Wahlfahrt09 » Arbeit http://www.wahlfahrt09.de Mon, 03 May 2010 15:28:35 +0000 en hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.2.1 Wahlfahrt09 – das war’s http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wahlfahrt09-das-wars http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/#comments Mon, 28 Sep 2009 13:29:07 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3404

20090928_wahlfahrt09_reichstag

Foto: Jörn Neumann

DEUTSCHLAND. Deutschland vor der Wahl jenseits der politischen Ballungszentren erleben – die Wahlfahrt09 reiste in 50 Tagen durch 20 Orte im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands: Dabei führte die Tour über Eisenhüttenstadt hinunter nach Konstanz, über Leidingen nach Duisburg-Marxloh, in den hohen Norden nach Breitenfelde und Wismar, übers Wendland und schließlich nach Haldensleben in der Börde.

Am Wahlfahrt09-Stand zwischen den Fachwerkhäusern der Altstadt Haldensleben. Wochenlang haben wir gewartet, um 18 Uhr sind die Prognose und die ersten Hochrechnungen da: Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ein Passant mit Sonnenbrille und Eishörnchen kommentiert: “Also ich hab die nicht gewählt.” Auch das Team der Wahlfahrt09 ist überrascht – denn Menschen, die CDU und FDP nahe stehen, haben wir auf unserer 50-tägigen Reise durch 20 Orte kaum getroffen.

Ein Rückblick auf einen Wahlkampfbesuch auf dem Heumarkt in Köln vor zwei Wochen: An diesem Abend wird Steinmeier auftreten, schon am frühen Nachmittag prangt der überdimensionale SPD-Würfel auf dem leeren Platz. Die Volkspartei gibt sich modern und interaktiv: Die Jusos haben junge Frauen angestellt, die andere Frauen mit einem „Ich kann Aufsichtsrat“-Schild fotografieren. An einem Touchscreen lassen sich personalisierte Wahlkampfprogramme ausdrucken. Eine Hartz-IV-Empfängerin humpelt über den Platz. Nach zwei Bandscheibenvorfällen kann die ehemalige Fleischerin nicht mehr arbeiten. Sie will sich Steinmeier nicht ansehen, denn die Politiker, sagt sie, lügen doch alle.

Viele sehen keine Perspektive mehr

„Wir dürfen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgeben“, tönt Steinmeier am Abend auf dem Höhepunkt seiner Wahlrede. Es wirkt antrainiert, ein reiner Slogan. Selbst Stammwähler der Partei, die in einer Kneipe am Rand sitzen, überzeugt das nicht. In ganz Deutschland gibt es zur Zeit 3,47 Millionen Arbeitslose, Tendenz steigend. Die Schaffung von Arbeitsplätzen steht in jedem Parteiprogramm – bei einigen auch gemeinsam mit dem kleinen Bruder der Vollbeschäftigung, dem Mindestlohn. Menschen wie die Fleischerin treffen wir oft auf der Wahlfahrt: Die sich von niemandem repräsentiert fühlen, die vieles verloren haben, die keine Perspektive mehr für sich sehen.

In Wismar sind durch die Schließung der Werft 1200 Menschen in Kurzarbeit. In Halle hat der Strukturwandel ganze Stadtteile entvölkert. Die Krise findet sich sogar in wohlhabenden Kommunen wie Konstanz – dort waren in diesem Jahr die Campingplätze ausgebucht, weil viele Deutsche kein Geld mehr für den Auslandsurlaub haben. Selbst in Wiesbaden mit seiner hohen Millionärsdichte stehen die Arbeitslosen trotz öffentlichem Trinkverbot in den Seitenstraßen.

Deutsche Problemecken

In Duisburg-Marxloh, wo türkische Brautmodenläden viele deutsche Geschäfte verdrängt haben, bevölkern vor allem Deutsche die „Problemecken“ des Stadtteils. So nennt der dortige CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland die deutschen Drogenabhängigen auf den Bänken am Marktplatz, die seit der Schließung der Fixerstube keinen Anlaufpunkt mehr haben. In der Marktklause gegenüber von unserem Stand sitzen schon früh morgens die Alkoholiker und trinken ihre Schnäpschen zu lauter 80er Jahre Schlagermusik. Zwischen denWahlkampfplakaten von Linkspartei und SPD hängen Schilder mit dem Slogan „Aufbau Duisburg statt Aufbau Ost“.

Diese Beobachtungen sind zum Teil natürlich auch dem Konzept der Wahlfahrt09 geschuldet: Wir parken an zentralen Plätzen der Stadt, arbeiten dort an Biertischen unter freiem Himmel. Natürlich treffen wir also vor allem Leute, die keinen Ort haben, an dem sie sein müssen: Arbeitslose, Rentner, Obdachlose. Ihre Probleme bekommen wir auf der Wahlfahrt09 besonders häufig mit. Viele sind unzufrieden: Sie bekommen zu wenig Rente, zu wenig Hartz IV, reden sich in Rage, werden laut, deuten mit Zeigefingern auf uns, wenn sie die Politiker beschimpfen, mal als Abzocker, mal als Lügner, mal als Verbrecher.

Aufbau Ost, Abbau West

Das ist 20 Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten wie im Westen gleich. In Eisenhüttenstadt, wo seit der Wende tausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind, wird gerade für 630 Millionen Euro ein neues Papierwerk gebaut, gefördert mit Mitteln der EU – ein Tropfen auf den heißen Stein, gerade mal 600 neue Arbeitsplätze sollen entstehen. Im niederfränkischen Hof leiden die Betriebe unter der Konkurrenz aus dem Osten, die noch gefördert wird – während im Westen, wo nichts zu fördern ist, das Problem der Arbeitslosigkeit viel stärker zu Tage tritt.

Dort lässt sich die Arbeitslosigkeit noch nicht einmal mit dem Versagen des Sozialismus erklären. Unsere Reise macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen und die Verwerfungen in der internationalen Arbeitsteilung viel weiter reichen, als es die Deutschen wahrhaben wollen. Mag sein, dass Deutschland Exportweltmeister ist, dass eine zukünftige Bildungsoffensive oder der Ausbau regenerativer Energien und grüner Technologien zukünftige Generationen beschäftigen wird – aber Hunderttausende sind im Hightechland überflüssig geworden. Sie sitzen jetzt in den Problemecken, lungern vor dem Supermarkt herum, sammeln Flaschen und durchwühlen Mülleimer.

