Wahlfahrt09 » Arbeitslosigkeit http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Wahlfahrt09 – das war’s http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlfahrt09-das-wars http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/#comments Mon, 28 Sep 2009 13:29:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3404

20090928_wahlfahrt09_reichstag

Foto: Jörn Neumann

DEUTSCHLAND. Deutschland vor der Wahl jenseits der politischen Ballungszentren erleben – die Wahlfahrt09 reiste in 50 Tagen durch 20 Orte im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands: Dabei führte die Tour über Eisenhüttenstadt hinunter nach Konstanz, über Leidingen nach Duisburg-Marxloh, in den hohen Norden nach Breitenfelde und Wismar, übers Wendland und schließlich nach Haldensleben in der Börde.

Am Wahlfahrt09-Stand zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt Haldensleben. Wochenlang haben wir gewartet, um 18 Uhr sind die Prognose und die ersten Hochrechnungen da: Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ein Passant mit Sonnenbrille und Eishörnchen kommentiert: “Also ich hab die nicht gewählt.” Auch das Team der Wahlfahrt09 ist überrascht – denn Menschen, die CDU und FDP nahe stehen, haben wir auf unserer 50-tägigen Reise durch 20 Orte kaum getroffen.

Ein Rückblick auf einen Wahlkampfbesuch auf dem Heumarkt in Köln vor zwei Wochen: An diesem Abend wird Steinmeier auftreten, schon am frühen Nachmittag prangt der überdimensionale SPD-Würfel auf dem leeren Platz. Die Volkspartei gibt sich modern und interaktiv: Die Jusos haben junge Frauen angestellt, die andere Frauen mit einem „Ich kann Aufsichtsrat“-Schild fotografieren. An einem Touchscreen lassen sich personalisierte Wahlkampfprogramme ausdrucken. Eine Hartz-IV-Empfängerin humpelt über den Platz. Nach zwei Bandscheibenvorfällen kann die ehemalige Fleischerin nicht mehr arbeiten. Sie will sich Steinmeier nicht ansehen, denn die Politiker, sagt sie, lügen doch alle.

Viele sehen keine Perspektive mehr

„Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben“, tönt Steinmeier am Abend auf dem Höhepunkt seiner Wahlrede. Es wirkt antrainiert, ein reiner Slogan. Selbst Stammwähler der Partei, die in einer Kneipe am Rand sitzen, überzeugt das nicht. In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 3,47 Millionen Arbeitslose, Tendenz steigend. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht in jedem Parteiprogramm – bei einigen auch gemeinsam mit dem kleinen Bruder der Vollbeschäftigung, dem Mindestlohn. Menschen wie die Fleischerin treffen wir oft auf der Wahlfahrt: Die sich von niemandem repräsentiert fühlen, die vieles verloren haben, die keine Perspektive mehr für sich sehen.

In Wismar sind durch die Schließung der Werft 1200 Menschen in Kurzarbeit. In Halle hat der Strukturwandel ganze Stadtteile entvölkert. Die Krise findet sich sogar in wohlhabenden Kommunen wie Konstanz – dort waren in diesem Jahr die Campingplätze ausgebucht, weil viele Deutsche kein Geld mehr für den Auslandsurlaub haben. Selbst in Wiesbaden mit seiner hohen Millionärsdichte stehen die Arbeitslosen trotz öffentlichem Trinkverbot in den Seitenstraßen.

Deutsche Problemecken

In Duisburg-Marxloh, wo türkische Brautmodenläden viele deutsche Geschäfte verdrängt haben, bevölkern vor allem Deutsche die „Problemecken“ des Stadtteils. So nennt der dortige CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland die deutschen Drogenabhängigen auf den Bänken am Marktplatz, die seit der Schließung der Fixerstube keinen Anlaufpunkt mehr haben. In der Marktklause gegenüber von unserem Stand sitzen schon früh morgens die Alkoholiker und trinken ihre Schnäpschen zu lauter 80er Jahre Schlagermusik. Zwischen denWahlkampfplakaten von Linkspartei und SPD hängen Schilder mit dem Slogan „Aufbau Duisburg statt Aufbau Ost“.

