 Prozent.

Was hat denn diese Entwicklung in den Niederlanden eingeläutet?

Die gleiche wie in Deutschland: Die klassischen Milieus, auf die sich die Parteien stützen, sind nicht mehr vorhanden. Man braucht da andere Strategien, um die Wähler zu binden. Die SPD hat Wähler verloren an die Linken und die Grünen, die CDR verliert ständig Mitglieder, hat sich aber von einer konfessionellen Partei zu einer Partei der Mitte um positionieren können. Der Unterschied ist, dass wir in den Niederlanden keine Fünfprozent-Hürde haben. Es gibt Parteien, die mit 0,7 Prozent ins Parlament einziehen. Es ist also sehr viel einfacher, eine Partei zu gründen.

In Deutschland hat sich die Piratenpartei gegründet, und wir beobachten viele Abspaltungen von jungen Parteimitgliedern, die selbst Parteien gründen oder direkt kandidieren.

Die haben aber keine Chance in Deutschland. In den Niederlanden haben wir im Parlament zwei Mandate der Tierpartei! Weil die anderen Parteien sich so sehr ähneln, macht es keinen Unterschied mehr, wer an der Macht ist. Und dann kann man mit einem einzelnen Thema ein Statement setzen, das einige Wähler überzeugt.

Wie verändert das den politischen Alltag, wenn man Einthemenparteien hat? Gibt es in diesen Parteien überhaupt genug Kompetenzen, um breite gesellschaftliche Themen wie Arbeit, Wirtschaft oder Gesundheit zu diskutieren?

Nein, aber das sind die anderen Parteien auch nicht. Generell ist es ein Luxus, dass man eine so stabile politische Kultur und soviel Konsens hat, dass man sich so etwas erlauben kann. Und wenn es uns wirklich um etwas Wichtiges ginge, dann hätten die Leute schon anders gewählt.

Das heißt, unsere Probleme sind noch nicht groß genug?

Das würde ich so nicht sagen. Ich möchte lieber über etwas sehr Positives in Deutschland sprechen: Die Mitte erodiert hier zwar und man hat mehr Parteien an den Rändern. Aber während andere Länder in Europa sehr große Wählerschaften an die rechte Seite des politischen Spektrums verlieren – in den Niederlanden sind das 25 %, in Belgien, Flandern und Frankreich gibt es dieses Phänomen auch – ist es der Bundesrepublik bis jetzt gelungen, dieser rechten Seite der Erosion keinen Raum zu lassen. Und im politischen Diskurs redet man viel verantwortlicher über heikle Themen als bei uns – so dass Rechts hier nicht salonfähig wird.

Gleichen sich Wahlkampf und Wahlwerbung in den Niederlanden und Deutschland? Was sind die augenfälligsten Unterschiede?

Die deutschen Parteien sind sehr viel professioneller, weil sie mit sehr viel mehr Geld ausgestattet sind, um den Wahlkampf zu organisieren. In Holland haben die Parteien fast kein Budget. Schaut man sich hier die Parteisitze von SPD und CDU an – das sind Riesengebäude mit wahnsinnig vielen Mitarbeitern. Dagegen gibt es bei uns nur kleine Vertretungen, da sind vielleicht fünf Mitarbeiter. In Deutschland gibt es laut Grundgesetz mehr Geld vom Staat.

Und gibt es auch Ähnlichkeiten?

Die Parteien in beiden Ländern haben ihren Charakter zu Staatsparteien verändert. Beide waren früher eine Brücke zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat. Wenn sich Parteien auf den Staat richten, das Geld von ihm bekommen und sich auf ihn positionieren, hat das zwei Konsequenzen: Sie werden immer mächtiger und die Wichtigkeit von Positionen und Ämtern nimmt gegenüber der repräsentativen Funktion ab. So verlieren die großen Parteien ihre Wurzeln in der Zivilgesellschaft – und das führt auch zu ihrer Krise.

Also muss man als Partei in der Opposition bleiben, um diesen Effekt zu verhindern?

Zumindest den Kontakt zur Bevölkerung wieder aufnehmen. Nehmen sie die Linke – das ist eine typische „Kümmerpartei“. Das gibt es so in Holland ebenfalls. Dazu gibt es eine weitere Reaktion in den Niederlanden: Anti-Establishment-Bewegungen jenseits des Parteiensystems wie den parteilosen Pim Fortuyn – oder Geert Wilders, der eine Partei hat, deren einziges Mitglied er selbst ist. Vor solchen Entwicklungen bietet das deutsche politische System gute Schutzmechanismen – etwa der Föderalismus, in dem so etwas zuerst auf Landesebene experimentiert werden muss und die Fünfprozentklausel.

Haben wir Deutschen ähnliche Probleme wie die Niederlande?

Es gibt die gleichen Strukturzwänge in allen Ländern wie Globalisierung und Finanzkrise, und keiner glaubt mehr, dass der Staat und die Politik noch in der Lage ist, diese Probleme zu lösen.
Wenn viele Leute antworten, dass sie nicht glauben, dass die Politik tatsächlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen kann, wird das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert. Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.

Wenn tatsächlich so viele Bürger bereits wissen, dass Wahlkampf lediglich symbolische Funktionen, aber kaum reale Konsequenzen hat – wie sinnvoll ist Wahlkampf als politisches Instrument dann überhaupt noch?

Wir brauchen Regierung und Opposition, die sich abwechseln, das müssen wir organisieren, Parteien sind eine Möglichkeit. Der Wahlkampf ist ein symbolischer Moment, in dem man die Menschen mobilisiert und diesen Wechsel symbolisch möglich macht. Aber ich sehe das nicht als eine Entscheidung, die vier Jahre trägt. Statt dessen sind Wahlen eine punktuelle Momentaufnahme einer politischen Stimmung. Wenn das so ist, dann sollten wir zu einem System kommen, in dem man zwischendurch viel mehr Möglichkeiten hat, punktuell zu messen – oder andere Forme von direkter Demokratie zu entwickeln, die über die Parteien hinaus gehen. Schließlich sind sie Organisationsformen mit Strukturen aus dem 19. Jahrhundert. Die ganze Gesellschaft hat sich aber modernisiert.

Gibt es Themen, die ihrer Meinung nach in diesem Wahlkampf zu kurz kommen?

Dieser Wahlkampf ist eine nationale Nabelschau. Und das, obwohl wir eine internationale Finanz- und Wirtschaftskrise bewältigen müssen. Ob Politiker, Experten oder Journalisten – alle reden nur über die deutschen Maßnahmen, die deutsche Finanzlage, die deutsche Politik. Man muss sehr viel nachfragen, um überhaupt ein Ausland zu entdecken. Europa ist ein Wort, das ich noch niemanden freiwillig habe benutzen hören. Kleine Länder wie Irland oder Portugal können sich einen europaskeptischen Standpunkt leisten. Aber wenn Deutschland sich seiner europäischen Verantwortung entzieht, ist das gravierend: Denn Deutschland ist das Land, dass die EU doch zusammenhält, es hat eine andere Verantwortung.