Engagement und Gesicht zeigen

Doch es gibt auch Lichtblicke: Es kommen viele engagierte Menschen zum Wahlfahrt09-Stand. Sie arbeiten ehrenamtlich für Bürgerinitiativen, den städtischen Sicherheitsdienst in Görlitz oder als Sporttrainer im Wismarer Kanuverein. Menschen, die sich für konkrete Anliegen engagieren: Der Rentner, der sich für das deutsch-polnische Verhältnis in der Grenzstadt Görlitz-Zgorzelec einsetzt und gegen die NPD Gesicht zeigt; der Azubi, der in seiner Freizeit im Bürgerradio die Spitzenkandidaten des Landtags interviewt oder die Studenten vom Postkult e.V. in Halle-Glaucha, die mit einem Gemeinschaftsgarten gegen den Leerstand in ihrem Stadtteil ankämpfen und die Bürger dort wieder zusammen bringen wollen. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, Rentner, Akademiker und Studenten.

Auf eine Bewegung der sozial Schwachen treffen wir aber nicht. Ein LKW-Fahrer, den wir auf einem Rastplatz trafen, drückte es so aus: „Wir könnten ja mal demonstrieren gehen. Aber dafür geht es uns wohl noch nicht schlecht genug.“ Nur einige Hartz-IV-Empfänger in Wiesbaden machen den Gegenangriff auf die öffentliche Wahrnehmung: Die „Initiative neue soziale Gerechtigkeit“ plakatiert alle zwei Wochen die Stadt mit schwarzweißen Postern, auf denen sie von Schikanen, Demütigungen und rechtswidriger Behandlung von Hartz IV-Empfängern sprechen und die Mitarbeiter zuständiger Behörden namentlich anprangern. Mehrheitsfähig sind sie mit ihrem umstrittenen Vorgehen aber nicht.

Ganz besonders leise sind die Frauen. Wir sprechen Passantinnen gezielt an, weil von selbst immer nur die Männer kommen. Sie sagen zwischen den Zeilen, dass sie in der Krise Besseres zu tun haben als zu politisieren. Wer soll sich um Kinder und Haushalt kümmern, wenn die Männer auf den Straßen abhängen? Wie das Überleben sichern? Manch eine gesteht, dass es ohne die Lebensmittelspenden von der Tafel nicht ginge.

Afghanistan, Europa und Außenpolitik sind kein Thema

Wohl auch, weil die Bundeswehr ein sicherer Arbeitgeber ist, gibt es von den Menschen, die im Bundeswehrstandort Sigmaringen leben, kaum Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Nur selten gab es so etwas wie grimmige Solidarität und Unterstützung für “unsere Jungs da unten”. Für viele junge Männer sind die Bonuszahlungen für Auslandseinsätze eine willkommene Einnahmequelle, auch wenn nur wenige wirklich vom Sinn des Einsatzes überzeugt sind. Afghanistan ist ein Thema, das weder im Wahlkampf noch in unseren Gesprächen an vorderster Stelle stand. So war es auch mit anderen außenpolitischen Fragen, etwa wie Deutschland sich innerhalb Europas positioniert.

Aus der Perspektive der ausländischen Wahlbeobachter, die wir am Rande eines Wahlauftritts von Gregor Gysi in Halle trafen, ist besonders die wichtigste Frage im Wahlkampf ausgeklammert worden: Wie die Wirtschaftskrise und das Arbeitslosenproblem eigentlich konkret gelöst werden sollen, sobald die Wahl vorbei ist. Der Franzose Jay Rowell wundert sich: „Es müssen schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, wie der Haushalt saniert werden soll, durch Kürzungen oder Steuererhöhungen.“ Offenbar gebe es einen Konsens, „diese schmerzhafte Zukunft nicht anzusprechen.“

Auch sein holländischer Kollege Ton Nijhuis wundert sich über den Wahlkampf: Wenn viele Menschen nicht daran glaubten, dass die Politik die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, werde das von den Wahlforschern als „Politikverdrossenheit“ interpretiert: „Ich würde sagen, das ist Realismus erwachsener Bürger, die genau wissen, dass man viele Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einhalten kann.“

Die Wahlfahrt09-Analyse

Gleichzeitig fischt Gregor Gysi auf dem Hallenser Marktplatz nach Proteststimmen: „Selbst wenn Sie Grüne oder SPD wählen wollen – wenn Sie wollen, dass diese Parteien wieder sozialere Politik machen, müssen Sie die die Linke wählen.“ Protest wählen scheint vielen Menschen die letzte Lösung zu sein: Linkspartei, NPD oder ungültig stimmen.

Die politische Stimmung im Land, das ist das Fazit der Wahlfahrt, ist stark abhängig von der ganz persönlichen Lebenssituation der Menschen. Die Grünen wählen diejenigen, die unter Flugschneisen und in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers in Gorleben wohnen.

Und so betrachten wir am Ende unserer Reise das Wahlergebnis aus der Perspektive unserer Gesprächspartner: Zwar hat die Koalition aus CDU und FDP genug Stimmen bekommen, um das Land zu regieren. Aber nimmt man die rund 30 Prozent Nichtwähler und die vielen Protestwähler zusammen: Dann stehen hinter diesem Wahlergebnis vor allem Millionen Deutsche, die ein Gefühl eint: Keine Wahl gehabt zu haben.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/wahlfahrt09-das-wars/feed/ 0
Die Wahl im internationalen Blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=die-wahl-im-internationalen-blick http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/#comments Thu, 24 Sep 2009 11:17:15 +0000 Lu Yen Roloff, Malte Göbel http://www.wahlfahrt09.de/?p=3384 GruppeWahlbeobachter bei GregorGysi

Foto: Jörn Neumann

HALLE. Wir von der Wahlfahrt09 sind nicht die einzigen, die im Vorfeld der Bundestagswahl durch das Land reisen. Von unserer vorletzten Station Magdeburg machten wir einen kleinen Abstecher nach Halle, um dort ein internationales Wahlbeobachterteam zu treffen, das im Auftrag des Deutschen Akademischen Auslanddienstes unterwegs ist: 18 Wissenschaftler aus 18 Ländern, Politologen und Historiker mit dem Spezialgebiet Deutschland. Sie sind in Halle, um dem Wahlkampfabschluss der Linkspartei beizuwohnen und Gregor Gysis Rede zu hören. In den Tagen zuvor hörten sie bereits Renate Künast und Guido Westerwelle, den Wahltag erleben sie in Berlin – und werten dann die Reise gemeinsam aus. Vorab gaben uns die Wissenschaftler aus der Türkei, den Niederlanden, Frankreich, Argentinien, Polen und den USA schon eine kurze Zwischenbilanz ihrer Beobachtungen vor ihrem jeweiligen Hintergrund.