Diese Beobachtungen sind zum Teil natürlich auch dem Konzept der Wahlfahrt09 geschuldet: Wir parken an zentralen Plätzen der Stadt, arbeiten dort an Biertischen unter freiem Himmel. Natürlich treffen wir also vor allem Leute, die keinen Ort haben, an dem sie sein müssen: Arbeitslose, Rentner, Obdachlose. Ihre Probleme bekommen wir auf der Wahlfahrt09 besonders häufig mit. Viele sind unzufrieden: Sie bekommen zu wenig Rente, zu wenig Hartz IV, reden sich in Rage, werden laut, deuten mit Zeigefingern auf uns, wenn sie die Politiker beschimpfen, mal als Abzocker, mal als Lügner, mal als Verbrecher.

Aufbau Ost, Abbau West

Das ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten wie im Westen gleich. In Eisenhüttenstadt, wo seit der Wende tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind, wird gerade für 630 Millionen Euro ein neues Papierwerk gebaut, gefördert mit Mitteln der EU – ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade mal 600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Im niederfränkischen Hof leiden die Betriebe unter der Konkurrenz aus dem Osten, die noch gefördert wird – während im Westen, wo nichts zu fördern ist, das Problem der Arbeitslosigkeit viel stärker zu Tage tritt.

Dort lässt sich die Arbeitslosigkeit noch nicht einmal mit dem Versagen des Sozialismus erklären. Unsere Reise macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen und die Verwerfungen in der internationalen Arbeitsteilung viel weiter reichen, als es die Deutschen wahrhaben wollen. Mag sein, dass Deutschland Exportweltmeister ist, dass eine zukünftige Bildungsoffensive oder der Ausbau regenerativer Energien und grüner Technologien zukünftige Generationen beschäftigen wird – aber Hunderttausende sind im Hightechland überflüssig geworden. Sie sitzen jetzt in den Problemecken, lungern vor dem Supermarkt herum, sammeln Flaschen und durchwühlen Mülleimer.

Engagement und Gesicht zeigen

Doch es gibt auch Lichtblicke: Es kommen viele engagierte Menschen zum Wahlfahrt09-Stand. Sie arbeiten ehrenamtlich für Bürgerinitiativen, den städtischen Sicherheitsdienst in Görlitz oder als Sporttrainer im Wismarer Kanuverein. Menschen, die sich für konkrete Anliegen engagieren: Der Rentner, der sich für das deutsch-polnische Verhältnis in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec einsetzt und gegen die NPD Gesicht zeigt; der Azubi, der in seiner Freizeit im Bürgerradio die Spitzenkandidaten des Landtags interviewt oder die Studenten vom Postkult e.V. in Halle-Glaucha, die mit einem Gemeinschaftsgarten gegen den Leerstand in ihrem Stadtteil ankämpfen und die Bürger dort wieder zusammen bringen wollen. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, Rentner, Akademiker und Studenten.

Auf eine Bewegung der sozial Schwachen treffen wir aber nicht. Ein LKW-Fahrer, den wir auf einem Rastplatz trafen, drückte es so aus: „Wir könnten ja mal demonstrieren gehen. Aber dafür geht es uns wohl noch nicht schlecht genug.“ Nur einige Hartz-IV-Empfänger in Wiesbaden machen den Gegenangriff auf die öffentliche Wahrnehmung: Die „Initiative neue soziale Gerechtigkeit“ plakatiert alle zwei Wochen die Stadt mit schwarzweißen Postern, auf denen sie von Schikanen, Demütigungen und rechtswidriger Behandlung von Hartz IV-Empfängern sprechen und die Mitarbeiter zuständiger Behörden namentlich anprangern. Mehrheitsfähig sind sie mit ihrem umstrittenen Vorgehen aber nicht.