Der Pole – “Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise”

Der Amerikaner – “Die Deutschen lieben Obama, aber hassen Amerika”

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„Niemand redet darüber, wie die Krise nach der Wahl bewältigt werden soll“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eniemand-redet-daruber-wie-die-krise-nach-der-wahl-bewaltigt-werden-soll%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 14:33:53 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3455 Foto: Jörn NeumannFoto: Jörn Neumann

HALLE. Jay Rowell ist seit 2001 Forscher in Politische Soziologie an der Centre National de Recherche Scientifique (CNRS). Er leitet seit 2007 das Strassburger Forschungsinstitut Groupe de Sociologie Politique Européenne (www.gspe.eu) und ist seit 2006 stellvertretender Direktor vom Centre interdisciplinaire de recherches et d’études sur l’Allemagne. Seine Forschung und Lehrtätigkeit betrifft die Soziologie des Staates, Politisierung und Studien über die Sozialpolitik in Europa und in der EU.

Viele Deutsche finden den Wahlkampf langweilig. Sie auch?

Ja, jeder spielt ziemlich defensiv. Mich erstaunt es besonders, dass gerade die kleinen Parteien nicht in die Offensive gehen. Dabei könnten sie gegenüber der großen Koalition so gut punkten.

Sie haben Westerwelle, Künast und Gysi gesehen – sind die nicht laut?

Westerwelle ist natürlich am lautesten, den habe ich gestern in München gesehen. Er hat von Steuersenkungen gesprochen, war aber nicht überzeugend: Es gab keine konkreten Aussagen, was er in einer schwarz-gelben Koalition machen wird. Es wurden alle Themen angesprochen, Bildung, Wirtschaft, die klassischen Themen der FDP, aber gerade bei Wirtschaftsliberalismus hätte ich mehr erwartet. Der Diskurs bleibt im Allgemeinen und sehr abstrakt, man hätte auch mehr Beispiele nehmen müssen. Das fehlt bei eigentlich allen bis auf Gysi.

Wie erklären Sie sich die Friedlichkeit der Parteien?

Das hat zum Einen mit der Wirtschaftskrise zu tun, die in der Großen Koalition gemeinsam bekämpft wurde. So können weder SPD noch CDU heute sagen, sie würden alles anders machen.  Und zum Anderen hat es mit der politischen Kultur zu tun: Es geht sehr viel um Kompetenz und Sachlichkeit. Das hat man im Kanzlerduell gesehen, da blieb die Diskussion immer sehr sachlich, es fehlte an Emotionen, Bildern und Symbolen. Vielleicht wagt man wegen der deutschen Vergangenheit nicht, populistisch oder emotional zu punkten.

Es fehlen also die strittigen Themen.

Was mich sehr erstaunt ist, dass es in dieser Debatte gar nicht so sehr darum geht, was nach der Wahl kommt. Die Krise ist ja schon ein Jahr alt, und auch wenn es langsam wieder aufwärts geht, kommt erst Morgen die schmerzhafte Entscheidung, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen. Es gibt offenbar einen Konsens, diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen. 2005 hat die CDU das gemacht und fast verloren. Hier müssten die Journalisten die Kandidaten herausfordern und nachfragen, wie etwa Steuersenkungen finanziert werden sollen. Westerwelle sagt, das würde die Wirtschaft ankurbeln und sich dadurch refinanzieren, aber weiß seit Reagan 1981, dass das nicht funktioniert. Aber auch die SPD sagt nicht, wie es weitergehen soll, die Grünen mogeln sich um das Thema herum, und Merkel ist ebenfalls in der Defensive und hat Angst, den Wahlsieg noch zu verspielen.

Ist dieser Konsens-Wahlkampf typisch deutsch?

In Deutschland herrscht Konsens: Die Krise ist von außerhalb gekommen, es gibt zwar strukturelle Probleme, aber keine Schuldzuweisungen, nur bei den Linken findet man das. In Frankreich gibt es Versuche, die Schuld für die Krise auf nationaler Ebene anderen zuzuschieben: Weil angeblich Sarkozy und seine Vorgänger Deregulationspolitik betrieben haben.

Würden Franzosen Merkel oder Steinmeier wählen?

Ganz bestimmt nicht! Wobei in Frankreich im Grunde genommen Wahlen wie in Deutschland gewonnen werden: Man verspricht viel, das man hinterher nicht einhalten kann. Nur populistischer. Diese Bescheidenheit der beiden Kandidaten, das wäre in Frankreich unmöglich. Ein aufgeblähtes Ego ist sogar beliebt. Man sucht jemanden, der entscheiden kann, der durchsetzungsfähig ist und viel verspricht, das hat damit zu tun, dass der französische Präsident viel allein entscheiden kann, in Deutschland müssen die Politiker zusammenarbeiten und konsensfähig sein. Das erzeugt dann verschiedene politische Kulturen.

Mit welchen Themen könnte Steinmeier noch punkten?

Ich würde auf die Ängste abzielen, dass die FDP oder Schwarz-Gelb den Sozialstaat abbauen oder Steuern nur für die obere Schicht senken wollen. Das Problem ist, dass die SPD mit Hartz IV Reformen gegen den kleinen Mann gemacht hat, das muss sie jetzt anders machen. Und Steinmeier hat das alles mit entschieden. Daran wird die SPD noch lange zu knabbern haben.

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Die Wahl im internationalen Blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-wahl-im-internationalen-blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/#comments Thu, 24 Sep 2009 11:17:15 +0000 Lu Yen Roloff, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3384 GruppeWahlbeobachter bei GregorGysi

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Wir von der Wahlfahrt09 sind nicht die einzigen, die im Vorfeld der Bundestagswahl durch das Land reisen. Von unserer vorletzten Station Magdeburg machten wir einen kleinen Abstecher nach Halle, um dort ein internationales Wahlbeobachterteam zu treffen, das im Auftrag des Deutschen Akademischen Auslanddienstes unterwegs ist: 18 Wissenschaftler aus 18 Ländern, Politologen und Historiker mit dem Spezialgebiet Deutschland. Sie sind in Halle, um dem Wahlkampfabschluss der Linkspartei beizuwohnen und Gregor Gysis Rede zu hören. In den Tagen zuvor hörten sie bereits Renate Künast und Guido Westerwelle, den Wahltag erleben sie in Berlin – und werten dann die Reise gemeinsam aus. Vorab gaben uns die Wissenschaftler aus der Türkei, den Niederlanden, Frankreich, Argentinien, Polen und den USA schon eine kurze Zwischenbilanz ihrer Beobachtungen vor ihrem jeweiligen Hintergrund.