]]> http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/die-wahl-im-internationalen-blick/feed/ 0 „Der Europagedanke ist in Deutschland in der Krise“ http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%e2%80%9c/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=%25e2%2580%259eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%25e2%2580%259c http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%e2%80%9c/#comments Thu, 24 Sep 2009 10:23:35 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3378 RuchniewiczFoto: Jörn Neumann

HALLE. Krzysztof Ruchniewicz ist Professor für Zeitgeschichte am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw und beschäftigt sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen und Fragen der Europäischen Integration. Er koordiniert auch das deutsch-polnische Schulbuchprojekt, das Frank Walter Steinmeier als Außenminister angestoßen hat.

„Ich spreche hier viel über die deutsch-polnische Nachbarschaft und unser Verhältnis. Die NPD macht in deutschen Städten an der polnischen Grenze einen stark polenfeindlichen Wahlkampf. Jede polnische Zeitung, jedes polnische Medium berichtet darüber. Die Empörung ist groß, dass die deutschen Gerichte entschieden haben, dass diese Plakate nicht abgehängt werden dürfen. Gleichzeitig wird in der polnischen Presse aber betont, dass es nicht nur eine polnische Gegenreaktion auf diese Plakate gibt, sondern auch auf der deutschen Seite Initiativen entstehen, die sich dagegen wenden. Das bemerkt selbst die nationalkonservative Presse. Es herrscht eine größere Sensibilität auf beiden Seiten vor, und das zeigt, dass das nachbarschaftliche Verhältnis besser geworden ist.

Komisch ist jedoch, dass die Deutschen im Wahlkampf das Thema Europa nicht ansprechen. Polen wurde von Deutschland beim Natobeitritt und beim EU-Beitritt sehr unterstützt. Nun scheint eine Krise eingetreten zu sein, weil man nicht weiß, wie es in Deutschland mit dem Europa-Gedanken weitergehen soll. Was bedeutet das für Deutschland, sind da alle europäischen Fragen erfüllt, oder gibt es neue Fragen, die uns in der Zukunft stärker beschäftigen? Zum Beispiel der Klimaschutz oder die Frage der Energie. Es wäre wichtig, dass man dieses Thema nicht auf das deutsch-russische Verhältnis reduziert, sondern als eine gemeinsame Frage für die Europapolitik begreift. Stellt Deutschland die europäische Perspektive jetzt zurück und handelt stärker bilateral? Eine Fülle von Fragen, die in diesem Wahlkampf nicht thematisiert werden.

Mir fällt auch auf, dass sehr viele Menschen unzufrieden sind, sie bezeichnen etwa Zeitarbeit als verdeckte Arbeitslosigkeit, sprechen über HartzIV. Diese Themen irritieren die Leute. Manche kritisieren den Verfall der Werte, die Diskrepanz zwischen dem, was Politiker sagen und dem, was sie tun. Das hört man, wenn man am Biertisch sitzt und ein bißchen plaudert. Eine Partei wie die Linke, die sich um solche Themen kümmert, hätte in Polen aber keine Chance. Das hängt mit unserer Geschichte des Postkommunismus zusammen, man hat gelernt, kritisch auf die kommunistische Vergangenheit zu sehen, und da kann man nicht die Augen vor verschließen. Die Linke hatte bei uns in den letzten Jahren keinen großen Zulauf.

Wir Polen beneiden dieDeutschen um ihr Sozialsystem, angefangen von der ärztlichen Versorgung bis hin zur Arbeitslosenversorgung. Das haben wir noch nicht erreicht.“

Der Amerikaner – “Die Deutschen lieben Obama, aber hassen Amerika”

Der Holländer – “Den Niedergang der Volksparteien haben wir schon hinter uns”

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/geschichten/%e2%80%9eder-europagedanke-ist-in-deutschland-in-der-krise%e2%80%9c/feed/ 0
Schiffbruch für die Politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=schiffbruch-fur-die-politik http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/#comments Sun, 20 Sep 2009 23:49:23 +0000 Lu Yen Roloff http://www.wahlfahrt09.de/?p=3166 HAfen

Foto: Lu Yen Roloff

WISMAR. Deutschlandweit ist die Werftindustrie von der Wirtschaftskrise betroffen. Die Wismarer Wadanwerft ging im September insolvent. Seither sind in der Stadt 1200 Menschen vorrübergehend bei staatlichen Transfergesellschaften beschäftigt, das Werftgelände stillgelegt. Kurz vor der Wahl wurde nun die Werft an den russischen Investor Igor Jussufow verkauft. Wie kommt der Wahlkampf bei den Wismarern in dieser Situation an?

Wismar, die alte Hansestadt an der Ostsee. Touristengruppen schlendern langsam über den Marktplatz, auf dem die Wahlfahrt09 ihren Stand aufgebaut hat. Dass Wahlkampf ist, sieht man nicht – die Stadt, deren Zentrum zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, hat sich, wie es in der Pressestelle heißt, aus „ästhetischen Gründen“ gegen jede Form von Werbung im historischen Zentrum entschieden. Erst in der so genannten „Welterbe-Pufferzone“ am Hafen beginnen die Plakatierungen der Parteien.
Wahlkampf fände in Wismar praktisch nicht statt, sagt auch Katharina Glücklich, Besitzerin eines kleinen Cafes in der Wismarer Altstadt. „Vielleicht werden mal irgendwo ein paar Fähnchen verteilt, mehr aber auch nicht.“ Generell sei die Stimmung jedoch wieder besser in der Stadt, seitdem der russische Investor Igor Jussufow die Werft für 40 Mio Euro gekauft habe. Laut Schätzungen der IG Metall Küste sollen von den rund 1200 Arbeitsplätzen in Wismar die Hälfte erhalten bleiben. Doch momentan liegt die Montagehalle der Wadan-Werft brach. Nur fünf Sicherheitsleute bewachen das Gelände, die anderen Mitarbeiter warten zuhause darauf, wie es weitergehen soll. Wie kann Wahlkampf in dieser Situation stattfinden? Und was denken die Wismarer Bürger über die Krise? Das Team der Wahlfahrt09 schwärmte in die Stadt aus und sprach mit den Wismarern über ihre Situation.