Ganz besonders leise sind die Frauen. Wir sprechen Passantinnen gezielt an, weil von selbst immer nur die Männer kommen. Sie sagen zwischen den Zeilen, dass sie in der Krise Besseres zu tun haben als zu politisieren. Wer soll sich um Kinder und Haushalt kümmern, wenn die Männer auf den Straßen abhängen? Wie das Überleben sichern? Manch eine gesteht, dass es ohne die Lebensmittelspenden von der Tafel nicht ginge.

Afghanistan, Europa und Außenpolitik sind kein Thema

Wohl auch, weil die Bundeswehr ein sicherer Arbeitgeber ist, gibt es von den Menschen, die im Bundeswehrstandort Sigmaringen leben, kaum Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nur selten gab es so etwas wie grimmige Solidarität und Unterstützung für “unsere Jungs da unten”. Für viele junge Männer sind die Bonuszahlungen für Auslandseinsätze eine willkommene Einnahmequelle, auch wenn nur wenige wirklich vom Sinn des Einsatzes überzeugt sind. Afghanistan ist ein Thema, das weder im Wahlkampf noch in unseren Gesprächen an vorderster Stelle stand. So war es auch mit anderen außenpolitischen Fragen, etwa wie Deutschland sich innerhalb Europas positioniert.

Aus der Perspektive der ausländischen Wahlbeobachter, die wir am Rande eines Wahlauftritts von Gregor Gysi in Halle trafen, ist besonders die wichtigste Frage im Wahlkampf ausgeklammert worden: Wie die Wirtschaftskrise und das Arbeitslosenproblem eigentlich konkret gelöst werden sollen, sobald die Wahl vorbei ist. Der Franzose Jay Rowell wundert sich: „Es müssen schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen.“ Offenbar gebe es einen Konsens, „diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen.“

Auch sein holländischer Kollege Ton Nijhuis wundert sich über den Wahlkampf: Wenn viele Menschen nicht daran glaubten, dass die Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, werde das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert: „Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.“

Die Wahlfahrt09-Analyse

Gleichzeitig fischt Gregor Gysi auf dem Hallenser Marktplatz nach Proteststimmen: „Selbst wenn Sie Grüne oder SPD wählen wollen – wenn Sie wollen, dass diese Parteien wieder sozialere Politik machen, müssen Sie die die Linke wählen.“ Protest wählen scheint vielen Menschen die letzte Lösung zu sein: Linkspartei, NPD oder ungültig stimmen.

Die politische Stimmung im Land, das ist das Fazit der Wahlfahrt, ist stark abhängig von der ganz persönlichen Lebenssituation der Menschen. Die Grünen wählen diejenigen, die unter Flugschneisen und in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben wohnen.

Und so betrachten wir am Ende unserer Reise das Wahlergebnis aus der Perspektive unserer Gesprächspartner: Zwar hat die Koalition aus CDU und FDP genug Stimmen bekommen, um das Land zu regieren. Aber nimmt man die rund 30 Prozent Nichtwähler und die vielen Protestwähler zusammen: Dann stehen hinter diesem Wahlergebnis vor allem Millionen Deutsche, die ein Gefühl eint: Keine Wahl gehabt zu haben.

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Die Wahl im internationalen Blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-wahl-im-internationalen-blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/#comments Thu, 24 Sep 2009 11:17:15 +0000 Lu Yen Roloff, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3384 GruppeWahlbeobachter bei GregorGysi