]]> http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/feed/ 0 Wahlkrieg statt Schlafwagen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlkrieg-statt-schlafwagen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlkrieg-statt-schlafwagen http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlkrieg-statt-schlafwagen/#comments Thu, 17 Sep 2009 17:58:00 +0000 M. Lenz, C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2885 Breitenfelde_Wahlkrieg-1

Foto: Milos Djuric

BREITENFELDE. Während sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier umarmen, machen Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner in Schleswig-Holstein vor, was ein echter Wahlkampf ist. Die Gräben zwischen den großen Parteien sind tief. Das spüren auch die Wähler.

Der Ort, an dem die Suche nach dem Kampf im Superwahljahr 2009 beginnen muss, ist das kleine Städtchen Mölln im Herzogtum Lauenburg. Auf dem neueren Teil des Möllner Friedhofs liegt Uwe Barschel begraben. Nadelbäume spenden Schatten, rote Begonien erheben sich aus den Bodendeckern, ein Rhododendron wölbt sich über einen schlichten Feldfindling, dem Grabstein des ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. Es ist eine unauffällige und nüchterne Ruhestätte für den Politiker, der im Zentrum eines der größten politischen Skandale der Nachkriegsgeschichte stand. Der Name Barschel ist zu einem Symbol geworden für Politik in ihrer archaischen Form. Und im hohen Norden gilt noch immer: Hier wird hart um die Macht gekämpft und dabei sind fast alle Mittel recht.

Zuletzt stellte das der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen unter Beweis, als er die SPD-Minister aus seinem Kabinett warf und per fingierter Vertrauensfrage vorgezogene Neuwahlen erzwang. Am 27. September wird nicht nur der Bundestag, sondern auch der Kieler Landtag neu gewählt. Doppelter Wahlkampf also zwischen Nord- und Ostsee. Dabei ist der Schleswig-Holsteinische Landtagswahlkampf der Gegenentwurf zum beschaulichen Bundestagswahlkampf aus dem Schlafwagen. Wenn das, was im Bund abläuft, Wahlkampf sein soll, dann herrscht im Norden Wahlkrieg.

Das Casino Royal in Elmshorn. Ein langgestreckter Saal getaucht in schummriges Licht. Tischreihen auf abgewetztem grünen Teppich. Etwa 1000 Menschen wollen den neuen Star der Union, Theodor zu Guttenberg sehen, den Carstensen sich als Verstärkung geholt hat. Die Luft ist muffig und biergeschwängert. Es ist die perfekte Atmosphäre für einen deftigen Wahlkampfauftritt. Carstensen weiß das zu nutzen: „Ich sag immer: in der Politik braucht man Augen und Ohren“, ruft er in den Saal. Und in Richtung seines Gegenspielers Ralf Stegner (SPD): „Manchmal ist das besser, wenn man sich von einem trennt.“ Einfache Sätze, gemünzt auf den politischen Gegner. Dann kommt zu Guttenberg und hält eine staatstragende Einführung in die politische Ökonomie der Krise. Er wirft mit Begriffen wie Tobin-Steuer oder Due-Dilligence-Prüfung um sich, ohne sie zu erklären. Dann sagt er: „Ich habe mir vorgenommen, in diesem Wahlkampf nicht einen Namen zu nennen, höchstens im Positiven.“ Was daran noch Wahlkampf ist, erklärt er nicht. Carstensen bleibt der Ausflug ins volkswirtschaftliche Proseminar erspart. Er ist da schon lange weg, unterwegs zu einem Volksfest bei Kiel.

„Ich feiere nach der Arbeit und nicht statt der Arbeit“, sagte kürzlich Ralf Stegner und warf Carstensen vor, zu viel mit dem Volk zu feiern. Im Land gilt Carstensen als trinkfester „König der Volksfeste“. Der konterte in Richtung SPD: “Wenn die Selters kriegen, singen die Trinklieder.” Es war eine weitere Spitze in der persönlichen Auseinandersetzung der beiden Spitzenkandidaten. Während Merkel und Steinmeier kein schlechtes Wort übereinander verlieren, pöbeln sich Carstensen und Stegner regelrecht an.

Der SPD-Linke Stegner gilt bei der CDU als „Kotzbrocken“ und „Roter Rambo“. „Mit der SPD konnte man zusammenarbeiten, mit Herrn Stegner nicht“, sagt Carstensen über seinen Kontrahenten. „Er war das Problem der Großen Koalition.“ Bei der SPD wiederum gilt der Ministerpräsident als “Dorfdepp”. Und als Lügner, seit er sagte die SPD hätte die umstrittenen Bonuszahlungen in Höhe von 2,9 Millionen Euro an den HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher stoppen können. Wo Stegner kann, zeichnet er von der CDU ein verächtliches Bild. „Stockkonservativ“ und „rückwärtsgewandt“ sei die Partei des Landwirtssohnes Carstensen. Solch feurige Attacken gibt es im Bund nicht.

Der Markt in der historischen Mitte der Hansestadt Lübeck. Etwa 1000 meist ältere Menschen stemmen sich gegen den frischen Wind. Rote Fahnen flattern. Ein paar Jubel-Jusos recken Pappschilder mit dem Schriftzug „Frank Walter Steinmeier“ in die Höhe. Franz Müntefering ist gekommen. Er hält seine Standard-Wahlkampfrede. Viel Geschichte der Sozialdemokratie, wenig Konfrontation. Zum Schluss sagt er: „Die Frage ist, ob man mit Mundwinkel runter die Leute überzeugen kann.“ Hinter ihm steht Ralf Stegner mit heruntergezogenen Mundwinkeln.

Stegner hatte zuvor noch erklärt: Dass er oft so finster gucke, liege daran, dass er so konzentriert zuhöre. Der SPD-Mann, dem ein nicht allzu sympathischer Ruf voraus eilt, hat immerhin die wenig volkstümliche Fliege abgelegt, und stillt jetzt mit offenem Kragen die Erwartungen an den wüsten Wahlkampf im Norden: In seiner Rede greift der 49-jährige immer wieder Carstensen an. Auch der Volksfest-Vorwurf ist einmal mehr dabei. Und zu dessen Koalitionsversprechen sagt er: „Schwarzgelb sind Wespen. Der Sommer ist vorbei, die Zeit der Wespen auch.“

Wer die völlig unterschiedlichen Schauspiele auf Bundes- und Landesbühne verstehen will, fragt am Besten die Zuschauer. Konstantin von Notz ist der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat der Grünen für den Bundestag. “Wenn ich Steinmeier und Merkel angucke, dann ist da kaum noch etwas kontrovers. Die haben sich in der Symbiose eingerichtet“, sagt er. Die Großen seien doch im Schlafwagen  unterwegs. Das Bild passt gut, denn der 37-Jährige Jurist besucht mit seinem Parteifreund Andreas Tietze gerade den Erlebnisbahnhof Schmilau bei Mölln. Tietze ist Listenkandidat für den Landtag. Die Fernseh-Debatte zwischen Merkel und Steinmeier sei unfassbar langweilig gewesen. Im Land sähe das anders aus:  „Ein TV-Duell zwischen Carstensen und Stegner, das wäre so etwas wie Ehen vor Gericht“, sagt der 47-Jährige und schiebt nach: „Die kochen doch innerlich.“ Von Notz erklärt: “Die Gräben in Schleswig-Holstein zwischen CDU und SPD sind auch historisch bedingt. Da gibt es schon tiefe Klüfte.” Es ist klar, was er damit meint.