Wismar_Portraits-3

Foto: Milos Djuric

Der stellvertretende Bürgermeister

Die Wege der kommunalen Politik in Wismar sind kurz und unbürokratisch. Ob die Oberbürgermeisterin von Wismar Rosemarie Wilcken (SPD) zu sprechen sei, wollte die Wahlfahrt telefonisch vom Pressesprecher der Stadt wissen. Der winkte aus seinem Bürofenster im dritten Stock des Rathauses den Wahlfahrern auf dem Marktplatz zu. Nein, Frau Wilcken sei leider verhindert, aber ihr Stellvertreter Thomas Beyer (SPD) sei da. Etwa eine halbe Stunde später kommt Beyer strammen Schrittes über den Marktplatz gelaufen und setzt sich zum Gespräch ans den Stand. Die Werftinsolvenz sei ein Schock für die Stadt gewesen, andererseits hätte Wismar schon mehrere Werftenkrisen überstanden, sagt er. In so einer Situation müssten sich die Parteien jetzt anstrengen, bei der Bevölkerung von Wismar zu landen. Besonders der Wahlkampf sei schwer: “Das Misstrauen der Leute gegenüber einfachen politischen Parolen ist zu spüren.“ Große Wahlkampf-Veranstaltungen würden erfahrungsgemäß gar nicht funktionieren. Auch könne ein Wahlkämpfer um die derzeitige wirtschaftliche Unsicherheit der Stadt nicht herumreden: „Die Leute wollen konkrete Aussagen, was aus dem Standort Wismar wird. Es bringt nichts, den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen.“ Dennoch gibt er sich zuversichtlich: „Wir sind krisenerprobt. Die Stadt ist robust und wir können auf die Erfahrung aufbauen, dass sich Engagement lohnt.” Lena Gürtler und Christian Salewski

werftarbeiter site

Foto: Lu Yen Roloff

Der arbeitslose Schiffbauer

Zischend landen die Würste auf dem Grill vor den alten Kanuschuppen. Seit er arbeitslos ist, verbringt Thomas Fischer viel Zeit in seinem Kanuverein in Wendorf – Kinder trainieren, mit Freunden grillen, selbst aufs Meer rauspaddeln – alles, damit ihm nicht die Decke auf den Kopf fällt. Fischer erinnert sich an seine letzte Nachtschicht in der Montagehalle am 31. Juli. Die Fähre lag zu 85 % fertig im Wasser, am Bug der Schriftzug „Make good times“. In den versteckten Nischen unter Deck habe der ein oder andere ein Nickerchen gehalten – man war ohnehin nur noch pro forma da. Am Schichtende erfuhr Fischer, dass er am nächsten Tag nicht wiederkommen brauche: „Die hatten schlichtweg vergessen, uns Bescheid zu sagen“. Wie viele ehemalige Werftarbeiter wartet Fischer seither auf einen Brief der mit 20,5 Millionen Euro vom Land Mecklenburg-Vorpommern finanzierten Transfergesellschaft, wie es weitergehen soll. Er versuche, Kontakt zu anderen Arbeitslosen zu halten, gehe zu Veranstaltungen der IG Metall. Es gingen viele Gerüchte unter den ehemaligen Arbeitern herum: Dass bereits eine Liste feststünde mit 200 Personen, die wieder beschäftigt werden sollen. „Die Alten und Kranken, die werden aussortiert, klar.“ Fischer hofft auf gute Karten, schließlich sei er erst 40 Jahre alt. Doch Fischer denkt wie viele andere Wismarer, dass der neue russische Besitzer nur Know-How für die vom Unternehmen geplante Werft in St. Petersburg abziehen wolle: „Das wäre dann der Untergang für Wismar“. Die Politik interessiere sich nicht für die Werftarbeiter, ist sein Gefühl: “Opel ist der Regierung wichtiger gewesen.“ Und letztendlich könne sie auch nichts machen: „Die Firma ist Privatbesitz, der kann doch damit machen, was er will.“ Fischer wird die Linke wählen: „Momentan muss Deutschland einfach wachgerüttelt werden – und das kann weder die SPD noch die CDU.“ Lu Yen Roloff

Direktor

Foto: Lu Yen Roloff

Der ehemalige Direktor der Werft

Kleingartenkolonie „Hafenblick“ im Wismarer Stadtteil Wendorf. Dahinter ragt die große Montagehalle der stillgelegten Werft auf. Drei lang verheiratete Ehepaare sitzen bei Zwiebelkuchen und Bier in der Herbstsonne, darunter auch der ehemalige zweite Direktor der Werft. Der Senior kann eisern und mit verschränkten Armen über seinen Namen und seine früheren Aufgaben schweigen, „wegen meiner Frau“, wie er sagt. Die Werft sei zwar seit der Wende immer wieder in der Krise gewesen – aber die jetzige Stilllegung habe eine neue Qualität.
Doch der Wahlkampf gehe wenig auf die aktuelle Krise ein: „Die Plakate sind groß genug, was die wollen, steht drauf – aber was sie am Ende machen können, das kommt dann nach der Wahl“. Er erinnert sich gerne an die Zeit, als die Werft in Wismar nach 1946 als Schiffsreparaturbetrieb der Roten Armee aufgebaut wurde und die Einwohnerzahl der Stadt innerhalb von zehn Jahren von 42.000 auf 55.000 Menschen wuchs. Vor der Privatisierung beschäftigte die Werft noch 6000 Menschen, die Mitarbeiter produzierten auch den Strom und führten jede Reparatur selbst aus: „Davon brauchten wir 1000 Leute gar nicht“, sagt der ehemalige Direktor, „aber wir haben die so mitarbeiten lassen, die waren eingebunden.“ Statt den Menschen Hartz IV zu zahlen, sollte man doch wie damals den Betrieben das Geld geben – und dann eine Arbeitspflicht einführen. Er verschränkt die Arme: „Engels muss man nicht neu erfinden.“ Am Tisch ist man sich einig: „Wir gehen nur zur Wahl, damit die NPD nicht über 5 % kommt.“ Viele Wismarer würden in diesem Jahr wohl die Linke wählen – denn die SPD könne ohnehin nicht alleine regieren. Lu Yen Roloff

Protestwähler Site

Foto: Lu Yen Roloff

Der Protestwähler

Pitbull Arkie muss Gassi gehen. Heiko P. (32) schlendert über den Radweg, der parallel zur Ostsee zwischen den mit dichten Buchsbaumhecken abgeschirmten Kleingärten entlangführt. Auf der anderen Seite der Bucht rauchen die Schlote seines alten Arbeitgebers Holzegger. Bis letztes Jahr hat Heiko P. dort einen Jahresvertrag gehabt, „gut bezahlt“, sagt er. Dann kam die Wirtschaftskrise und über 50 Leute mussten gehen. Jetzt, wo die Werft 1200 Menschen entlassen habe, sei die Resignation groß unter seinen Freunden.
„Man kämpft sich von Jahr zu Jahr durch“, sagt Heiko P., der vorher im CD-Werk in Dassow gearbeitet hat und dort ebenfalls entlassen wurde. So wie viele Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern hätte auch dieses nur Subventionen abgegriffen: „Die haben für die fünf Millionen Fördergelder erst Sektchen mit dem Wirtschaftsministerium getrunken und dann fünf Jahre später die Firma kaputt gehen lassen.“
Weil er den Vater nach dessen Schlaganfall unterstützen muss, kommt für den gelernten Schlosser nur ein Job in Wismar und Umgebung in Frage. Inzwischen arbeitet er für das Solarzentrum. Schichtarbeit bei einem Dumpinglohn von sechs Euro, 900 Euro mache das im Monat. „Wie soll man davon leben?“ fragt er. „Ich hätte als Proteststimme auch die Linke gewählt“, sagt Heiko P. „Aber die drehen sich doch auch nur nach dem Wind.“ Heiko P. wird dieses Jahr die NPD wählen. Lu Yen Roloff