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Wir von der Wahlfahrt09 sind nicht die einzigen, die im Vorfeld der Bundestagswahl durch das Land reisen. Von unserer vorletzten Station Magdeburg machten wir einen kleinen Abstecher nach Halle, um dort ein internationales Wahlbeobachterteam zu treffen, das im Auftrag des Deutschen Akademischen Auslanddienstes unterwegs ist: 18 Wissenschaftler aus 18 Ländern, Politologen und Historiker mit dem Spezialgebiet Deutschland. Sie sind in Halle, um dem Wahlkampfabschluss der Linkspartei beizuwohnen und Gregor Gysis Rede zu hören. In den Tagen zuvor hörten sie bereits Renate Künast und Guido Westerwelle, den Wahltag erleben sie in Berlin – und werten dann die Reise gemeinsam aus. Vorab gaben uns die Wissenschaftler aus der Türkei, den Niederlanden, Frankreich, Argentinien, Polen und den USA schon eine kurze Zwischenbilanz ihrer Beobachtungen vor ihrem jeweiligen Hintergrund.

]]> http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/feed/ 0 “Integration zur Normalität machen” http://www.wahlfahrt09.de/orte/integration-zur-normalitat-machen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=integration-zur-normalitat-machen http://www.wahlfahrt09.de/orte/integration-zur-normalitat-machen/#comments Fri, 11 Sep 2009 21:43:37 +0000 Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=2487

Duisburg_Buergermeister

Foto: Milos Djuric

DUISBURG. Der Ruhrpott ist rot, Duisburg hat trotzdem einen CDU-Bürgermeister: OB Adolf Sauerland wurde am 30. August mit 44,6 Prozent im Amt bestätigt, viele mögen ihn und seine joviale Art – er fährt Motoroller statt Auto und hat im seinem Büro ein übergroßes Flugzeug-Modell der Boeing 747 namens “Duisburg”. Noch lieber zeigt er aber ein kleineres Modell des doppelstöckigen Airbus A380, der bald den gleichen Namen tragen soll.

Sie müssen als Duisburger Bürgermeister auch mit SPD-Kollegen zusammenarbeiten. Wie kommen Sie denn miteinander klar?

Ach, mit den Kollegen komm ich gut aus, aber da spielt auch die Parteipolitik kaum eine Rolle. Die Aufgabenstellung ist in den meisten Städten ähnlich. Da ist nicht viel Platz für Ideologien. Manche Städte haben noch Geld dafür, etwa Düsseldorf, aber wir schon lange nicht mehr.

Die rote Vergangenheit des Ruhrgebiets hat sich also erledigt?

Es gibt keine Stammwählerschaft mehr. Davon müssen sich alle Parteien freimachen, zumindest in der Kommunalpolitik ist das so. Natürlich gibt es Potenziale, die wir ansprechen müssen, und da ist Duisburg ohne Frage eine SPD-Stadt. Aber die SPD hat in Duisburg große Probleme, dieses Potenzial kommunalpolitisch in Wähler umzusetzen. Die Analyse sagt, dass die SPD 30% ihres Wählerpotenzials aktiviert hat, die CDU 70%. Und deswegen sind wir ungefähr gleich stark.

Aber die CDU hat gerade ihre Mehrheit im Stadtrat verloren…

Ja, aber auf was für einem Niveau! Ich mache Kommunalpolitik seit gut 30 Jahren, und dieses Niveau hätte ich mir damals nicht vorstellen können! Wir hatten damals immer knapp über zwanzig Prozent. Aber keine Frage, natürlich haben wir uns bei der letzten Wahl mehr versprochen.

Wie mobilisieren Sie?

Durch direkte Ansprache auch außerhalb des Wahlkampfes. Gerade ist Ramadan, und im Wahlkampf waren da viele Kommunalpolitiker unterwegs. Jetzt, seit den Wahlen am vergangenen Sonntag, bin nur noch ich unterwegs. Die Menschen wollen keinen Wahlkampf, sondern permanente Präsenz und Kommunikation mit der Politik. Und das wurde auch honoriert.

In Marxloh war das Ergebnis nicht so gut. Was muss die CDU dort machen?

Die Gegebenheiten des Ortes gut darstellen. In Obermarxloh wurde gesagt, das Ergebnis sei eine Katastrophe, und man kritisierte mich, weil ich mich angeblich zu sehr mit Türken zeige. Aber mein Ergebnis war dort 13 Prozent besser als das der CDU. Wer hat da Recht?