Die Barschel-Affäre war so etwas wie die Urkatastrophe der schleswig-holsteinischen Politik. Seitdem ist das Verhältnis zwischen den großen Parteien vergiftet. Die Klüfte, die von Notz nennt, verlaufen zwischen CDU und SPD, und prägen die politische Kultur des Landes. Auf Barschel folgte der Rücktritt von Björn Engholm. Später schoss der noch immer unbekannte „Heide-Mörder“ die Ministerpräsidentin Simonis ab. In diese Geschichte fügt sich der jüngste Bruch der Großen Koalition nahtlos ein. Und bei ihrer Wahlschlacht wollen Stegner und Carstensen mit dieser Tradition erst Recht nicht brechen.

Auch in Mölln, dem Ort, in dem Uwe Barschel begraben liegt, findet der Wahlkampf ohne Samthandschuhe statt. „Bei uns wird auf der Sachebene heftig gestritten“, sagt Monika Brieger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Kreistag des Herzogtums Lauenburg. „Wir führen einen sehr aktiven Wahlkampf“, sagt die 50-jährige Krankenschwester. „Kuscheln werden Sie bei uns nicht finden.“

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Schwarze Bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schwarze-bioenergie http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/schwarze-bioenergie/#comments Thu, 17 Sep 2009 12:37:58 +0000 Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=2973 Breitenfelde_Biogas-1

Foto: Milos Djuric

WENDLAND/BREITENFELDE. Weite Felder ziehen sich über sanfte Hügel. Am Straßenrand aufgereiht stehen Bauernhäuser aus rotem Klinker mit hell gestrichenen Holztüren. Doch die Idylle trügt: Der Strukturwandel hat diese Region Schleswig-Holsteins voll erwischt, die Landwirtschaft spielt in den meisten Dörfern kaum noch eine Rolle. Im Herzogtum Lauenburg setzt jetzt eine Kooperative aus fünf Bauern auf Bioenergie. Die Grünen wählen diese Bauern trotzdem nicht.

Hinter dem Dorf strecken sich zwei Kräne in den Wolkenhimmel, ein Betonmischer rotiert. Hier – mitten im Nirgendwo – entsteht ein kleines Kraftwerk. Der Stoff, aus der die Energie gewonnen wird: gehäckselter Mais und die Gülle der Kühe, die gleich neben der Biogasanlage grasen. Ab März 2010 soll sie die 170 Häuser des Nachbardorfes mit Strom und Wärme versorgen, und das alles CO2-neutral.

Tilmann Hack läuft in blauer Latzhose über die Baustelle, grüßt die Bauarbeiter: „Moin, moin! Alles klar?“ Kurz zuvor war er noch auf dem Feld, um Weizen zu säen, jetzt schaut er beim Aufbau der kreisrunden Fermenter vorbei. „Hier findet die Gärung statt: kleine Lebewesen zersetzen die Maishäcksel in Methan und in einen Gärrest.“ Der 46-Jährige hat sich eingearbeitet in eine für ihn neue Materie. Hack ist Bauer in der fünften Generation. Einst hat er von Milchkühen auf Schweine umgestellt, später auf den Ackerbau, je nachdem, wovon sich am besten überleben ließ. Mehr als die Hälfte seiner Bauernkollegen im Dorf haben die Landwirtschaft schon aufgegeben, doch Bauer Hack befindet sich seit diesem Frühjahr auf dem Weg vom Land- zum Energiewirt.

Sieben Biogasanlagen gibt es derzeit in seinem Landkreis, etwas weiter nördlich sind es schon mehr als dreimal soviel. 70 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus nachwachsenden Rohstoffen wird allein durch Bioenergie gedeckt. Durch die Gärung der Biomasse aus Mais oder Gülle entsteht Gas. Das Gas wird verbrannt, um Strom zu erzeugen, und die dabei freiwerdende Wärme direkt in die Häuser geleitet. Bioenergie gilt als CO2-neutral, denn bei der Umwandlung des pflanzlichen Materials in nutzbare Energie wird nur soviel Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben.

„Nachhaltigkeit“ ist ein Wort, das Bauer Hack häufig verwendet. So oft, dass man meinen könnte, er sympathisiere mit den Grünen. Aber er sagt: „Die wollen ganz Deutschland auf Bio umstellen, das kann nicht funktionieren!“ Tilmann Hack verschränkt die Arme über seinem Latzhosenbauch. Er wählt die CDU, wie die meisten seiner Kollegen. Das „kleinste Übel“ nennt er es. Denn im Grunde gebe es für ihn als Landwirt keine Partei. Befürwortet er als angehender Energiewirt nicht auch die Förderung alternativer Energie? „Die Regelungen, so wie sie jetzt sind, reichen für mich aus.“ Hack ist kein Umweltaktivist, sondern Geschäftsmann genug, um sich den veränderten Bedingungen anzupassen, ohne die Welt retten zu wollen.

SPD, Grüne und die Linken kündigen in ihren Wahlprogrammen an, die Energieversorgung so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen, CDU und FDP legen sich da nicht fest. Bioenergie – wie Bauer Hack sie mit seinen Kollegen produzieren wird – ist erneuerbar: die Rohstoffe wachsen schnell nach. Bleibt nur die Frage, ob auch die Produktion der Rohstoffe nachhaltig ist. Befeuert hatte diese Diskussion einst die Produktion von Pflanzenölen in Entwicklungsländern für deutsche Traktoren. Vor kurzem hat der Bundestag die Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet: Sie soll sicherstellen, dass künftig Biomasse nur unter Beachtung verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien hergestellt wird. Derzeit ist jedoch noch offen, wie diese Kriterien genau aussehen. Hack hat da keine Bedenken: „Ich wirtschafte nachhaltig, sonst hätte ich den Hof gar nicht so lange halten können.“

Derzeit hat Tilmann Hack mehr mit den Bedenken seiner Nachbarn als mit gesetzlichen Vorschriften zu kämpfen. ‚Tilly, was macht ihr denn da? Wir wollen keine Monokultur!’, werde er oft gefragt. „Dann erkläre ich, dass wir mindestens 50 Prozent der Fläche weiter für Weizen, Raps und Gerste verwenden werden, Nahrungsmittel also.“ Eine Dorfbewohnerin am Straßenrand hat keine Bedenken gegen das Mini-Kraftwerk in ihrem Dorf: man müsse ja mit der Zeit gehen. Ihr Vater war Bauer, sie selbst wollte den Hof nicht übernehmen. „Hauptsache, es stinkt nicht“, schiebt sie noch hinterher und wendet sich wieder ihrem Blumengarten zu.