P9191828

Foto: Lu Yen Roloff

Die Mutter

Raus aus der Altstadt, den Berg runter und ins Neubaugebiet. Es ist ruhig zwischen den fünfstöckigen Plattenbauten: Grillen zirpen, von den Balkonen schallt immer wieder Gelächter, zwischen den Häusern hängt die Wäsche zum Trocknen. Früher sei der Kagenmarkt das „Stiefkind“ der Stadt gewesen, inzwischen werde es besser, sagen die Anwohner. Zwar wurden gerade zwei Häuser wegen Leerstand abgerissen, gleich daneben wachsen aber ein neuer Kindergarten und eine Schule. Vor dem Supermarkt sitzt eine junge Frau mit Kinderwagen. Ob sie betroffen von der Kirse ist? „Wie soll sie uns noch treffen?“, antwortet Melanie Konow. „Wir sind sowieso Hartz-IV-Empfänger! Die Chancen auf einen Job sind halt noch schlechter geworden.“ Konow ist 23, hat ein einjähriges Kind, eine Ausbildung als Kauffrau – nur keinen Job. Kürzlich hat sie sich um einen Krippenplatz für ihre Tochter bemüht. „Ich will, dass sie unter andere Kinder kommt und nicht allein auf ihre Bauklötze starrt.“ Als sie beim Amt anrief, erklärte ihr die Sachbearbeiterin: „Sie sind doch arbeitslos und sitzen den ganzen Tag zu Hause. „Darauf habe ich dann gar nichts mehr gesagt.“ Bei ihr im Viertel hängen überall die Wahlplakate der Linken: „Wir kämpfen“ steht dort in dicken Großbuchstaben. Kita-Plätze für alle Kinder ist eine Forderung der Linken. Melanie Konow hat es auf den Plakaten gelesen, später landete noch ein Flyer in ihrem Briefkasten. Die junge Mutter geht dieses Jahr zum ersten Mal wählen, in der Hoffnung auf einen Kita-Platz für ihr Kind. „Mal schauen, ob das klappt, wenn die gewählt werden.“ Ute Zauft

Wismar_Portraits-2Der Pastor

Pastor Roger Thomas öffnet eine schwere Holztür, tritt aus der kühlen Kirche ins Freie. In dem kleinen Pfarr-Hof spielen seine Kinder, dahinter steigen die dunkelroten Backstein-Mauern der Kirche empor. St. Nikolai erhebt sich schon von weitem sichtbar über Wismar. Seit mehr als sieben Jahrhunderten steht die Kirche dort, heute gehören noch 700 Gemeindemitglieder zu St. Nikolai. “Ich sehe nicht, dass die wesentlichen Fragen, die uns hier beschäftigen, von den Politikern aufgegriffen werden. Vollbeschäftigung ist doch eine Illusion. Wir erleben hier jeden Tag das Gegenteil“, sagt Thomas. Einmal in der Woche kommen 90 Leute in die Kirche, um dort Mittag zu essen. Sie haben nicht viel Geld, aber vor allem fehle ihnen der Kontakt zu anderen Menschen. Solchen Leuten Vollbeschäftigung zu versprechen sei unrealistisch und unredliche Politik, sagt Thomas. „Wichtiger wäre es, Menschen eine Form der Arbeit zu bieten, die sie nicht schwach und mürbe macht.“ Auf die Partei seiner Wahl angesprochen, reagiert der Pastor ratlos: „Für mich hat keine der Parteien ein überzeugendes Konzept, das Arbeit, soziales Leben und Gerechtigkeit verbindet.“ Wählen geht er trotzdem, schließlich habe man sich die freie Wahl hier als Bürgerrecht erkämpfen müssen. Lena Gürtler

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/schiffbruch-fur-die-politik/feed/ 0
TV-Duell: Erstwähler vermissen Klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/#comments Sun, 13 Sep 2009 11:30:32 +0000 C. Salewski http://www.wahlfahrt09.de/?p=2698 Osnabrueck_tvduell_jugendliche

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Normalerwiese schauen sie gemeinsam Fußball. Doch im Fernsehen versuchen sich am Sonntagabend Kanzlerin und Kandidat an so etwas Ähnlichem wie Wahlkampf. In einem Wohnzimmer im Osnabrücker Westen sitzen vier gespannte Erstwähler. Und werden enttäuscht.

Von wegen politikverdrossen! Max ist 19 und durchaus politisch interessiert. Am 27. September wird er zum ersten Mal wählen. So wie seine drei Kumpels Jonas, Oskar und Pierre, die er ins Wohnzimmer seiner Eltern im Osnabrücker Westen eingeladen hat, um mal zu schauen, wie Kanzlerin und Kandidat sich im Fernsehen schlagen. Die vier Jungs machen es sich gemütlich. Füße hoch, ein Bier in die Hand. “Das ist ja wie beim Fußball-Gucken”, sagt Max. Aber erst muss der Sender bestimmt werden. Max zappt durch die Vorberichterstattung. Er entscheidet sich für ARD. “Der Unterschied in der Aufmachung ist voll krass. Bei den Privaten sieht das nach Entertainment aus.” Also öffentlich-rechtliche Solidität.

Die vier Abiturienten haben als Leistungskurs Politik gewählt. Sie wissen schon Einiges über die Themen und Farbenspiele, die in Berlin Konjunktur haben, auch wenn das politische Wissen noch ausbaufähig ist.

Vier Erstwähler, die langsam aber sicher ins politische Bewusstsein tappsen. Sie sind die perfekte Klientel. Jetzt können Merkel und Steinmeier ihnen beweisen, dass demokratischer Streit spannend und aufregend sein kann.

“Anpfiff!”, sagt Pierre. Steinmeier bei seinem ersten Statement. “Der hat echt eine Stimme wie Schröder”, sagt Max. “Aber er ist lange nicht so charismatisch”, wirft Jonas ein. Steinmeier redet von Anstand und Vernunft, die in die Wirtschaft zurückkehren müssten. Jonas beugt sich etwas zu Max rüber. “Das sind doch solche Phrasen.” Erste Enttäuschung.