Also fremdelt die CDU mit Ihrer Integrationspolitik?

Was die CDU in fünf Jahren an Integration dazugelernt und an Potenzial entwickelt hat, ist schon enorm. Man sollte die Leute auch nicht überfordern. Jetzt haben wir sechs Jahre Zeit, das weiter zu entwickeln. Da wird sich einiges tun. Nordrhein-Westfalen hat jetzt einen Integrationsminister – das ist in der CDU nicht allen vermittelbar, aber es ist ein Zeichen! Das braucht alles etwas Zeit, aber wir sind auf einem guten Weg. Da sind für die CDU in Städten wie Duisburg richtig große Potenziale.

Welche Vorstellungen haben Sie für Duisburg, die Sie von der SPD abheben?

Wir müssen aus der Struktur einer Montanstadt raus. Aus Nostalgiegefühlen ist das okay, aber es ist nicht die Zukunft dieser Stadt. Die liegt auf anderen Feldern. Stahl ist wichtig für Duisburg, aber da wird es in Zukunft keine weiteren Arbeitsplätze geben. Wir müssen unsere Stadt attraktiver machen, uns zu einer Dienstleistungsstadt wandeln. Städtetourismus ist wichtig, das wird im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010 zum Thema. Das sind die Märkte der Zukunft.

Welches Projekt haben Sie als Oberbürgermeister im Auge?

Integration zur Normalität machen. Integration ist kein Problem, es ist ein Potenzial. Ein Problem sind die fehlenden Deutschkenntnisse. Seit fünf Jahren schicken wir Deutschlehrer in die Schulen, das sind meist türkischstämmige Jugendliche, Lehramtsanwärter, die auch die Sprache der Kinder sprechen. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass durch diese Sprachförderung nicht nur die Deutschnoten besser werden, sondern auch die in allen anderen Fächern. Jetzt verstehen sie, worüber in Mathematik geredet wird!

Und wie gehen Sie die Probleme in Stadtteilen wie Marxloh an?

Wenn Sie in Marxloh waren, am Bebelplatz, gucken Sie sich mal um. Einfach mal die Augen aufmachen, was sehen Sie da? Wer sitzt da in den Problemecken? Und wer nicht? Dann kommen Sie zu Erkenntnissen, die will ich Ihnen jetzt nicht vorwegnehmen – die sind schon interessant. Und so ist der Bezirk aufgestellt. Wenn ich das jetzt sagen würde, gibt es nur Kartoffeln von denjenigen, die die Wahrheit nicht hören wollen.

Können Sie es noch etwas mehr andeuten?

Wir haben die junge Bevölkerung. Wir haben die alte Bevölkerung. Und wir haben eine hoch sozial schwache Bevölkerung. Und gucken Sie sich das mal an, wer welchen Hintergrund hat. Mit oder ohne Migrationshintergrund. Sie werden das sofort sehen. Wir waren mit dem WDR da, die haben das gefilmt. Und haben über die Probleme von Migranten in Marxloh gesprochen, und ich habe denen gesagt: Gucken Sie sich das einfach nur mal an. Welches Problem sehen Sie hier?

[Anm. d. Red: Wir sind dieser Frage mit einem Video nachgegangen, offenbar meinte OB Sauerland, dass nicht die Migranten, sondern arbeitslose Deutsche das Problem darstellen]

Wie wollen Sie diese Leute noch mitnehmen?

Wir müssen die mitnehmen! Wir müssen versuchen, Angebote so zu gestalten, dass die nicht sich übergangen sehen, dass die nicht Outsider der Gesellschaft sind. Da brauchen wir staatliche Angebote, da brauchen wir Gelder, um die mitnehmen zu können. Und wir brauchen eine Diskussion um Sozialgesetzgebung. Aber die muss ich nicht führen, das müssen die im Bundestag machen.