Direkt neben der Biogasanlage steht einer der wenigen noch aktiven Bauernhöfe Lüchows. Der Bauer hat die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen und übt nordische Zurückhaltung. Schweigen zur Biogasanlage, dann doch noch eine Erklärung: „DIE Pachtpreise steigen, weil der Flächenbedarf für den Mais viel größer ist.“ Sein Hof überlebt derzeit mit einer Mischkalkulation: 960 Mastschweine, den Rest des Einkommens muss er mit Brotweizen und Raps erwirtschaften. Wenn die Pachtpreise weiter steigen wird das bei den aktuellen Preisen immer schwieriger.

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Steinmerkel im TV http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=steinmerkel-im-tv http://www.wahlfahrt09.de/menschen/steinmerkel-im-tv/#comments Sun, 13 Sep 2009 13:54:16 +0000 Lena Gürtler http://www.wahlfahrt09.de/?p=2660 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. In der Kneipe, auf dem Sofa bei Erstwählern, den Piraten und im Einfamilienhaus eines Finanzbeamten: Die Wahlfahrt09 zu Gast beim Wähler. Wir schauten den Osnabrückern über die Schultern, als sie das Kanzlerduell gesehen haben. Das Ergebnis wurde auch auf Spiegel Online veröffentlicht.
Einzeltexte: Die Erstwähler, Die Stammgäste

20.00 Uhr – Die Stammgäste

Die “Peitsche” ist eine Raucherkneipe. Davon machen die Gäste rege Gebrauch. Auf einer Leinwand läuft die Übertragung der ARD. Sebastian Heukamp, 35, ist seit fünf Jahren Wirt der “Peitsche”. Der kräftige Osnabrücker, Mitglied der Jungen Union, hat den Wahl-O-Mat vor ein paar Tagen ausprobiert. Ergebnis: an erster Stelle Piratenpartei, an zweiter FDP.

20.07 Uhr – Die Familie

Ein weißes Haus in einer ruhigen Wohnsiedlung. Frank Henning, graue Haare, Bürstenschnitt, empfängt im blauen Jeanshemd an der Haustür. Seine Frau Julia sitzt auf der schwarzen Ledercouch und strickt ein Kleid für die fünfjährige Tochter. Sie und deren 15 Monate alte Schwester sind schon im Bett; jetzt warten die Hennings auf den Beginn des Duells. “Wenn Steinmeier nicht aus sich rauskommt, sehe ich schwarz”, sagt Frank Henning. Der Finanzbeamte sitzt für die SPD im Osnabrücker Stadtrat.

20.18 Uhr – Die Erstwähler

Max, Jonas, Oskar und Pierre machen es sich vor dem Fernseher gemütlich, Füße hoch, ein Bier in der Hand. Die vier Abiturienten sind Erstwähler und wollen jetzt mal sehen, wer sich besser schlägt: die Kanzlerin oder der Herausforderer. “Das ist ja wie beim Fußballgucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Ich find den Unterschied in der Aufmachung voll krass. Bei den Privaten sieht das voll nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

20.29 Uhr – Die Piraten

Lachen im Wohnzimmer der Piraten. Sie sitzen auf der Sofagarnitur in ihren orangefarbenen T-Shirts, die sie tags zuvor noch bei der Demo in Berlin anhatten. Die Gruppe ist ein wenig erschöpft, aber vor allem empört über den Polizeiangriff auf einen Demonstranten. Kurz wird überlegt, ob man nicht doch lieber die Simpsons schauen soll als Merkel und Steinmeier. “Das droht langweilig zu werden. Die stehen sich doch näher als viele Ehepaare.”

20.30 Uhr – Die Erstwähler

Das Duell beginnt.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt ‘ne Stimme wie Schröder”, sagt Max. Jonas: “Aber er ist lange nicht so charismatisch.” Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich ein bisschen zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Ganz schön abgeklärt klingt das für einen, der noch nie gewählt hat. “Eigentlich ist die Merkel gar nicht so schlecht”, sagt Max. Es scheint für Steinmeier ein Auswärtsspiel zu werden, zumindest im Wohnzimmer von Max.

20.32 Uhr – Die Piraten

Steinmeier legt los.

“Man könnte meinen, da spricht Schröder.” Ein Pirat greift zur Salzstange.

20.36 Uhr – Die Erstwähler

Die Frage nach dem Du: Peter Kloeppel will wissen, ob sich Steinmeier und Merkel duzen.

“Der will die mega-provozieren, dieser eine Journalist”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.”

20.37 Uhr – Die Piraten

Steinmeier und Merkel ziehen Bilanz.

“Schön herumgeredet”, empört sich einer der Piraten. Bisher hören sie zu, werfen immer wieder Kommentare in die Runde, eine Diskussion kommt noch nicht auf. “Ich wette, unser Thema Bürgerrecht wird von keinem der Kandidaten erwähnt”, sagt einer.

20.39 – Die Familie

Steinmeier spricht von Alternativen zur Großen Koalition.

“Problem, dass niemand ihm abnimmt, dass Rot-Grün es schafft”, sagt Frank Henning.

20.49 Uhr – Die Erstwähler

Die vier Erstwähler lauschen gebannt den Argumenten der Duellanten. Max und Jonas lümmeln sich auf der Couch, Oskar und Pierre sitzen aufmerksam nach vorn gebeugt. Da spricht der Herausforderer über die “Lohnspirale nach unten”. “Wenn es ein Phrasenschwein da gäbe, dann wären die schon arm da”, sagt Jonas.

20.46 Uhr – Die Familie

Plasberg sagt, viele Menschen fänden die Situation in Deutschland ungerecht

“Das sehe ich auch so”, sagt Frank Henning. Der 42-Jährige erzählt von der Osnabrücker Autobaufirma Karmann, die gerade im Insolvenzverfahren steckt. “Wenn einer da nach 30 Jahren entlassen wird und ein Jahr später auf Hartz-IV-Niveau lebt, während die Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben – das ist ungerecht.” Julia Henning nickt.

20.54 Uhr – Die Piraten

Steinmeier: Menschen müssen von Arbeit leben können.

Nicken in der Runde.

Die Familie

Julia Henning blickt von ihrer Strickarbeit hoch – und stimmt voll zu. “Wenn jemand acht Stunden arbeiten geht und noch Sozialhilfe beantragen muss, ist das ein Affront.”