“Ich finde, die antworten gar nicht, die hören gar nicht auf die Frage”, sagt Pierre. An den Politikersprech müssen sie sich noch gewöhnen. Und auch daran, dass Merkel und Steinmeier sich eher umarmen als sich zu duellieren.

Als Peter Kloeppel fragt, ob die Kontrahenten sich eigentlich duzen, lacht Jonas. “Voll die typische RTL-Frage”, sagt er. “Der will die halt mega-provozieren”, sagt Max. Pierre ergänzt: “Ja, die wollen die richtig gegeneinander aufhetzen.” Endlich die Chance auf ein bisschen Konfrontation im TV. Aber die Kanzlerin wirft ein Wattebällchen nach dem anderen. Kein Vergleich zu Stoiber gegen Schröder findet Max. Der Wahlkampf von 2002 war der erste, den er bewusst verfolgt hat, und die deftige demokratische Auseinandersetzung hat ihm Politik schmackhaft gemacht.

Dann, endlich, ein Thema, das Streit verspricht. Atomkraft. Steinmeier geht die Kanzlerin zum ersten Mal direkt an. Auch auf der Couch wird jetzt diskutiert. “Erneuerbare Energien müssen her”, sagt Max. Die beiden Politiker auf dem Bildschirm seien in dieser Frage aber nicht besonders glaubwürdig. “Das ist ein Thema von den Grünen”, sagt er.

Pierre ist anderer Meinung. “Die Grünen plakatieren Atomfässer und warnen vor schwarz-gelb, aber dann gehen sie in den Ländern mit der CDU in Koalitionen. Das ist Wählerverarschung, finde ich.”

Schon wird es wieder sperrig. Steinmeier spricht über Regulierung der Finanzmärkte. “Irgendwie finde ich den nicht authentisch”, sagt Jonas. Strengere Regeln seien nötig, sagt der Herausforderer. “Ja, und warum hat er das dann nicht gemacht?” will Max wissen. Jonas hat eine Analyse parat: “Steinmeier ist in einer ganz guten Situation. Er kann immer sagen, in der Großen Koalition geht das nicht”. Tatsächlich hat der Herausforderer Oberwasser. Die Kanzlerin steht etwas bedröppelt daneben. “Wie die guckt. Fehlt nur noch, dass die anfängt zu bellen”, sagt Pierre. “Die sagt eh nie, wie sie was machen will. Das ist einfach nur oberflächlich”, findet Jonas.

Merkel verliert im Osnabrücker Wohnzimmer noch weiter an Boden, als sie ihr Glaubensbekenntnis ablegt: “Wachstum schafft Arbeit.” Sie betont jede Silbe einzeln. Es ist ihre zentrale Botschaft und jeder soll sie verstehen. Die Kanzlerin will die Steuern senken. Steuersenkungen? “Das ist doch absolut unglaubwürdig”, findet Jonas. Das sagt auch Steinmeier.

Wieder ein Punktgewinn.

Das Duell plätschert so vor sich hin. Die Jungs wirken so, als würden sie ein Fußballspiel doch etwas spannender finden. Aber sie hören diszipliniert zu. Nach den Schlussworten ist Zeit für ein Fazit. Bei den vier Jungs ist die Sache klar: Beide waren irgendwie öde, aber Steinmeier hat sie überzeugt, auch wenn Merkel “für CDU-Verhältnisse schon ganz cool ist”, wie Jonas sagt. “Bei Steinmeier hätte ich nicht gedacht, dass der so charismatisch ist”, sagt Oskar. Pierre sieht das ähnlich, auch wenn er es schade findet, dass die kleinen Parteien nicht vertreten waren. Und Max meint: “Was nervt, ist, dass die gar nix über Bildungspolitik gesagt haben.” Stellvertretend für alle vier Erstwähler fasst Jonas zusammen: “Ich hab jetzt ein anderes Bild von Steinmeier, positiver als vorher. Das Duell hat er auf jeden Fall gewonnen.” Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: “Aber die Wahl wird er trotzdem verlieren.” Die drei anderen nicken zustimmend.

siehe auch: Steinmerkel im TV

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/menschen/tv-duell-erstwahler-vermissen-klartext/feed/ 0
Herz aus Stahl http://www.wahlfahrt09.de/orte/eisenhuttenstadt-eko-stahlwerk/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=eisenhuttenstadt-eko-stahlwerk http://www.wahlfahrt09.de/orte/eisenhuttenstadt-eko-stahlwerk/#comments Wed, 19 Aug 2009 10:44:18 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=775

Von JC Kage und Ulrike Steinbach

EISENHÜTTENSTADT. Manfred Groß hat sein gesamtes Berufsleben im ehemaligen EKO-Stahlwerk in Eisenhüttenstadt verbracht. Mit den Wahlfahrt09-VJs spricht er über die Vergangenheit und den Wandel des Werks.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/eisenhuttenstadt-eko-stahlwerk/feed/ 1
„Wir müssen unseren Hintern hochkriegen“ http://www.wahlfahrt09.de/menschen/wir-mussen-unseren-hintern-hochkriegen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wir-mussen-unseren-hintern-hochkriegen http://www.wahlfahrt09.de/menschen/wir-mussen-unseren-hintern-hochkriegen/#comments Tue, 18 Aug 2009 13:27:03 +0000 Kathleen Fietz http://www.wahlfahrt09.de/?p=1291 Halle_Kaufhaus_quer

Foto: Michael Bennett

HALLE. Wie viele ostdeutsche Städte hat auch Haale an der Saale mit Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsrückgang zu kämpfen. Das zu ändern, ist Janis Kapetsis Mission: Mit Jazz, einem Bürgerverein und einem Designkaufhaus.

Mit staubigen Schuhen läuft Janis Kapetsis durch die große Eingangshalle. Dunkel und ein wenig feucht ist es in dem über hundert Jahre alten Kaufhaus. Von den Decken hängen Tapeten in langen dünnen Fetzen, das Bild erinnert an Tropfsteinhöhlen. Trotz Staub und blättrigen, mit Graffiti besprühten Wänden ist die einstige Schönheit des Jugendstilbaus noch zu erkennen: Lange Säulen reichen von der großen Eingangshalle bis hinauf zu dem gläsernen Kuppeldach, das aus DDR-Zeiten noch zugeklebt ist.