Interview: Lena Brochhagen, Malte Göbel

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Auf der Suche nach Problem-Ecken in Duisburg-Marxloh http://www.wahlfahrt09.de/orte/problem-ecken-in-duisburg-marxloh/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=problem-ecken-in-duisburg-marxloh http://www.wahlfahrt09.de/orte/problem-ecken-in-duisburg-marxloh/#comments Fri, 11 Sep 2009 16:47:48 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=2612 DUISBURG. Der Duisburger Oberbürgermeister sprach im Interview mit Wahlfahrt-Reporter Malte Göbel in kryptischen Andeutungen über “Problem-Ecken” in Marxloh – die Probleme dort würden offensichtlich, wenn man nur hinsehe, wer da so sitze und wer nicht. Also gingen wir hin und fragten nach.

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„Münte merk’ dir gut: Rentner verarscht man nicht“ http://www.wahlfahrt09.de/orte/%e2%80%9emunte-merk%e2%80%99-dir-gut-rentner-verarscht-man-nicht%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259emunte-merk%25e2%2580%2599-dir-gut-rentner-verarscht-man-nicht%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/orte/%e2%80%9emunte-merk%e2%80%99-dir-gut-rentner-verarscht-man-nicht%e2%80%9c/#comments Thu, 13 Aug 2009 16:45:54 +0000 Kathleen Fietz http://www.wahlfahrt09.de/?p=817

Von Kathleen Fietz (Audio) und Michael Bennett (Foto)

Eisenhüttenstadt. Sie geben nicht auf: Jeden Montag protestieren Eisenhüttenstädter gegen Hartz IV. Und das seit fünf Jahren. Waren es anfangs noch Hunderte, kämpft heute nur noch ein Dutzend Demonstranten für ein sozialeres Deutschland.

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Politikfreie Zone an der Eisenhütte http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/politikfreie-zone-an-der-eisenhutte/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=politikfreie-zone-an-der-eisenhutte http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/politikfreie-zone-an-der-eisenhutte/#comments Thu, 13 Aug 2009 08:19:09 +0000 Kathleen Fietz http://www.wahlfahrt09.de/?p=243 Erschienen auf Spiegel Online am 13. August 2009

BLICK AUFS WERK ÜBER LINDENALLEE

Foto: Michael Bennett

EISENHÜTTENSTADT. Sechs Wochen bis zur Bundestagswahl, doch in der ehemaligen sozialistischen Vorzeigestadt ist davon nichts zu spüren. Politik bewegt hier kaum noch jemanden. Resigniert beobachten die Eisenhüttenstädter, wie ihre Stadt auf Kurzarbeit gesetzt wird – und systematisch schrumpft.

“Eisenhüttenstadt ist ein Labor, ein Menschenversuch gewesen”, sagt Ben Kaden und macht von oben ein Foto vom Rathaus, einem riesigen Komplex, das an faschistische italienische Baukunst erinnert. Vom Dach eines ehemaligen Kaufhauses, vier Stockwerke über der Stadt, hat man den besten Überblick.

Die erste sozialistische DDR-Planstadt ist inzwischen wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand des 33-jährigen Stadtsoziologen in Cordhose und blauen Humboldt-Uni-Shirt. Er lebt zur Zeit in Berlin, kehrt aber immer wieder in die Stadt zurück, in der er aufgewachsen ist, und schreibt in seinem Stadtblog über die Geschichte und die neuesten soziologischen Entwicklungen seiner alten Heimat.

Direkt vor dem Ex-Kaufhaus verläuft die Lindenallee, die das Rathaus mit dem eigentlichen Herzen der Stadt verbindet: dem Stahlwerk, das bis heute für alle wie in DDR-Zeiten nur EKO für Eisenhüttenkombinat Ost heißt. An den Straßenlaternen der Allee sind sieben Wochen vor der Bundestagswahl kaum Wahlplakate zu sehen.