20.55 Uhr – Die Stammgäste

Stille Gäste mit Blick auf die Leinwand. Zweite Biere werden bestellt. Getragene Stimmung bei den Kandidaten und bei den Zuhörern. Die Gäste stecken die Köpfe zusammen. “Privat fährt er wahrscheinlich Mercedes”, sagt Wirt Heukamp, als Steinmeier über Opel spricht.

20.57 Uhr – Piraten

Diskussion über Opel.

Herumrutschen auf dem Sofa, die Saftmischung Ananas-Grapefruit wird angeboten. “Klar, sie können sich jetzt nicht gegenseitig kritisieren. Es wäre viel spannender, wenn FDP und Grüne diskutieren würden.”

21.00 Uhr – Die Familie

Moderator Plasberg erinnert die Bewerber daran, dass Wahlkampf herrscht.

Frank Henning lacht. “Das ist ja niedlich – sind das jetzt Merkel und Steinmeier gegen die Journalisten?”

Die Stammgäste

Erster Stimmungshöhepunkt. “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren”, sagt ein Gast mit Lesebrille. Als die Redezeit eingeblendet wird und gleich ist, bemerkt eine junge Frau: “Also doch ein Duett!”

21.02 Uhr – Die Familie

Merkel und Steinmeier streiten über Atomkraft.

Jetzt hat Frank Henning auch was zu sagen, das ist sein Anliegen, damit hat er sich beschäftigt: Wenn Atomkraftwerke ausgeschaltet würden, “geht hier keine Glühbirne aus”.

Die Piraten

Die Gruppe wird wieder aufmerksamer. Zwischenfrage einer Piratin: “CDU hat keinen Ausstiegszeitpunkt genannt, oder? Nein, nur über 2020 hinaus.”

Die Erstwähler

Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen.” Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor Schwarz-Gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

21.14 Uhr – Die Stammgäste

Die Bankenkrise ist Duell-Thema.

Eine ältere Dame thematisiert den Gehaltsunterschied der beiden Frauen Merkel und Illner. “Die verdient ja viel mehr als Merkel.” Ihr Nebenmann fügt hinzu: “Und ist produktiver.” Als Steinmeier auf das Thema auf Fehlverhalten der Banken kommt, sagt ein Mann: “Und der ist seit acht Jahren im Amt.”

Die Piraten

Auf dem Sofa kommt die Frage auf: “Gibt es eigentlich eine Pause?” Wieder die Idee, in der Werbepause mal zu den Simpsons zu schalten.

21.21 Uhr – Die Familie

Steinmerkel spricht über Kredite für den Mittelstand.

“Er hält quasi ein Referat”, sagt Henning. Steinmeier sei sachlich, so reiße er niemanden mit – aber Merkel sei ja auch nicht so heißblütig. Der 42-Jährige schüttelt den Kopf. So würden die Zuschauer wohl nicht zum Wählen motiviert. “Das ist kein Duell. Eigentlich machen die da eine nette Unterhaltung. Da ist kein Pfeffer drin”, sagt Julia Henning.

21.27 Uhr – Die Erstwähler

Merkel spricht über Steuersenkungen.

Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, sagt Jonas. Pierre: “Und selbst wenn sie die Steuern senken, dann ist das immer noch höher als früher.”

Die Familie

Julia Henning legt das Strickzeug weg. “Endlich mal!” ruft sie und sieht auf die Uhr. Eine Stunde haben die Politiker gebraucht, bis sie miteinander diskutieren. Da freut sich nicht nur Plasberg.

21.34 Uhr – Die Piraten

Merkel spricht über die Gesundheitspolitik.

Wieder stärkere Aufmerksamkeit gen Fernseher, dann Enttäuschung. “Wie wäre es eigentlich mit Abschaffung der Gesundheitskarte?”, fragt einer. Doch diese Frage kommt nicht.

21.37 Uhr – Die Stammgäste

“Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen, alles soll gleichgemacht werden”, sagt die Dame in Kostümjacke mit Perlenohrringen. “Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

“Eigentor!” frohlockt ein bärtiger Gast, als Steinmeier ohne Not die Dienstwagenaffäre erwähnt.

21.39 Uhr – Die Erstwähler

Der Zeitkontenvergleich

Merkel hat bisher länger geredet als Steinmeier, aber den Jungs kommt es anders vor. “Was? Steinmeier hat doch viel länger geredet”, sagt Max. Der Herausforderer punktet im Osnabrücker Wohnzimmer. Jonas: “Der ist halt schon charismatischer als die Merkel.”

21.40 Uhr – Die Piraten

Steinmeier zu Afghanistan

Ein Piratin seufzt, schlendert mit der Teetasse in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Steinmeier spricht von der Gefahr, dass bei Abzug der Truppen alle Mädchen wieder in den Keller müssten, die Bauern wieder Drogen anbauen würden. Außenpolitik ist jetzt nicht unbedingt ein Thema der Piratenpartei. Trotzdem der empörte Einwurf aus der Küche: Ist ja ein schönes Bild, das er da von Afghanistan hat!

21.45 Uhr – Die Familie

Limbourg nennt Merkel und Steinmeier “älteres Ehepaar”.

“Das hab ich auch gerade gedacht”, sagt Frank Henning und lacht: “Nettes Pärchen.”

21.47 Uhr – Die Familie

Steinmeier: Opposition kommt auf keinen Fall in Betracht.

Frank Henning schüttelt den Kopf – genau das will er nicht. Eine Neuauflage der Großen Koalition “würde die SPD völlig kaputt machen”, hatte er schon vor Beginn der Sendung gesagt. Dann sollte sie lieber in die Opposition gehen, denn sonst würde “Angie” alle Erfolge für sich beanspruchen. Julia Henning hat das Strickzeug weggelegt.

21.49 Uhr – Die Erstwähler

Politische Farbenspiele im TV-Duell.

Wer mit wem? Steinmeier in der Defensive. Wie hält er es mit der FDP, wie mit der Linken? “Eigentlich wissen die bei der SPD ja, dass sie einen dritten Partner brauchen.” Aber die FDP soll das nicht sein, zumindest nicht für Max und Jonas. Sie befürworten eine rot-rot-grüne Lösung. Dass Steinmeier das ausschließt, finden sie nicht gut. Pierre und Oskar würden eine Ampelkoalition mit der FDP bevorzugen. “Ich glaube, dass das demokratischer wäre, wenn man bei Rot-Grün noch Gelb dabei hat”, sagt Pierre.

21.54 Uhr – Die Stammgäste

Merkel kommt in Fahrt. Das trifft den Nerv der Zuschauer in der “Peitsche”. Zustimmung, als sie Steinmeier angreift und über eine mögliche Koalition von SPD und Linke spricht. “Jetzt kommt sie ja mal langsam. Hat ja lange gedauert.” – “Super, gut.”

21.57 Uhr – Die Piraten

Steinmeiers Schlussstatement.

Stille.