13_Janis_Kapetsis

Foto: Michael Bennett

„Halle hat ein unglaubliches kreatives Potential, wir wollen das hier bündeln und kommerziell vermarkten“, sagt Janis Kapetsis, als er eine morsche Holztreppe nach oben steigt. Das marode Kaufhaus hat der 44-Jährige zusammen mit einem Geschäftspartner Anfang dieses Jahres ersteigert. Ein Design-, Kultur- und Medienkaufhaus wollen sie daraus machen. Die kreative Szene Halles sitzt vor allem an der Kunst- und Designhochschule Burg Giebichenstein, an der auch Kapetsis 1985 bis 1990 Design studiert hat.

Was klingt wie ein ambitioniertes Kunstprojekt, ist eine Geschäftsidee, mit dem Unternehmen in die Innenstadt gelockt werden sollen. Design- und Modeläden mit Wellnessangeboten und Lounge im Erdgeschoss, Firmen aus der Medien- und Designbranche in den oberen Galerien – so der Plan. Janis Kapetsis, Cabrioletfahrer, braungebrannt, sportlich, mit Dreitagebart und kurzen Haaren ist ein dynamischer Geschäftsmannes durch und durch. Erfolgreich und zudem überall in der Stadt engagiert: Als sich Leipzig als Olympiastadt bewarb, war er Marketingbeauftragter für den Co-Standort Halle, er sponsert die Hallensischen Basketballfrauen, die in der ersten Bundesliga spielen, und seine Agentur kreiert die aktuelle Werbekampagne des ansässigen Stromanbieters.

Janis Kapetsis Vater kam Anfang der 50er Jahre nach Halle. Er gehöre zur so genannten verlorenen Generation Griechenlands, erzählt der Sohn. Partisanen hatten im Bürgerkrieg Tausende von Kindern in sozialistische Länder verschickt. Mit seinem Vater kamen zwanzig andere Griechen nach Halle, deshalb gab es in Kapetsis Schule auch Griechischunterricht. Ein Produkt designte Kapetsis noch für die DDR-Produktion, bevor die Wende kam: Einen Gepäckträger für den Fahrradhersteller Mifa, der 1988 eine Silbermedaille auf der Leipziger Messer gewann. Produziert wird der heute noch, aber Geld verdient der Hallenser damit nicht, er hatte versäumt das Ost-Patent in Westdeutschland rechtzeitig anzumelden. „Ich bin halt ein doofer Ossi gewesen“, kokettiert er.

Die Wende verstand der zielstrebige Hallenser nicht als Karrierebruch, sondern als Chance. Als selbständiger Designer entwarf er Restaurants und Schlafwagen für russische Hochgeschwindigkeitszüge. 1997 gründete er seine eigene Agentur „Kappa“ und spezialisierte sich auf Kommunikationsdesign, er arbeitet heute vor allem für Unternehmen aus der Immobilien- und Versorgungswirtschaft in ganz Deutschland. Seit drei Jahren betreibt der dreifache Vater zudem mit einem Partner einen Internethandel für hochwertige Designprodukte.

„Und da hinten könnte man dann…“, sagt Kapetsis und zeigt ans Ende der großen Eingangshalle des Kaufhauses. Er führt den Wirtschaftsanwalt Wolfgang Matschke durch das Gebäude, da sich einer seiner Mandanten dafür interessiert. „Kapetsis ist einer der kreativsten Köpfe dieser Stadt. Und er ist gleichzeitig ein guter Geschäftsmann und das gibt es selten“, sagt Matschke, der früher Kanzler der Universität war.

Die beiden gehen vom Kaufhaus aus über den nahe gelegenen Universitätsplatz. Eine große Freitreppe führt zu den im 19. Jahrhundert entstanden Universitätskomplex, daneben das neu gebaute, verglaste Audimax. Dazwischen schlängeln sich enge Gassen mit kleinen Häusern aus der Barock- und Renaissancezeit, zwischen die immer wieder Plattenbauten gesetzt wurden. „Kuschelig, kleinbürgerlich und auch proletarisch und dann die Hochkultur und Wissenschaft – das ist Halle“, sagt Kapetsis. Händel ist in der Stadt geboren, die Gelehrtengesellschaft der Leopoldina und die Franckesche Stiftungen haben ihren Sitz hier in der Saalestadt. „Halle ist die verkannteste Stadt Deutschlands, wir brauchen Botschafter wie Kapetsis“, sagt Matschke.

Was man von dem schönen zentralen Universitätsplatz aus nicht sieht, ist Halle-Neustadt, wo Erfolgsgeschichten wie die von Kapetsis eher nicht zu finden sind. Bis 1990 eine eigenständige Industriestadt um die Chemiewerke Leuna und Buna Schkopau ist die ehemalige Arbeiterstadt heute vor allem von Leerstand und Arbeitslosigkeit gezeichnet. 1990 wurden Halle und Halle-Neustadt zusammengelegt. Von den mehr als 300 000 Einwohner zu Wendezeiten sind heute nur noch 232 000 übrig.

20_Halle Zentrum

Foto: Michael Bennett

„In Halle ist Anfang der 90er Jahre nichts passiert, um wieder Wirtschaft anzusiedeln. Das macht mich heute noch sauer“, sagt Kapetsis und zum ersten Mal verschwindet sein Lächeln. Deshalb gründete er vor sechs Jahren den Bürgerverein „Wir für Halle“ mit, der es dann mit drei Sitzen in den Stadtrat schaffte. Doch auch mit politischer Teilhabe konnte er weniger als erhofft bewegen. „Es ist wie auf Bundesebene: Durch die vielen kleinen Parteien und Bürgervereine dauern Entscheidungsprozesse unheimlich lange und kreative Ideen werden oft abgeschmettert“, erklärt er. Eine solche Idee war etwa, freie Bauflächen an Investoren zu verschenken und an die Schenkung eine Bauverpflichtung zu koppeln, um Unternehmen in die Region zu locken.

Zurück in der Agentur. Mit seinen Angestellten sitzt Kapetsis in der Küche, jeden Tag kocht jemand für die gesamte Crew. Elf Festangestellte arbeiten derzeit in der Agentur, sein Internethandel verzeichnet trotz Wirtschaftskrise Umsatzzuwächse. Als mittelständigen Unternehmer ärgern ihn die politischen Rettungsaktionen großer Banken und Wirtschaftsunternehmen. „Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Große marode Unternehmen werden gerettet, obwohl sie Fehler gemacht haben und die machen die kleinen ehrlichen Mittelständler kaputt“, beklagt er sich und fordert Steuererleichterung als Anerkennung für solides Wirtschaften. Bei der Bundestagwahl wird der klassische Wechselwähler diesmal der CDU seine Stimme geben. „Eine Medienkanzlerin ist Angela Merkel nicht, aber ihr rationales Denken ist mir wichtiger“, erklärt er die Entscheidung.