Ben Kaden schreibt in seinem Blog: “Demnächst geht es wieder um die Wurst namens Bundestag und die Butter der Wählerstimmen und -stimmungen, die sich die Partei gegenseitig vom Brot nehmen wollen. Dies allerdings, so der Eindruck, nicht unbedingt in Eisenhüttenstadt, das als weitgehend wahlkampffreie Zone die müßige Sommerlaune zwischen Kiesgrube und Kleingartenarbeit genießt.”

Für den gebürtigen Eisenhüttenstädter ist die in der Modellstadt besonders intensive sozialistische Prägung dafür verantwortlich, dass sich kaum jemand politisch engagiert. Vor allem die Alten hier haben die Stadt um das Hüttenwerk mit aufgebaut. Standen hinter ihrer Vorzeigestadt für die Arbeiterklasse, in der die Idee eines besseren Lebens verwirklicht werden sollte.

Die Träume von damals sind in der Wand der Rathausvorhalle verewigt. “Unser neues Leben” heißt das große Natursteinmosaik des DDR-Staatskünstlers Walter Womacka. Es zeigt in DDR-Agitations-Manier den Weg von Steine klopfenden Trümmerfrauen über hämmernde Männer, die das Stahlwerk aufbauen, bis hin zum Paradies: Dort sieht man lachende Frauen mit spielenden Kindern. “Man wollte das Ideal eines besseren Lebens verwirklichen. Aber die Wirklichkeit hielt dem Anspruch nicht stand. Als die Arbeiterstadt gebaut war, hat sie das Utopistische verloren” sagt Kaden und deutet auf die vielen Friedenstauben im Mosaik. Neben den glücklichen Frauen und Kindern sind im sozialistischen Garten Eden keine Männer zu sehen.

“So viele Schichten, wie wir geschoben haben”

Dafür aber im gegenüberliegenden Imbiss “Automat”. Zwei von ihnen sitzen unter einem Sonnenschirm, einer vorm Bier, der andere vor einem Kaffee, und gucken den Autos auf der Straße der Republik hinterher. Was bewegt die Stadt gerade am meisten? “Die Kurzarbeit in der EKO und dass so viele von hier abgehauen sind und nun ganze Wohnkomplexe abgerissen werden”, erzählt einer der beiden. Sein weißes Hemd, die Goldkette und die Frisur – oben kurz, hinten lang – erinnert an die 80er Jahre. Lokbauer sei er früher bei der EKO gewesen, doch als er seinen Job verlor und ihn seine Frau verließ, habe er sich mit dem Alkohol verbrüdert. “Aber ich hab’ mich da wieder rausgezogen, arbeite jetzt als Fahrer bei der Stadt”, sagt er und wird unterbrochen von dem anderen Gast. “Was erzählt du denn für’n Scheiß, was redest du überhaupt mit denen”, schreit der plötzlich vor seinem Bier. “Ich will erzählen, dass wir was geleistet haben hier in der Stadt. Ich auf der Lok und du doch auch. So viele Schichten, wie wir geschoben haben.”

Von den 13.000 Arbeitern von damals arbeiten heute nur noch knapp 3000 im Stahlwerk, das inzwischen nach dem internationalen Mutterkonzern “ArcelorMittal” umbenannt wurde. Viele von denen, die in den Nachwendejahren ihre Arbeit verloren haben, hatten nicht so ein Glück wie der ehemalige Lokbauer – und sind schon mittags in den Imbissen der Stadt anzutreffen.

IMBISS AUTOMAT IN DER STRAßE DER REPUBLIK

Foto: Michael Bennett

Der Blogger Kaden fährt mit seinem Auto vorbei an den ersten Wohnkomplexen, die in den fünfziger und sechziger Jahren rund um das Hüttenwerk gebaut wurden. Die sand- und rosafarbenen klassizistischen Prachtbauten im sogenannten stalinistischen Zuckerbäckerstil bilden heute das größte deutsche Flächendenkmal. Ein krasser Gegensatz zu den später hochgezogenen Plattenbaukomplexen, die ein Stück weiter entfernt vom Stadtkern entfernt liegen.