Die Stammgäste

“Aus der Krise…”, setzt Steinmeier an.

“Nicht mit der SPD!” ruft ein Mann in die Runde. “Das hat mit der vorherigen Diskussion nichts zu tun”, kritisiert ein Gast. “Auswendiggelernt!” Überzeugen kann der Herausforderer die Kneipengäste der “Peitsche” nicht.

Eine Dame fordert die anderen Gäste auf, Steinmeier aussprechen zu lassen. Absolute Ruhe beim Endstatement der Kanzlerin. Applaus brandet auf, als Merkel fertig gesprochen hat. “3 zu 1 für Merkel”, glaubt ein Gast. Für die Gäste der Peitsche steht der, pardon, die Siegerin fest.

Die Erstwähler

Auch bei den vier Jungs ist die Sache klar: Der Auftritt des Herausforderers hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie es Jonas ausdrückt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Max nervt, “dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben”.

Jonas sagt: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.”

Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

Die Piraten

Einstimmigkeit unter den Piraten: Die Moderatoren haben gewonnen! Steinmeier hat zumindest zu kämpfen versucht. Doch Merkel ist nie auf ihn losgegangen. Hauptstrategie: keine Angriffsfläche bieten. Deshalb kam keine Diskussion auf.

Die Familie

Wer ist Sieger? “Beide”, ruft Julia Henning spontan – schließlich habe es kaum Konfrontation gegeben. “Das plätscherte so vor sich hin.”

Das Duell Stoiber-Schröder war viel aufregender, findet sie.

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Friede, Freude, Wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=friede-freude-wahlsieg http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/friede-freude-wahlsieg/#comments Sun, 13 Sep 2009 12:21:48 +0000 Lena Gürtler, Ute Zauft http://www.wahlfahrt09.de/?p=3041 Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Krieg oder Frieden – ein hoch emotionales Thema, das nicht zum ersten Mal über Wahlsieg oder –niederlage entscheiden könnte. Nach der Linken versucht nun auch die SPD, mit ihrem Afghanistan-Papier ihr Friedensprofil zu schärfen. Nagelprobe für die Friedensrhetorik der Wahlkämpfer: Ein Besuch in der Hochburg der Friedensbewegung im niedersächsischen Osnabrück.

Eine Collage aus Zeitungsausschnitten: Schlagzeilen über Deutschland im WM-Fieber neben Bildern von ausgebombten Häusern im Libanon. Darüber legt sich ein halbtransparentes Muster aus Rottönen – erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es Gefangene in Guantanamo sind. Sylvia Lüdtke thematisiert in ihren Bildern die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden. “Ein tiefes Friedenssehnen” treibt die Künstlerin an. Eine Sehnsucht, die sie mit einer ganzen Stadt teilt: In Osnabrück wurde 1648 der Dreißigjährige Krieg mit dem westfälischen Frieden beendet. Bis heute steht auf dem gelben Schild am Ortseingang “Friedensstadt.”

Allein 43 Organisationen beschäftigen sich in Osnabrück mit dem Thema Frieden. Zusammen mit ihren Kindern geht Sylvia Lüdtke auf die regelmäßigen Friedensdemos in der Stadt, protestiert dabei auch gegen einen Krieg, der in Deutschland offiziell nicht so genannt werden darf. Die deutschen Truppen in Afghanistan sind auf “Friedensmission”. Ein Thema, das die Osnabrücker umtreibt, gerade auch im Wahlkampf. An einer Autobahnabfahrt hat jemand quer über den FDP-Slogan “Raus aus Afghanistan” geklebt. Nicht unbedingt eine Forderung der Liberalen. Der Spruch klingt sehr nach der Linken. Die versuchen schon lange, mit dem Krieg am Hindukusch Wahlkampf zu machen.

Die anderen Parteien geraten in Zugzwang, müssen Position zu Afghanistan beziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Frage um Krieg und Frieden die Wahl mitentscheidet: 2002 hat sich Gerhard Schröder durch sein “Nein” zu deutschen Truppen im Irak noch einmal auf den Kanzlersessel gerettet. In diesem Wahlkampf also Afghanistan, mit einem Unterschied: Deutsche Soldaten sind schon da, die Positionierung der Parteien wird dadurch ungleich schwieriger, ein Samthandschuh-Thema für die Parteien.

Anders die Osnabrücker. Sie suchen die Auseinandersetzung mit dem Thema. “Das Friedensthema ist ansteckend, Osnabrück ist ein friedensbewegter Ort”, sagt der Politikwissenschaftler Roland Czada. Er ist Professor an der Osnabrücker Universität und Leiter der Osnabrücker Friedensgespräche. Diese Veranstaltungen seien immer voll, in anderen Städten habe er das bei ähnlichen Themen ganz anders erlebt. Kürzlich hatte Friedensforscher Czada zu einer Diskussion über den Truppeneinsatz in Afghanistan geladen: “Das Thema wurde von den Osnabrückern viel kontroverser diskutiert als von den Parteien: Die fetzten sich wirklich: war es richtig, da reinzugehen oder zwingen wir uns den Afghanen auf?” Nach Meinung des Politikwissenschaftlers hat Steinmeier mit seiner Festlegung auf ein Abzugsdatum ab 2013 das einzig Richtige getan: “Er profiliert sich im Wahlkampf zunehmend auf dem Feld, für das er als Minister zuständig ist: die Außenpolitik.”

Die CDU hingegen bringe das Thema Afghanistan in die Bredouille, sagt Czada. Ihr Verteidigungsminister ist – wenn er überhaupt mal auftaucht – in Erklärungsnot. Wenn Soldaten tot aus Afghanistan nach Deutschland gebracht und gleichzeitig die Rufe nach Abzug noch lauter werden, darf Franz Josef Jung die Soldaten nicht einmal “Gefallene” nennen. Auf ein Ende des Einsatzes der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan will sich die CDU nicht festlegen. Der Einsatz am Hindukusch taugt für die CDU nicht dazu, Wahlkampf-Punkte in einem Land zu sammeln, in dem mehr als jeder zweite Bürger für einen schnellen Abzug ist.

Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

Die überklebten FDP-Plakate sind eigentlich eine hervorragende Vorlage für die Wahlkampfrede von Guido Westerwelle an diesem Nachmittag in Osnabrück. Die Wahlkampfbühne ist vor dem Rathaus aufgebaut. Hier befindet sich der “Friedensaal”, in dem Katholiken und Protestanten den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Überall in der Innenstadt verteilt: Rostrote Installationen, aus denen Apfel-Bäume wachsen. Sie erinnern an die Varus-Schlacht vor 2000 Jahren. Das Thema Krieg wird auch beim FDP-Chef vorkommen: Er spricht über die Abrüstung von Atomwaffen. Die Frage nach dem Truppenabzug aus Afghanistan lässt er geflissentlich beiseite.