Inzwischen ist Kapetsis von vielen Ämtern zurückgetreten, engagiert sich aber nach wie vor in der Stadt. So etwa mit dem ersten europäischen Frauen-Jazzfestival, das er seit fünf Jahren mitorganisiert. Eine Kneipenidee mit zwei Freunden, Kapetsis hatte damals kaum Ahnung von Jazz. Inzwischen kommen jährlich bis zu 4000 Besucher zu dem Event. Jetzt fordert er vom Land finanzielle Unterstützung. „Wir haben gezeigt, dass man so etwas mit privatem Engagement stemmen kann. Jetzt nützt es dem Land und deshalb sollen die jetzt mit ran“, erklärt er.

Kapetsis steht auf dem Dach seines Kaufhauses. Er hofft, es 2011 zu eröffnen; in diesem Jahr wird in den baufälligen Räumen noch eine große Kunst- und Designausstellung stattfinden. „Wir müssen unseren Hintern hochkriegen, müssen einfach besser sein als andere und mit innovativen Ideen Touristen und Unternehmen begeistern“. Wie oft, wenn Kapetsis das Wort „wir“ benutzt, ist nicht ganz klar, ob er gerade die Kunstszene, die Hallensischen Unternehmer oder Politiker oder die ganze Stadt Halle meint. Denn für ihn gehört das alles zusammen.

18_gemeinsames Mittagessen_in_der Agentur

Foto: Michael Bennett

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/menschen/wir-mussen-unseren-hintern-hochkriegen/feed/ 0
Ein Garten für Glaucha http://www.wahlfahrt09.de/orte/ein-garten-fur-glauchahalle/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ein-garten-fur-glauchahalle http://www.wahlfahrt09.de/orte/ein-garten-fur-glauchahalle/#comments Mon, 17 Aug 2009 13:33:15 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=1413

HALLE. Junge Leute engagieren sich nicht mehr für ihr Umfeld? Einige Hallenser Studenten beweisen das Gegenteil. Aus einer Brache haben sie in mühevoller Arbeit einen Nachbarschaftsgarten geschaffen. Sie wollen, dass sich unterschiedliche Bewohner des Viertels treffen können.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/orte/ein-garten-fur-glauchahalle/feed/ 0
“Subventionierte Schwarzarbeit darf nicht sein” http://www.wahlfahrt09.de/menschen/subventionierte-schwarzarbeit-darf-nicht-sein/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=subventionierte-schwarzarbeit-darf-nicht-sein http://www.wahlfahrt09.de/menschen/subventionierte-schwarzarbeit-darf-nicht-sein/#comments Sat, 15 Aug 2009 09:42:29 +0000 Kathleen Fietz http://www.wahlfahrt09.de/?p=298 GÖRLITZ. Brigitte N.,57,  wirft Görlitzer Vereinen vor, mit der Vergabe von 1,50-Euro-Jobs Geld zu verdienen. Fotografieren lassen wollte sie sich nicht. Schließlich trage sie Uniform. Sie ist arbeitssuchend und arbeitet ehrenamtlich für die Sächsische Sicherheitswacht

Was ärgert Sie in Görlitz?

In Görlitz gibt es Vereine, die vermitteln 1,50-Euro-Jobber zum Beispiel als Haushaltshilfen. Ich kann hier keine Namen nennen, aber diese Vereine nehmen normalen Arbeitskräften die Arbeitsplätze weg und bekommen dafür Geld vom Arbeitsamt und werden zusätzlich noch von den Leuten, für die die 1,50-Euro-Jobber arbeiten, bezahlt. Die arbeiten also in regulären Jobs, was gar nicht sein dürfte.

Tun Sie etwas dagegen?

Ich bin zur Gewerkschaft, zur IHK und zur Handwerkskammer gegangen. Und zu den Parteien und wollte eine Stellungnahme dazu haben. Die Gewerkschaft sagt, sie waren schon immer dagegen, ja auch gegen Hartz IV. Von den Kammern hab ich noch keine Antwort, da warte ich immer noch geduldig. Herr Gunkel von der SPD sagt, er sei immer dagegen gewesen und sie wollen ja, dass das verbessert wird. Aber das glaub ich denen nicht, da ist ja auch immer dieser Fraktionszwang.

Und die anderen Parteien?

Herr Bandmann von der CDU hat mich auf der Straße vor seinem Büro abgewimmelt. Und hat gesagt, wenn es so was in Sachsen gäbe, würde er sich schon drum kümmern.

Sind Sie denn sicher, dass das mit den 1,50-Euro-Jobs auch in Sachsen passiert?

Ich kenne Leute hier in der Stadt, die in solche Jobs vermittelt werden sollten. Das ist subventionierte Schwarzarbeit. Das darf nicht sein.

Was wollen Sie weiterhin tun?

Von den anderen Parteien hab ich noch nichts gehört. Ich warte immer noch geduldig auf Antwort. Und der Frau Merkel schicke ich auch noch einen Brief.

Interview: Kathleen Fietz

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/menschen/subventionierte-schwarzarbeit-darf-nicht-sein/feed/ 0
Auf ein Bier mit… David Ritter von den Jusos Görlitz http://www.wahlfahrt09.de/menschen/auf-ein-bier-mit-david-ritter-juso-gorlitz/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=auf-ein-bier-mit-david-ritter-juso-gorlitz http://www.wahlfahrt09.de/menschen/auf-ein-bier-mit-david-ritter-juso-gorlitz/#comments Fri, 14 Aug 2009 10:34:50 +0000 JC Kage http://www.wahlfahrt09.de/?p=771 GÖRLITZ. Er sei noch ein DDR-Kind, sagt der 20-jährige David Ritter, der 1988 in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, geboren wurde. Der gelernte Rechtsanwalt-Fachangestelle ist seit vier Monate auf der Suche nach Arbeit.Die freie Zeit nutzt er dafür, die SPD im Wahlfkampf zu unterstützen. Seit 2006 engagiert sich Ritter bei den Jusos, 2007 ist er der SPD beigetreten, die in der 58.000 Einwohner-Stadt auf gerade einmal 9 Prozent kommt.

Den Wahlfahrt-Reportern Christian Kage und Ulrike Linzer erzählt er in seinem Lieblingslokal an der Neiße – mit Blick auf die Görlitzer Altstadt und die wenige Meter entfernte polnische Stadt Zgorzelec – was die Stärken der SPD sind und was er tun würde, wenn er Bundeskanzler wäre.

]]>
http://www.wahlfahrt09.de/menschen/auf-ein-bier-mit-david-ritter-juso-gorlitz/feed/ 0