Kaden legt eine DDR-Aufnahme eines Kinderhörspiel von Paul Hindemith ein. “Wir bauen eine neue Stadt, die soll die allerschönste sein”, singt der Kinderchor, während der Wagen durch die halb untergegangenen Stadtteile fährt, in deren Häusern oft nur noch ein paar Wohnungen bewohnt sind. Zwischendrin immer wieder Brachland, wo bereits Ende der Neunziger Häuser abgerissen wurde; längst ist dort schon wieder Gras über die leeren Flächen gewachsen.

“Zu DDR-Zeiten wollten alle nach Eisenhüttenstadt wegen der Neubauten”, erzählt eine Eisenhüttenstädterin, die mit Lockenwicklern im “Hier Hair” sitzt. Wie eine letzte Bastion wirkt der Friseursalon mit seinem grellgelben Ladenschild im Erdgeschoss des grau- und altrosafarbenen Plattenbaus, in dem kaum noch Gardinen an den Fenstern hängen. In spätestens zwei Jahren soll auch dieser Komplex abgerissen werden, die Stadt kann sich den Leerstand nicht leisten. 1988 haben hier 53.000 Menschen gelebt, heute sind es rund 20.000 weniger. “Wenn ich hier weg muss, kann ich dichtmachen. Meine ganze Kundschaft wohnt hier, und meine Mädels verlieren ihre Arbeit, wir müssen doch auch ein paar Junge in der Stadt halten”, sagt die Besitzerin Monika Langkabel.

“Der Werner ist seit 19 Jahren im Amt”

Zwei Friseurinnen hat sie ausgebildet, in drei Jahren will sie aufhören, und die beiden sollen den Salon übernehmen. Fragt man die Friseurmeisterin nach den bevorstehenden Wahlen, ist das 130 Kilometer entfernte Berlin weit, denn am selben Tag ist in der Stadt Bürgermeisterwahl. “Der Werner ist seit 19 Jahren im Amt, der bleibt bestimmt auch”, sagt sie. Vor ein paar Tagen hatte sie einen Termin bei dem SPD-Mann, nach den Linken bilden die Sozialdemokraten die zweitstärkste Fraktion im Stadtrat. Über den geplanten Abriss ihres Salons hat sie mit ihm gesprochen. Nett sei er gewesen, versprochen habe er nichts.

“Man muss die Bevölkerung mehr einbeziehen”, schimpft sie. In Schwedt, einer anderen ehemaligen DDR-Planstadt, in der sie früher auch ein paar Jahre gelebt hat, hat man die Plattenbauten nicht einfach abgerissen, sondern die oberen Stockwerke abgetragen und so die zusammengewachsenen Hausgemeinschaften erhalten. “Na man muss Optimist bleiben in dieser Stadt”, sagt die Friseurin, während sie ihrer Kundin die aufgerollten Haare mit einer nach Ammoniak riechenden Lösung betupft.

PÄRCHEN

Foto: Michael Bennett

Ben Kaden fährt zurück in die Lindenallee, wo sich auf dem Theatervorplatz zehn Eisenhüttenstädter zu einer Montagsdemo treffen. Eine Mittfünfzigerin mit rot gefärbten Haaren singt über Lautsprecher: “Wenn Münte sagt, die Rente steigt jetzt gut/dann fühl ich wie jetzt kocht in mir das Blut/nicht mal ein Prozent ist wie ‘n Schlag ins Gesicht/Münte merk dir gut, Rentner verarscht man nicht!” Seit genau fünf Jahren stehen sie jeden Montag hier und träumen von einer sozialeren Welt.

“Die Demo entspringt eher dem Trotz, den Regierenden eins auszuwischen, als sich im jetzigen System politisch einzubringen”, sagt Ben Kaden.

Am Ende der Allee legt sich die Abenddämmerung über die Hochöfen.



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