“Für die FDP und die Grünen ist das Thema nur begrenzt wahlkampftauglich”, sagt Friedensforscher Czada. Die FDP wolle es sich nicht mit der CDU als mögliche Koalitionspartnerin verderben. Die Grünen wiederum haben als ehemals friedensbewegte Partei, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an mitgetragen. Nicht selten werden sie von ihren Anhängern dafür angegriffen. Afghanistan ist für die Grünen ein Thema, das sie lieber nicht in die Schlaglichter des Wahlkampfes rücken wollen, so Czada. “Wenn eine Partei mit dem Thema Wählerstimmen holen kann, dann ist es die Linke.” Sie ist grundsätzlich gegen deutsche Soldaten im Ausland und scheint damit den Friedens-Nerv vieler Wähler zu treffen. “Grundsätzlich sehnen sich die meisten Menschen nach Frieden. Damit wird jede Diskussion um Afghanistan auch zu einer emotionalen Gradwanderung”, so der Friedensforscher.

“Ich habe Angst vor Krieg” oder “Wenn alle Herzen gleichzeitig im Takt für den Frieden schlagen würden, dann hätte man ein Erdbeben der Stärke sechs.” Das haben Ausstellungsbesucher in Sylvia Lüdtkes Friedensbücher geschrieben. Die Künstlerin fordert die Betrachter ihrer Bilder auf, ihre Wünsche und Gedanken niederzuschreiben. Das erste Mal hat Lüdtke die Friedensbücher in Osnabrücks türkische Partnerstadt Canakkale ausgestellt. Seitdem füllt sich Buch um Buch. Kunst gegen die eigene Furcht. Lüdtkes Vater ist Offizier: “Ich habe erst spät begriffen, dass mein Vater auch in den Krieg ziehen könnte. Das hat mir Angst gemacht.” Einen schnellen Abzug der Truppen aus Afghanistan hält sie trotzdem für zu riskant. “Abzug bedeutet noch kein Frieden.”

Ein Argument, um das auch die Linke im Wahlkampf eigentlich nicht herumkommen dürfte. Nur einen Tag nach Westerwelle hält Gregor Gysi vor dem Osnabrücker Rathaus eine Wahlkampfrede. Im Gegensatz zu seinem FDP-Widersacher fordert er vehement den Truppenabzug aus Afghanistan: Durch Kriegseinsätze könne man keinen Frieden schaffen. Applaus. Gysi und seine Partei sind die einzigen, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnen. Glück für ihre Wahlkampfstrategie: Denn nur wer von Krieg spricht, kann von Frieden reden und damit Wähler locken.

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TV-Duell: Merkels Heimspiel in der Kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/tv-duell-merkels-heimspiel-in-der-kneipe/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:39:00 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2700 Osnabrueck_duellabend

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Die Straßen in Osnabrück sind an diesem Sonntagabend wie leergefegt. Das mag an Osnabrück liegen. Oder daran, dass TV-Duell-Zeit ist. In der “Peitsche” sammeln sich die Anhänger der Kanzlerin.

Die Kneipe, in der sich der bürgerliche Konservatismus versammelt, trägt den einprägsamen Namen “Peitsche”. Nicht “Zur Peitsche”, einfach “Peitsche”. Draußen ist angeschlagen, was heute geboten wird: “Angie vs. Steini live auf der Leinwand”. Das lockt immerhin knapp 30 potentielle Wähler in den zugequalmten Hinterraum. Die dunkle Holzvertäfelung hat wie viele der Zuschauer das Rentenalter erreicht. Der Wirt Sebastian Heukamp hingegen ist Vertreter der Jungen Union. Mit 35 Jahren.

Heukamp nimmt es sportlich, dass der Wahl-O-Mat ihm empfohlen hat, für die Piratenpartei zu stimmen. Erstaunt sei er schon gewesen, aber das politische Weltbild ist nicht in Gefahr. Als Steinmeier sich auf der Leinwand als einzig wahrer Opel-Retter in Szene setzt, zischt Heukamp nur: “Privat fährt der wahrscheinlich Mercedes.” Es soll wohl so etwas wie ein Argument sein.

Seine Gäste tauen nach dem zweiten Bier langsam auf. Ein Senior beschimpft Steinmeier als “Lügner” und “Mistkerl”. Er hat schon zwei Schnäpse Vorsprung. Dabei ist auf der Leinwand bisher nur Friede, Freude, Eierkuchen. Als Frank Plasberg die Duellanten daran erinnert, dass eigentlich Wahlkampf mit Betonung auf Kampf herrscht, raunt ein Mann hinter seiner Lesebrille: “Nicht die Politiker streiten sich heute, sondern die Moderatoren.” Schon ist ein konsensfähiges Thema gefunden: “Die Illner verdient ja viel mehr als Merkel”, sagt eine resolute Dame. Obwohl beide aus Ostdeutschland kämen. Ihr Nebenmann sieht die Chance für einen Lacher: “Und sie ist produktiver”, setzt er nach. Kichern.

Im Fernsehen geht es jetzt um Ulla Schmidt und die Gesundheitsreform. In der “Peitsche” geht es um ihren Dienstwagen. Als auch Steinmeier das Wort Dienstwagen in den Mund nimmt, frohlockt ein bärtiger Gast: “Eigentor!” Jetzt hat die Dame ihren Auftritt, die findet, dass die Kanzlerin zu wenig verdient. “Die SPD will Verhältnisse wie in der DDR schaffen”, sagt sie. “Alles soll gleich gemacht werden. Gemeinschaftsschulen, Krankenversicherung. Und die Börsensteuer, die trifft die kleinen Leute, die die Riester-Rente haben, nicht die Börsianer.”

Endlich versucht die Kanzlerin so etwas wie eine Offensive, greift die linke Flanke ihres Herausforderers an. Die SPD würde ja auch mit der Linken undsoweiter. In der Peitsche ist man zufrieden bis begeistert. “Jetzt kommt sie ja mal langsam, hat ja lange gedauert”, sagt Einer. “Super, gut”, sagt ein Anderer.

Dann setzt Steinmeier zum Schlusswort an, spricht direkt in die Kamera und damit direkt in die “Peitsche”. Er hebt an: “Aus der Krise…” Doch weiter kommt er nicht. “Nicht mit der SPD! “, stößt es aus einem Gast heraus. “Auswendiggelernt!”, ruft sein Nachbar. Es wirkt so, als würde ein Kind “Ätschi-Bätsch!” rufen, auch wenn es etwas anders klingt. Bei Merkels Schluss-Statement herrscht dann andächtige Stille. Als sie fertig ist, applaudieren die Gäste. Die Kanzlerin ist in der “Peitsche” die klare Siegerin. Auch wenn es dafür kein TV-Duell gebraucht hätte.

Text: Jens Christian Kage, Christian Salewski

siehe auch: Steinmerkel im TV

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